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Kunststück Natur. Das Colorado River Delta in Mexiko.

© Edward Burtynsky/Senator

Dokumentaressay "Watermark": Damm, Land, Fluss

Poesie des Wassers: Jennifer Baichwals hat mit "Watermark" einen atemberaubender Dokumentaressay über die Geschichte des Wassers gedreht.

In unserer Überflussgesellschaft gibt es von allem zu viel, auch Bilder. Die einen schwemmen die anderen weg, ihre Verweildauer in unseren Hirnen wird immer kürzer. Bei „Watermark“ ist das anders. Die Bilder dieses Films sieht man noch nach Monaten vor sich. „Watermark“ ist ein Porträt des Wassers der Erde, vielleicht das erste, gewiss das schönste. Es hat nichts, was man eine Aussage nennen könnte; die kanadische Regisseurin Jennifer Baichwal verabscheut Aussagen im Dokumentarfilm. Wer „Watermark“ sieht, weiß, warum. Der Fotograf und Kameramann Edward Burtynsky nennt den Film eine der poetischsten und abstraktesten Arbeiten seines Lebens.

Der Beginn: ein Teilchenstrom, ein Teilchensturm, in dem jedes einzelne die Überwältigung, ja die Vernichtung des nächsten ist. Ob fest oder flüssig, lässt sich zunächst nicht sagen. Erst mit wachsendem Kameraabstand wird klar, dass hier die Wasser eines Staudamms in die Tiefe stürzen. Es ist der Xiolangdi-Staudamm am Gelben Fluss in China, 154 Meter hoch. Er kann 13,86 Millionen Kilowatt Strom im Jahr erzeugen, mehr als sechs mal so viel wie der Hoover-Staudamm in den USA. Das Wasser als Urgewalt.

Scharfer Schnitt: Wüste mit alter Frau. Sie steht mitten im riesigen Delta des Colorado-River, schon seit 40 Jahren ist der Fluss ausgetrocknet. Das Land ist längst verdorrt, aber während die Alte spricht, begrünen sich die Ufer wieder, kehrt das Rauschen des Flusses zurück. Sie kennt noch alle Fische, die sie hier einst fingen. Diese Bilder werden mit ihr sterben.

Die natürliche Neigung des Wassers

Dieser Film hat keine Aussage, aber er hat Methode. Er verlässt sich auf die natürliche Neigung des Wassers zur abstrakten Form, da, wo es im Übermaß auftritt, und dort, wo es fehlt. Staudamm und Wüste: Das Wasser besitzt eine innere Tendenz, als modernes Kunstwerk aufzutreten. Erst recht dort, wo die Menschen es domestizieren wie im Imperial Valley in Kalifornien, 12 000 Quadratkilometer groß. Aus der Luft gesehen wirkt es wie ein riesenhafter Goethe’scher Farbenkreis, nein, wie viele Farbenkreise nebeneinander. Irgendwann wusste Burtynsky, welche Perspektive er wählen musste: das Luftbild. Dieser Wasser-Film ist zugleich einer aus großer Höhe, er spielt in gespenstisch scharfen Bildern mit Nähe und Ferne.

Was wie „bekunsteter“ Erdboden aussieht, ist nur ein Nebeneffekt der Landwirtschaft, der Kultivierung des Deltas. Denn es ist keineswegs so, dass der Colorado vor 40 Jahren freiwillig viele Kilometer vor seiner einstigen Mündung versiegt wäre. Sollen wir das verurteilen? Dem Wasser nicht einfach seinen Lauf zu lassen, das definiert von alters her das Kulturwesen Mensch. Er trat schon immer als Bewässerungsingenieur auf. Alles Leben kommt aus dem Wasser, schon wahr, aber bitte dort, wo der Mensch es will.

"Watermark": 20 Wassergeschichten aus zehn Ländern

Regisseurin Baichwal („Manufactured Landscapes“, 2006) und Kamermann Burtynsky nehmen den Zuschauer außerdem mit auf uralte, kunstvoll terrassierte chinesische Reisfelder mit ihren „Wasserwächtern“. Und in eine Großgerberei in Bangladesch, die pro Arbeitsschritt 2000 Liter Wasser benötigt. Anschließend fließt es – rot, blau oder grün – ungefiltert durch die Straßen, findet seinen Weg durch Schmutz und Müll, um sich schließlich stinkend mit dem Fluss Buriganga zu vereinen. Sie besuchen Abalone-Seeschnecken-Zuchtfarmen im Ostchinesischen Meer und sogar die Maha Kumbh Mela, die größte Wallfahrt der Erde, das rituelle Gemeinschaftsbad von 30 Millionen Hindus im Ganges.

Und immer öfter fragt man sich: Ist das, was auf diesem Planeten stört, nicht eigentlich der Mensch?

Der Schnitt dauerte übrigens elf Monate: Baichwal versuchte, den Wassermassen eine Struktur zu geben und diese zugleich zu verbergen. „Watermark“, das sind zwanzig Wassergeschichten aus zehn Ländern, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Danach hört man noch lange das Tosen des Xiluodu-Staudamms. Und die tiefe Stille des staubigen Colorado-Deltas.

Eva, FT am Friedrichshain, Kant, Yorck, OmU: Filmkunst 66, Hackesche Höfe Kino

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