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Herausragend. Bei ihrem "Vinylism"-Abenden spielt Allien Musik, die sie in Plattenläden vorfindet.

© Thilo Rückeis

DJ-Ikone Ellen Allien: Die Bassdrum der Berliner Wendezeit

Ellen Allien prägt seit zwanzig Jahren die Berliner Technoszene. Ihr neues Album "Nost" zelebriert den dunklen Sound der Neunziger. Eine Begegnung im Plattenladen.

Früher Abend im Kreuzberger Plattenladen Space Hall: DJ Ellen Allien bereitet sich auf einen Auftritt vor. „Vinylism“ nennt sie die Veranstaltung, zu der die Berlinerin geladen hat. Das Konzept dahinter hat sie sich selbst ausgedacht, schon seit einer Weile ist sie damit unterwegs. In Städten wie Rotterdam, Mailand und Reykjavik fanden bereits „Vinylism“-Nächte in ausgesuchten Plattenläden statt. Sie legt dabei Platten auf, die sie im jeweiligen Laden vorfindet. „Es geht dabei darum, die Funktion des Plattenladens als Treffpunkt und Ort des Austausches wieder zu stärken“, sagt Allien.

Einige Plattenregale wurden in der Space Hall extra entfernt, damit mehr Platz ist fürs Publikum, nach Möglichkeit soll auch getanzt werden. „Glaubst du, dass auch wirklich ein paar Leute kommen werden?“, fragt Allien den Besitzer des Ladens. Der beruhigt sie und versichert, der Laden werde ganz sicher voll werden. Allien ist noch mit der Musikauswahl beschäftigt. Unentwegt zieht sie Platten aus den Regalen, wirft eine nach der anderen für ein paar Sekunden auf den Plattenspieler, hört ein paar Takte und entscheidet dann, ob der Track ihr zusagt oder nicht. Platten von Marco Lenzi, DJ HMC und Pansonic liegen bereits auf dem Stapel mit Maxis, die später zum Einsatz kommen sollen. Sie probiert eine neue Platte von DJ Skull aus, einer House-Legende aus Chicago. Nach ein paar Takten schüttelt sie mit dem Kopf. „Zu schlaff“, sagt sie. „Die alten Platten von ihm sind besser.“

Allien liebt Vinyl

Ellen Allien hat selbst eine Weile in einem Berliner Plattenladen gearbeitet. Sie liebe Vinyl sagt sie, habe eine riesige Plattensammlung und lege immer noch am liebsten ganz klassisch auf. „Ohne meinen Plattenkoffer fühle ich mich bei meinen DJ-Bookings einfach nicht wohl“, sagt sie. In Zeiten, in denen die meisten Clubs ihre Plattenspieler längst eingemottet haben und DJs CDs oder MP3s auflegen, ist das ein Statement. Allien ist als DJ mit Vinyl groß geworden, da hängt sie eben doch an dieser Kultur, die seit den nuller Jahren verschwindet.

Man tritt Ellen Allien also nicht zu nahe, wenn man ihr attestiert, einen Hang zur Nostalgie zu haben. Erst recht nicht, wenn man bedenkt, dass der Titel ihres eben erschienenen, Albums „Nost“ genau dafür steht. Der Titel, erläutert sie, sei einfach die Abkürzung für Nostalgie. In der Technoszene ist es gerade eine Modeerscheinung, dass mit ziemlich großen Begriffen hantiert wird, die dann doch nicht genau das aussagen sollen, was man eigentlich annehmen könnte.

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Ellen Alliens Kollege DJ Hell, hat gerade eine Platte vorgelegt, die er „Zukunftsmusik“ nennt, obwohl sie stark nach Kraftwerk und Vergangenheit klingt. Und auch Ellen Allien erklärt, dass sie natürlich keine Platte aufgenommen habe, die nur nach der guten alten Zeit klingen soll, sondern eine, bei der „Zukunft und Vergangenheit zusammengedacht werden“. Tatsächlich hört man auf „Nost“ ziemlich lange Stücke, die perfekt den aktuellen Berliner Clubsound abbilden, dunklen, minimalen Techno, der letztlich nur eine Verfeinerung des vielleicht noch etwas ungeschliffeneren dunklen, minimalen Technos ist, der nach dem Fall der Mauer populär wurde. Nostalgie, so scheint es, ist gerade nicht nur bei Allien ein Thema.

Sie ist eine der wenigen weiblichen DJ-Größen

Ellen Allien hat die Zeiten selbst miterlebt und mitgestaltet, als repetitive elektronische Tanzmusik so fantastisch neu und aufregend wirkte. In Clubs wie dem Tresor, dem E-Werk und dem Bunker hat sie nicht nur zum großen Bum-Bum-Bum und zu den Acid-, House-, und Technosounds aus Detroit und Chicago getanzt, sie hat dort Läden auch aufgelegt. Die gebürtige Berlinerin, die ihr Berlinertum gerne in Plattentiteln wie „Berlinette“ oder „Stadtkind“ betont, war von Anfang an dabei beim großen Technorausch in der deutschen Hauptstadt, der ihr Leben verändert hat und es bis heute prägt. So wie man selbst nicht frei ist von nostalgischen Gefühlen, wenn man ein Fotoalbum mit Bildern durchblättert, auf denen man noch unverschämt jung aussieht, wird für Ellen Allien nun jede Bassdrum in einem guten Technotrack, den sie hört, auflegt oder produziert, zum Auslöser für nostalgisches Schwelgen.

Schon kurz nach der Wende, als sie noch in einem besetzten Haus in Schöneberg wohnte, legte sie im Fischlabor auf – ganz in der Nähe ihrer Wohnung –, einer Kneipe, die in den frühen Neunzigern ein Fixpunkt der noch jungen Technoszene war. Damals hatte sie noch keinen DJ-Namen, dann kamen die Bookings in den größeren Läden und langsam wurde sie zu einer der wenigen weiblichen DJ-Größen in der männerdominierten Berliner Techno-Szene.

Den Winter verbringt sie in Berlin, den Sommer in Ibiza

Längst ist sie ein international bekannter Technostar, tritt in aller Welt auf, veröffentlicht seit bald zwei Dekaden Platten, und ihr Label Bpitch Control fungiert als anerkannte Techno-Marke, auch weil hier andere Berliner Größen der elektronischen Tanzmusik wie Paul Kalkbrenner oder Modeselektor ihre ersten Tracks veröffentlicht haben.

Die „Berlinette“ lebt nur noch halbjährlich in Berlin. Den Winter – „ich liebe den Winter in Berlin“ – verbringt sie hier, den Sommer in Ibiza, wo sie Resident-DJ der Partyreihe Circoloco des balearischen Megaclubs DC-10 ist. „Clubbing und Meer“, viel mehr sei da nicht los bei ihrem Leben auf der Sonneninsel.

Ihr Handy ist dort die meiste Zeit aus, um den Rest kümmern sich die Mitarbeiter ihrer Plattenfirma in Berlin. Nach der Saison kehrt Allien zurück nach Berlin, dorthin, wo die meisten ihrer Techno-Erinnerungen daheim sind. Und wo an diesem Abend eine neue dazu kommt. Es wurde noch voll im Plattenladen.

„Nost“ ist bei Bpitch Control erschienen.

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