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Wenn einem der Kamm schwillt. Szene aus der „Hühneroper“.

© Jörg Metzner

„Die Hühneroper“ im Atze Musiktheater: Eier, o weia!

Öko-Empowerment: „Die Hühneroper“ ist ein kindgerechtes Plädoyer für artgerechte Haltung. Lehrreich, aber nie didaktisch.

Kaum Platz zum Leben, ungesundes Essen, schrecklicher Gestank und ein stressiger Dayjob – es herrschen beklagenswerte Zustände in dieser Butze mit 3333 Bewohnerinnen. Nein, die Rede ist nicht von einem Frauengefängnis ineinem südamerikanischen Moloch. Sondern von einer Hühnerfarm in Berlin, wo das Federvieh in Legebatterien zusammengepfercht wird und Eier im Akkord zu produzieren hat. 300 Stück im Jahr. „50 Eier aus Bodenhaltung heute nur für 50 Cent. Denken Sie nicht nach, greifen Sie zu!“, preist der Farmverwalter in Discounter-Diktion schon eingangs an. Auch saftige Hühnerbrust steht zum Verkauf.

Seine Schutzbefohlenen stimmen derweil Klagelieder an („Sie stritten sich und rauften, sie husteten und schnauften, sie pickten und sie jagten sich, sie schubsten und sie plagten sich“), oder flüchten sich in eine Gacker-Arie über ihre Fron. Das steht natürlich in bester Opern-Tradition, siehe den Gefangenenchor aus Verdis „Nabucco“, wird im Falle der singstarken Hühner allerdings deutlich kindgerechter auf die Bühne gebracht.

Große Fragen für junge Menschen

„Die Hühneroper“ heißt die jüngste Produktion des Musiktheaters Atze, und sie erzählt eine fantasievolle Geschichte über Freiheitsdrang, artgerechte Haltung und ökologisches Bewusstsein für Menschen ab sechs Jahren. Als Vorlage dient das gleichnamige Kinderbuch der Schweizer Schriftstellerin Hanna Johansen, die schon über Mäuse, Maulwürfe, Katzen und Krokodile geschrieben hat. Atze-Chef Thomas Sutter hat ihre (und die Liedtexte) für die Bühne bearbeitet, Göksen Güntel führt Regie.

Im Zentrum steht Hühnchen (Justus Verdenhalven), das Nesthäkchen der Farm, das von den Artgenossinnen aufs scheinbar unabwendbare Käfigleben eingenordet werden soll („Ein Studium der Eierkunde braucht man, dass das Ei sich runde“), allerdings von Höherem träumt: Goldene Eier legen! Weite Felder sehen! Hühnchen bricht aus und entdeckt die Schönheit der Welt, wobei man durchaus Goethes Mignon-Lied aufscheinen sehen kann. Die Reise des Freigeists stößt allerdings an Grenzen, wo der Fuchs die Zähne bleckt. Gibt es einen Kompromiss zwischen Selbstentfaltung und Sicherheit? Große Fragen für junge Menschen.

Glaube an die Veränderbarkeit der Welt

Eine fünfköpfige Hühner-Band im Federkleid unter roter Haube heizt diese grundgrüne Coming-of-Age-Geschichte unter Leitung von Sinem Altan an, mit Quintfidel, Kontrabass und indischem Harmonium, mit teils Weill-mäßigen Melodien und pointierten Texten – was besonders schön bei den Verwalter-Songs zu hören ist. Der schnauzbärtige Ausbeuter (Guylaine Hemmer in einer tollen Latzhosen-Rolle) wird von der Lege-Belegschaft mit dem „Lied vom dümmsten Hühnerhalter“ bedacht, in dem es zur Freude eines altersentsprechend anarchiebereiten Publikums unter anderem heißt: „Unser Herr Verwalter, ist ein blöder Alter. Wir kacken ihm frech auf den Fuß, das ist unser Morgengruß“.

Im Bühnenbild von Jochen G. Hochfeld – einem drehbaren Käfigbau nebst Sitzstange und Fluchtloch – verdichtet sich das 75-minütige Singspiel zum Öko-Empowerment mit finalem „Hühnerkampflied“ („Unsere Eier gehören uns!“) - wie in Grips-Fällen getragen vom Glauben an die Veränderbarkeit der Welt, will heißen: an den Wandel zum Bio-Bauernhof. Lehrreich fällt diese „Hühneroper“ aus, unter anderem mit einer kindgerechten Kraftfutterkunde („Das ist, als ob ihr einen Drops bekommt, statt auf den Spielplatz zu gehen“), aber didaktisch wird sie nie. Doch eins ist sicher: Danach sieht jeder sein Frühstücksei mit anderen Augen.

Wieder am 8., 11., 26. bis 28. November

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