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Kultur: Dies Land ist sein Land

Der große Unbekannte des anderen Amerika: Zum 100. Geburtstag des Sängers Woody Guthrie.

An ihn erinnern heißt, ein Paradoxon und zugleich einen Superlativ heraufzubeschwören: Woody Guthrie ist der wohl bekannteste Unbekannte unter den großen amerikanischen Musikern. Seine Lieder aber haben wir im Ohr, das bekannteste von ihnen, „This Land Is Your Land“ gilt sogar als alternative US-Nationalhymne. Wir haben es von Pete Seeger gehört, von Peter, Paul & Mary, von Bruce Springsteen, Los Lobos und neuerdings von Sharon Jones, Wenzel oder Tom Morello. Dass es von Woody Guthrie stammt, ist ebenso vergessen wie dessen Name. Dafür gibt es Gründe.

Einer davon liegt darin, dass Woody Guthrie, der heute vor 100 Jahren in einem staubigen Nest namens Okemah im Staate Oklahoma zur Welt kam, ein ausgeprägtes Talent zum Scheitern besaß. Mehrfach war er fast ganz oben. Immer ist er sehr schnell wieder abgestürzt. Im Pop ist das ein normaler Lebenswandel. Aber Woody Guthrie war kein Rockstar, auch wenn ihn heute manche zum frühen Punk erklären wollen. Er war Volksmusiker. Und ein überzeugter Linker. Für manche seiner Zeitgenossen war dies ein unüberwindlicher Gegensatz.

Zudem tat Guthrie gerne das Richtige zur falschen Zeit. Er schrieb Antikriegslieder, als Amerika gegen die Nazis in den Krieg zog, und er schrieb Amerika-kritische Texte, als man ihn als Nationalhelden feiern wollte. Auf politischen Bühnen gab er den Unpolitischen, in der Großstadt spielte er den Hillbilly und auf dem Land den Bohemian. In einem aber blieb er sich treu: Er fiel fast immer aus dem Rahmen. Und dennoch prägt der Frauenheld und notorisch Widerständige wie kaum ein Zweiter Generationen amerikanischer Musiker.

Dies gilt bis heute. Das Jahr 2012 ist ein heimliches Woody-Guthrie-Jahr, wie etliche Neuerscheinungen und Gedenkveranstaltungen zeigen, die Guthrie mal als Ahnherrn des US-Patriotismus und mal als Ikone neuer sozialer Bewegungen feiern. Auch hierzulande ist das Guthrie-Fieber ausgebrochen. In Potsdam etwa spürte jüngst das Einstein-Forum Woody Guthries Leben, Werk und Wirkung nach. Eine Ausstellung zeigte im Münchener Gewerkschaftshaus die Bilder seiner Rastlosigkeit, und dieser Tage wird auf zahlreichen Bühnen an ihn erinnert. Während Musikwissenschaftler sich bemühen, Guthrie zum Vorläufer der Sing-Bewegung der Sechzigerjahre und als Impulsgeber des Post-Punk zu reklamieren, erklärt ihn der Reporter Christoph Dieckmann kurzerhand zum Kollegen: Guthrie sei ein musikalischer Geschichtensammler gewesen, „ein fußläufiger Kenner seines Landes“.

Tatsächlich erzählte er mehr, als er sang. Eine schöne Stimme besaß Guthrie ohnehin nicht. In seinem Gitarrenspiel aber kann man nahezu alle wichtigen Einflüsse amerikanischer Musik hören: europäische Folksongs der Siedler, Klänge der Ureinwohner und den afroamerikanischen Blues, in dessen Takt das Stampfen der Eisenbahn als Grundrhythmus der Industrialisierung eingegangen sein soll.

Woody Guthrie selbst behauptete allerdings, er habe das Quietschen der Betten verarbeitet, das er Nacht für Nacht hörte, als sein Vater Manager eines Cot House für Ölarbeiter war, in dessen Obergeschoss sich ein Bordell befand. Weil die Musik, das Schreiben und das Zeichnen ihn nicht ernährten, schlug Guthrie sich als Schildermaler, Türsteher, Barmusiker und Limonadenverkäufer durch. Mit den Wanderarbeiten reiste er zwar umher, zupfte aber nur die Saiten seiner Gitarre, wie er selbst zugab. Nebenher führte er ein zwar bescheidenes, aber sesshaftes kleinbürgerliches Familienleben.

Aus dem bricht er immer wieder aus. In New York beginnt er um 1940 eine Rundfunkkarriere, doch schon im Januar 1941 flieht er förmlich aus der Stadt. Die frühen Vierziger sind seine vielleicht produktivste Zeit: Binnen eines Monats schreibt Guthrie 26 Working Songs, die vom Bau eines Staudamms inspiriert und mit dem Geld der sozial-kulturellen Programme des New Deal bezahlt sind. Mit Pete Seeger singt er bei den Almanac-Singers, einem politischen Musiker-Kollektiv. Seine Anti-Nazi-Songs wie „Round and round Hitler’s Grave“ hören Millionen. Eingezogen zur Handelsmarine, überlebt Guthrie drei deutsche Torpedoangriffe, zuletzt vor der Normandie, angeblich singend. Wieder daheim trifft er Thomas Mann und Bertolt Brecht.

Auf seine Gitarre pinselt er den Spruch „This Machine kills Fashists“, doch wegen seiner frühen Kontakte zur Kommunistischen Partei und zur radikalen Gewerkschaftsbewegung belegt man diese Maschine immer wieder mit Spielverbot. Er wird zur „Stimme des anderen Amerika“. So lautet folgerichtig der Titel einer zum Jubiläum erscheinenden Biografie. Barbara Mürdter hat Leben und Wirken darin straffer dargestellt als in den amerikanischen Standardwerken – dazu gehört etwa Joe Kleins 1980 aus den Briefen gespeistes Buch und Ed Crays auf Interviews gründendes Nachfolgewerk von 2004. Die Rekonstruktion seines Lebens sei keine leichte Aufgabe, räumt Mürdter gleich ein. Das dürfte auch an Guthries eigener Neigung zur Legendenbildung liegen. Sein Leben habe er wie viele Country-Musiker als „ein sich ständig entwickelndes Konstrukt“ betrachtet, „er dichtete hinzu, begradigte und schmückte aus.“ Mürdter kontrastiert den Lebensweg mit der Protest- und Sozialgeschichte der USA, räumt aber auch mit manch linker Legendenbildung auf. Vom Südstaaten-Rassismus habe sich Guthrie erst spät, dann aber gründlich abgewandt. Wie sein Song „This Land Is Your Land“ bei den Native Americans so ankam, darf man sich fragen.

Dennoch ist Guthrie ein konsequentester Kritiker sozialer Benachteiligung. Nirgends wird dies so deutlich wie in der atmosphärisch dichten Erzählung, die Guthrie seine Autobiografie nannte. Das 1943 erschienene „Bound for Glory“ erscheint nun unter dem Titel „Dies Land ist mein Land“ in der Edition Nautilus erstmalig auf Deutsch. Hans-Michael Brock hat das 420 Seiten dicke Fragment übersetzt und dabei auch den Slang behutsam ins Deutsche übertragen.

Darin öffnet sich eine Welt der kleinen Leute, bevölkert von urwüchsigem Personal: Es gibt den Tramp mit der Zahnlücke, den schwarzen Jungen mit der Mundharmonika oder den Erntearbeiter, der das Hinterland verlassen muss, weil der Traktor ihn vertrieben hat. Manche dieser Alltagshelden haben ihre realen Vorbilder in Weggefährten Guthries, andere sind archetypische Figuren, wie der Okie oder der Hobo, die man aus Literatur und Kino zu kennen meint – auch wenn sie wenig von Woody Guthries Sozialkolorit getönt sind. Ihre Gegner sind die Schlägertrupps und Bürgerwehren, die Polizisten und Hilfssheriffs, die mit dem Knüppel die Interessen der Großgrundbesitzer und Eisenbahnbetreiber gegen die arme Landbevölkerung durchsetzen.

Das Amerika, das er in den „Dust Bowl Ballades“ besingt, ist ausgedörrt von der Prohibition, ausgetrocknet von Hitzekatastrophen, und es ist von Arbeitslosigkeit gebeutelt wie von einer schweren Krankheit: Es sind dies die anderen Seiten des amerikanischen Traums. Guthrie erfährt diese Geißeln am eigenen Leibe. Die Schwester und später seine Tochter verliert er an Brände, den Vater an den Alkohol und die Mutter an die Nervenkrankheit Chorea Huntington, die auch seine eigenen letzten Jahre verdüstert.

Im Herbst 1963 stirbt Guthrie, schwer gezeichnet, nach einem Martyrium: Der Sänger, Zeichner und Dichter kann in seiner letzten Lebensspanne nicht mehr als die Augenlider bewegen. Seine letzten Aufnahmen machte er 1954, doch habe man „aus Mitleid“ auf die Veröffentlichung lieber verzichtet. Zum letzten Mal verpasst Woody Guthrie seine Gelegenheit: Während er in einer Nervenanstalt dem Tode entgegensiecht, entdeckt die junge Folkbewegung im Washington Square Garden und die Skiffle-Bewegung im alten Europa seine Songs.

Pete Seeger hatte schon 1960 drei Regeln für Guthries musikalische Erben aufgestellt: nicht seinen Akzent imitieren, nicht seinen Klang und auch sonst nicht versuchen, Woody sein zu wollen. Einer, der sich nicht daran hielt, ist Robert Allen Zimmerman, der sich selbst Bob Dylan nennt. Er sei in seiner Jugend eine Woody-Guthrie-Jukebox gewesen, gab er später selbst zu. Als 19-Jähriger war er von Minnesota eigens nach New York getrampt, um sein Idol kennenzulernen. Von Guthrie übernahm er nicht nur Songs, sondern angeblich dessen bereits von Krankheit gezeichnete heisere Sprechweise – und Teile seiner Biografie.

Heute ist Guthrie fest im kulturellen Gedächtnis verankert. Die Klänge, die er für die Library of Congress aufnahm, gehören zum nationalen Sound-Erbe der USA. Sein ältester Sohn Arlo bewegt sich musikalisch sehr in Vaters Fußstapfen, und Tochter Nora bereitet den umfangreichen Nachlass auf, darunter die Handschrift von „This Land Is Your Land“, das heute in den amerikanischen Schulbüchern steht – allerdings meist ohne die sozialkritischen Strophen, in denen Guthrie das Privateigentum kritisiert hatte.

Der ostdeutsche Sänger Wenzel, über den es heißt, er sei in der DDR zwar nicht verboten, aber auch nicht erlaubt gewesen, überträgt den Liederschatz ins Deutsche. Gleichzeitig erklärt die nach historischer Orientierung suchende „Occupy“- Bewegung den Vater des Protestsongs kurzerhand zu ihrem Ahnherren. Vielleicht tritt nun der Vergessene aus dem Schatten seiner erfolgreicheren Nachahmer heraus und wird postum als das erkannt, was er zweifellos war: ein amerikanisches Original.

Am Sonntag (15. Juli) erinnern Manfred Maurenbrecher und die Shizophonics im LabSaal in Lübars an Guthrie. Am 21. Oktober singt John Shreve in der Dietrich-Bonhoeffer-Gemeinde für das Guthrie-Archiv. Übersicht über die Jubiläumsveranstaltungen unter www.woody100.de

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