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Alles Rote. Felix Witzlau, Celina Rongen (o.), Ursula Werner, Benjamin Kühni, Rose Thormeyer (v. l.).

© Schaubühne/Gianmarco Bresadola

"Die Mutter" an der Berliner Schaubühne: Tanz den Bolschewiki

Schwere Brüste, schweres Leben: Peter Kleinert entstaubt an der Schaubühne Brechts Lehrstück „Die Mutter“.

Ich sag’ Kommu, du sagst Ismus! Hey, das ist ein Schlachtruf, der so gut wie nie mehr erklingt. Und schon gar nicht im Hip-Hop-Style vorgetragen, wie es das aus Schauspielstudenten der Hochschule Ernst Busch bestehende Ensemble bei der Premiere von „Die Mutter“ im Studio der Schaubühne vorführt. Wenn schon Revolution in dieser in heilloser Agonie versackenden Welt, dann bitte mit lässigen Beats. Da kommt die Agitation so richtig cool rüber.

Trotzdem weisen die Mundwinkel der weder von den Regiegimmicks noch vom strömenden Herzblut der Darsteller berührbaren unbekannten Reihennachbarin geschlagene zweieinhalb Stunden nach unten. Na, bitte, da wird doch die Theatergängerin prompt zum Symbol der trägen Masse Mensch, die alles aussitzen und partout nicht aufgewiegelt werden will. Und das, obwohl es sich bei Peter Kleinerts „Mutter“ um eine ausgesprochen flockige Variante dieses schwer mit Ideologie behafteten Brecht-Brockens handelt.

Die Produktion von Schaubühne und Schauspielschule setzt ganz auf die Frische und Frechheit der sieben jungen Darsteller. Die wollen spielen, wollen ausprobieren: in Hamburger Dialekt oder Schwyzer Dütsch, was eher überflüssig ist, mit Gesichtsmasken, deren Verfremdungseffekt beeindruckt. Eingangs sind sie per Videoclip – eigentlich ein Gähner, hier aber heiter – bei der Text-Exegese des Theaterschinkens zu besichtigen. Bertolt Brecht hat seine Dramatisierung des im vorrevolutionären Russland spielenden Romans von Maxim Gorki 1932 in Berlin am Schiffbauerdamm uraufgeführt. Seither sind die politischen Systeme und die gesellschaftlichen Gewissheiten zerfallen und ein Lehrstück des epischen Theaters ist technisch wie inhaltlich nichts als ein versehentlich am Leben gebliebener Dinosaurier.

Nicht so in der Schaubühne. Da wird freudig und heutig mit den Sprech- und Singchören, der Publikumsansprache, dem Umbau des sparsamen Bühnenmobiliars experimentiert. Und Pianist und Musikchef Mark Scheibe bläst mit seiner munter dilettierenden Darstellerband den Staub von olle Hanns Eislers linken Liedern. So ironisiert und zugleich ernst genommen, taugt die Wandlung der gottesfürchtigen Arbeiterin Pelagea Wlassowa zur bolschewikischen Agitatorin, die dem Kampf sogar den geliebten Sohn opfern muss, durchaus als brüchige, aktuelle Kapitalismuskritik. Ja, sogar als Selbstreflektion in der gespielten Echtzeit eines Theaterklassikers.

Das warme Herz der im letzten Drittel – wenn alle Raketen abgeschossen, alle Tricks bekannt sind – etwas an Kraft einbüßenden Inszenierung, ist Ursula Werner. Die einstige Grande Dame des Maxim Gorki Theaters, die sich in Andreas Dresens „Wolke 9“ getraut hat, nackten Rentnersex vorzuführen, traut sich hier, Mutter Wlassowa als vom Schiffbauerdamm hergebeamtes Brecht-Gespenst zu spielen. Eine geknechtete Proletarierin wie sie im Buche steht. Schwere Brüste, schweres Leben. Zuerst das Kreuz an der Kette, später die rote Fahne in der Hand.

Doch nicht lange und selbst sie streift die Stereotype ab und greift – so ein verbotener Leichtsinn - nach einem zufällig vorbeiflatternden Glitzermantel. Wem der gehört? Na, dem alten Verführer Kapital.

Schaubühne am Lehniner Platz, wieder am 16. und 17.1., 19.30 Uhr, und im Februar

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