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Eine Figur aus der Maya-Ausstellung im Martin-Gropius-Bau zeigt einen Ballspieler der mesoamerikanischen Spätklassik, 900 n. Chr.

© Gropius-Bau

Die Zukunft des Humboldt-Forums: Der neue Kanon

Berlin ist die Hauptstadt der Debatten, überall wird auf den Podien der Kultur diskutiert. Das Humboldt-Forum kann sich auf seine Sammlungen konzentrieren – und den Dialog der Objekte.

Der Literaturnobelpreisträgers Wole Soyinka aus Nigeria diskutiert mit dem Filmtheoretiker Manthia Diawara über den Begriff der Wahrheit „vor dem Hintergrund globaler postkolonialer Konfliktlagen“. In einer Rekonstruktion ist nebenan die „Internationale Kunstausstellung für Palästina“ zu sehen, die 1978 an der Beirut Arab University von der PLO organisiert worden war. Der Musikinteressierte hört sich dann noch den Vortrag „Imperial Jazz: The Black Sound at the Dawn of Radio and Recording“ des Kulturwissenschaftlers Timothy Brennan aus Minnesota an.

So ließe sich das Veranstaltungsprogramm im zukünftigen Humboldt-Forum denken. Es soll ab 2019/20 – einen exakten Eröffnungstermin gibt es nicht – zu den global players in der Hauptstadt gehören und die anderen Teilnehmer am internationalen Diskursbetrieb übertrumpfen, dank seiner zentralen Lage, Größe und Bedeutung.

Der Terminkalender ist voll

Aber das täuscht: Die eingangs erwähnten Beispiele stammen aus dem aktuellen Kalender des Hauses der Kulturen der Welt, man kann die Liste mühelos verlängern. Von der Akademie der Künste über das Goethe-Institut zu den Stiftungen der Parteien kümmern sich in Berlin immer mehr Institutionen um Themen im Spannungsfeld von Politik und Kultur. Die Krisengebiete und Konflikte in der Welt schaffen in den sicheren Zuschauerländern verstärkten Rede- und Erklärungsbedarf. Reden hat auch etwas Beruhigendes.

Das Maxim Gorki Theater untersucht in der neuen Reihe „Berliner Korrespondenzen“ die zunehmenden „Unordnungen“. Es arbeitet mit dem Auswärtigen Amt und der Humboldt-Universität zusammen und stellt sich in die Tradition Alexander von Humboldts, der 1827 in der Berliner Singakademie seine berühmten „Kosmos“-Vorlesungen hielt. „Was läge also näher“, heißt es in der Ankündigung des Gorki, „als diesen Ort gegenüber dem Berliner Schloss und dem Humboldt-Forum als Ort der Auseinandersetzung wiederzubeleben?“

Im „Streitraum“ der Schaubühne, moderiert von Carolin Emcke, ging es kürzlich um „Antisemitismus in Europa“, und das HAU widmet sich im Mai der Kunst und Kultur in Pakistan, einem brandgefährlichen Land. Die Komische Oper und die Schering Stiftung veranstalten einen Salon, am Pariser Platz lädt die Allianz in ihr Stiftungsforum zu Podien und Diskussionen. Im Herbst eröffnet die Barenboim-Said-Akademie.

Hauptstadt der Debatten

Berlin ist zum Zentrum der Debatten geworden, zur Bühne des politischen Sprech-Theaters. Kaum eine Institution der Kultur steht beiseite, zu drängend sind die Fragen für ein Publikum, das sich als kosmopolitisch versteht und es auch ist. Mit den neuen Berlinern kommen auch die Themen in die Stadt. Die Menschen gehen ins Theater, um sich zu informieren, um Zusammenhänge und Entwicklungen zu begreifen, die rein nachrichtlich überhaupt nicht zu verstehen sind. Auch die forcierte künstlerische Beschäftigung mit Fragen der Migration, Armut, Integration und der sexuellen Orientierung im interkulturellen Mix, wie es das Maxim Gorki Theater erfolgreich vormacht, genügt nicht. Wir müssen reden.

Etliche kulturelle Veranstaltungen bieten Hintergrund und Expertise in religiösen, ökonomischen, gesellschaftspolitischen Phänomen, die jetzt die Welt bewegen. Und das geht für viele Menschen im Augenblick zu schnell. Der Kulturbegriff weitet sich einerseits ins Wissenschaftliche, andererseits zum Recherchejournalismus. Eine heilende Philosophie wäre sehr gefragt. „Theater als öffentlicher Raum zum kollektiven Denken. Es gibt ein starkes Bedürfnis danach, das liegt in unserer komplexen Zeit, die auch Angst macht“, so hat es Annemie Vanackere, die Intendantin des HAU, kürzlich in dieser Zeitung beschrieben; das gebe es so ausgeprägt nur hier und nirgendwo anders in Europa.

Verständigung, Erfahrungaustausch mit Experten aus aller Welt: Eben das war ursprünglich die Idee der Agora im Humboldt-Forum. Agora – der klassische Marktplatz, Ort des Austauschs, Stätte der Begegnung. Allerdings steckt dieser (griechische) Begriff auch im lateinischen Wort Forum. Man hat es doppelt, wenn man die Agora ins Forum bringt – oder gar nicht?

Intendanten als Gründungsbegleiter

Zuletzt war von der Agora nicht mehr viel zu hören, wenn es um das Humboldt-Forum ging. Im Zentrum des Interesses stehen die Dahlemer Sammlungen, die nach Mitte umziehen, und die drei Gründungsintendanten Neil MacGregor, Hermann Parzinger und Horst Bredekamp, GIs genannt. Sie sollen die Transformation begleiten, praktisch und intellektuell, und damit haben sie reichlich zu tun. Im Oktober wird man noch einmal Näheres erfahren über die Präsentation der herrlichen Museumsbestände, dann will auch die Bundeskanzlerin dabei sein; für Neil MacGregor hat Angela Merkel eine Schwäche.

Immer deutlicher zeichnet sich ab: Als Veranstaltungsort wird das Humboldt-Forum nicht unbedingt gebraucht. Das tun die vielen anderen Podien längst ausgiebig: über Kulturen reden im globalen Zusammenhang. Als das Humboldt-Forum entworfen wurde, war das nicht so. Diese Planungen liegen zehn bis fünfzehn Jahre zurück, seither hat sich Berlin massiv verändert. In dem Zeitraum sind all die genannten Foren entweder neu entstanden oder sie haben sich geöffnet und neu orientiert.

Schon die Idee des Humboldt-Forums hat starke Wirkung gezeigt. Der Humboldt’sche Gedanke einer ganzheitlichen Betrachtung der Welt, der Kohäsion von Natur- und Kulturwissenschaft, greift um sich und beeinflusst die Köpfe. Etliche Berliner Institutionen haben diese Gedanken aufgenommen und sich entsprechend gewandelt. Nicht nur hier: Dass Museen im 21. Jahrhundert Ort der Integration sind, hat sich weltweit herumgesprochen. Die alte Ethnologie verschwindet. Das hilft dem Humboldt-Forum.

Denn eine Last fällt von dem Riesenprojekt ab. Eine Diskurskultur muss nicht mehr krampfhaft erfunden werden. Es gibt sie reichlich, und sie wird von vielen praktiziert in Berlin. Was nicht gegen vielfältige Veranstaltungen im Humboldt-Forum spricht, auch nicht gegen neue Formen elektronischer Partizipation. Es gibt dafür Räume und Technik, die nötigen Strukturen werden aufgebaut. Ein Haus mit dem Namen Humboldt kann man sich ja nur als Plattform für Zukünftiges denken. Wie schön, wenn eines Tages die Berlinale dort Filme zeigt! Wenn Musik ins Humboldt-Forum einzieht, Schriftsteller lesen und Intellektuelle, Künstler und Politiker diskutieren. Nur muss das nicht der Hauptzweck des gewaltigen Gebäudes sein.

Steine zum Sprechen bringen

Das Wichtigste sind die Sammlungen, die Artefakte. Sie können, einmal zum Sprechen gebracht, unendlich viel erzählen von Menschen und Kontinenten, Kultur und Geschichte. Zu dieser Geschichte gehört ihr oft abenteuerlicher Weg ins Museum. Wie sind die Steine, die Stelen, die Boote, die Masken nach Berlin gekommen? Auf legale Art und Weise, als Raubkunst? Gestohlen, gekauft, gerettet?

Das Humboldt-Forum kann sich auf seine Schätze konzentrieren. Es ist ein Weltklasse-Museum in der Entstehung. Die Bezeichnung „außereuropäische Sammlungen“ allerdings klingt leicht abwertend, jedenfalls nicht auf einer Stufe stehend mit den Artefakten auf der Museumsinsel, den griechischen und ägyptischen Ikonen.

Das ist auch der Grund für die schleppende Akzeptanz des Humboldt-Forums: Nach wie vor existiert im allgemeinen Verständnis hierzulande eine Hierarchie der Wahrnehmung der Exoten und der Meisterwerke. Die Nofretete ist so lieb und teuer wie die Mona Lisa, Pergamons Götterfragmente sind einem Rembrandt ebenbürtig und vornehmer Teil des allgemeinen Kanons. Eine mesoamerikanische Götterfigur, eine Südsee-Schnitzerei gehört nicht dazu.

Dabei kann man sich derzeit im Martin-Gropius-Bau von der Eleganz der Maya und der über die ganze Welt verbreiteten Ästhetik steinzeitlicher Höhlenmalereien überraschen lassen. Auch hier wirkt schon der Humboldt-Gedanke, zeigt sich der Gropius-Bau mit seinem Direktor Gereon Sievernich auf der Höhe der Zeit. Im Frühjahr 2015 gab es dort die Ausstellung „Tanz der Ahnen“ mit Kunst aus Papua-Neuguinea, ehemals deutsches Kolonialgebiet. Das hätte man auch im Humboldt-Forum nicht viel anders präsentiert.

Ein Dialog der Objekte

Das Humboldt-Forum hat sich die Aufgabe gestellt, als neuer Nachbar der Museumsinsel das Museumsensemble der Weltkulturen zu vollenden. Darin liegt sein wahrer Existenzgrund. In Zukunft wandern die Objekte vom Bode-Museum oder aus dem Museum für Islamische Kunst über die Straße ins Humboldt-Schloss und umgekehrt. Dann kommt es zu dem berühmten Dialog der Kulturen, Berlin hat alle Möglichkeiten, ihn zu führen, wenn sich die Museumsinsel mit dem Humboldt-Festland verbindet und die Staatlichen Museen sich als Ganzes und nicht als Konglomerat vieler Einzelhäuser begreifen. In Paris oder New York sind die großen Museen längst so weit. Im eigenen Land gilt der Prophet, in diesem Fall sind das die Humboldt-Brüder, oft wenig.

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