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Die Philharmoniker beim Musikfest: Simon Rattle, der Unruhestifter

Der dritte Abend im Schumann-Brahms-Zyklus der Berliner Philharmoniker: Rattle dirigiert wider den Konsens, bürstet die Romantiker gegen den Strich. Ein interessantes Experiment, mit bislang fragwürdigem Ausgang.

Die Berliner Philharmoniker spielen Schumann, unter Leitung ihres Chefdirigenten Simon Rattle.
Die Berliner Philharmoniker spielen Schumann, unter Leitung ihres Chefdirigenten Simon Rattle.

© Monika Rittershaus/BPH

Simon Rattle stiftet Unruhe. Er forciert die Tempi, akzentuiert überdeutlich, dirigiert einen agilen, aufgeregten Schumann. Und einen nachdrücklichen, um Intensität ringenden Brahms, mit kreisenden Armbewegungen, ausgestrecktem Zeigefinger und geballter Faust. Auch am dritten Abend ihres Brahms-Schumann-Zyklus’ im Rahmen des Musikfests können die Berliner Philharmoniker nicht recht überzeugen.

Schon Teil 1 und 2 waren teilweise auf Befremden gestoßen, zumal die vier Schumann-Sinfonien ja seit Sommer auch im De-luxe-Schuber des neuen Philharmoniker-Labels vorliegen. Bei den jeweils 3. Sinfonien der Komponisten fragt man sich nun: Was bitte will Rattle mit der Gegenüberstellung? Er blickt jeweils nach vorne, dramatisiert Schumann Richtung Brahms, aber er richtet auch bei Brahms den Blick in die Zukunft, ins 20. Jahrhundert. Keine Spur von Traditionalismus. Aber warum hebt er hier wie dort die Mittelstimmen derart hervor, dass sich jede Melodie im Gesamtbild gleichlauter Stimmen verliert? Warum lässt er im Andante von Brahms das zauberhaft matt schimmernde Timbre des Orchesters gleich wieder in ein unerbittliches Gleißen umschlagen? Warum gönnt er der Musik so gut wie keine Ruhe? Um die wenigen Momente des Einhaltens unvergesslich zu machen: die wie in Bernstein gegossene Bach’sche Kontrapunktik im „feierlichen“ Adagio von Schumanns „Rheinischer“, erstarrte Lava der Musikvorgeschichte? Oder die Wiederkehr des Themas im dritten Satz von Brahms' F-Dur-Sinfonie? Solo-Hornist Stefan Dohr intoniert es mit einer Süße und Kontemplation, die sämtliche Zweifel hinwegwischt, wenigstens ein paar Takte lang.

Rattle dirigiert wider den Konsens, das macht den Abend dann doch interessant, mit allerdings fragwürdigem Ausgang. Er treibt Schumann das „Rheinische“ aus: Wenn schon sinnfällige bildliche Assoziationen, dann weniger der Kölner Dom als das rastlose Treiben auf der Domplatte, das Gewusel ziellos umtriebiger Menschen. Das Kollektiv gibt allemal den Ton an. Und Brahms trägt bei Rattle das Schicksalhafte nicht wie ein Banner vor sich her, die Musik verzweifelt vielmehr daran, bäumt sich auf gegen den eigenen Schicksalston.

Einmal mehr verweigert Rattle den Schönklang, die Kulinarik sowieso. Er will jeder einzelnen Note gerecht werden, jedem Detail, keinen Nebenweg aus den Augen verlieren. So entsteht eine permanente Unwucht, es fehlt die Balance. Manchmal geraten parallel geführte Stimmen schlicht auseinander, verklappern die Enden. Muss derart zerlegte Romantik einfach noch mehr auf den Punkt geprobt werden, um tatsächlich in neue Sphären vorzudringen? Bislang jedenfalls ersetzen Deutlichkeit und Lautstärke die gewünschte Unbedingtheit, ein paar Sforzati mehr machen noch keine Ekstase. Dennoch, lieber ein hinterfragendes Experiment als bewährte, gediegene, leicht zu akklamierende Klassik. Wer, wenn nicht die Philharmoniker als eins der weltbesten Orchester hat das Zeug zu solch gezielter Verunsicherung.

Von 23. bis 26. September wiederholen Rattle und die Philharmoniker ihren vierteiligen Schumann-Brahms-Zyklus in der Philharmonie. Die 3. Sinfonien sind am Donnerstag, den 25.9., wieder zu hören.

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