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Finstere Zeiten. Karl Hofers Gemälde von 1943, „Die schwarzen Zimmer“, gab den Titel der Ausstellung der Nationalgalerie zur „Geschichte einer Sammlung 1933 bis 1945“.

© bpk/Nationalgalerie SMB/Jörg P. Anders

Die "Galerie des 20. Jahrhunderts": Als die Bilder zurückkehrten

Nach dem Zweiten Weltkrieg gründete Berlin seine „Galerie des 20. Jahrhunderts“. Im Westen ging sie in der Neuen Nationalgalerie auf. Nun wird ihre Geschichte erforscht.

An diesem Montag beginnt die Jurysitzung zur Auswahl derjenigen Architekten, die am Realisierungswettbewerb für das „Museum des 20. Jahrhunderts“ am Kulturforum teilnehmen dürfen. Nahezu vergessen ist, dass es schon einmal in Berlin eine „Galerie des 20. Jahrhunderts“ gab, und dass diese Sammlung moderner Kunst in der Sammlung der Neuen Nationalgalerie aufging. Sogar das weltberühmte Museumsgebäude von Ludwig Mies van der Rohe wurde ursprünglich für jene Galerie errichtet.

Es ist der richtige Zeitpunkt, die Geschichte dieser ominösen Sammlung ins Gedächtnis zu rufen. Nationalgalerie und Kupferstichkabinett der Staatlichen Museen, denen die Bestände der Landesgalerie zugeteilt wurden, haben ein entsprechendes Forschungsprojekt auf den Weg gebracht, dessen Ergebnis nun in Buchform vorliegt. Was da aufgeblättert wird, ist mehr als eine Museumsgeschichte – es ist, an einem herausragenden Fallbeispiel, die Geschichte des geteilten Berlin.

Zwei Fotografien aus dem Jahr 1955 lassen erkennen, wie stark die politischen Verhältnisse der seit 1948 zweigeteilten Stadt auf das Kulturleben einwirkten. Das eine Foto zeigt den Generaldirektor der Ost-Berliner Staatlichen Museen, Ludwig Justi, zusammen mit dem Ministerpräsidenten der DDR, Otto Grotewohl, das andere den Leiter der West-Berliner Galerie des 20. Jahrhunderts, Adolf Jannasch, mit Theodor Heuss, dem Präsidenten der im selben Jahr 1949 gegründeten Bundesrepublik Deutschland. Zwei Fotos, die politische Ansprüche auf dem Weg über die Kunst symbolisieren.

Ludwig Justi, dem seit 1907 in den Preußischen Museen beschäftigten, 1933 von den Nationalsozialisten aus dem Amt gejagten und 1946 zu den durch Kriegsverluste stark dezimierten Museen zurückgekehrten Grandseigneur, war es gelungen, die im Ostteil Berlins zunächst städtisch verwalteten Museen in die Obhut des SED-Staates mit seinen ungleich größeren finanziellen Möglichkeiten zu geben.

Ein Haus für aktuelle Kunst - als Wiedergutmachung für die NS-Barbarei

Im Westteil Berlins hingegen war es Aufgabe der Galerie des 20. Jahrhunderts, den Anspruch der Stadt auf mindestens nationale Geltung in Kunstdingen zu untermauern, was der Besuch des Bundespräsidenten im völkerrechtlich nicht zur Bundesrepublik gehörenden West-Berlin betonen sollte. Doch die von den West-Alliierten geborgenen Kunstwerke aus den Berliner Museen lagerten damals in Westdeutschland, ihre Zukunft war ungewiss. Die in den von der Roten Armee besetzten Gebiete Deutschlands aufgefundenen Schätze hingegen waren in die Sowjetunion gebracht worden.

Dies war die Situation seit Kriegsende. So beschloss der anfangs für ganz Berlin zuständige Magistrat bereits im November 1945 die Gründung einer städtischen Sammlung, der seit 1948 offiziell so bezeichneten „Galerie des 20. Jahrhunderts“. Sie bestand in West-Berlin immerhin bis 1968, als sie in der Nationalgalerie der neugegründeten Stiftung Preußischer Kulturbesitz aufging.

Die Galerie sollte ein „Museum lebender Kunst“ sein, nicht allein, weil Mittel zum Rückerwerb der 1937 als „entartet“ beschlagnahmten, verramschten oder zerstörten Kunstwerke fehlten, sondern um eine „organische Verbindung mit dem frischen Strom lebender Kunst“ schaffen. Adolf Jannasch (1898-1984) war als Leiter des Amtes für Bildende Kunst der geeignete Mann, pflegte er doch intensiven Austausch mit den Berliner Künstlern und Galeristen, die bereits im Sommer 1945 überall an die Öffentlichkeit traten.

Ludwig Justi (1876-1957) hatte als Direktor der (preußischen) Nationalgalerie ab 1919 deren moderne Abteilung im Kronprinzenpalais aufgebaut, das weltweit erste Museum allein für zeitgenössische Kunst. Während Justi, seit 1946 Generaldirektor der ehemals Staatlichen Museen, die Wiederbelebung der ab 1933 um über 500 Werke beraubten Nationalgalerie betrieb, war Jannasch um Erwerbungen für die zunächst nur auf dem Papier bestehende Galerie bemüht. Zwar zwangen die bescheidenen Mittel zur Fokussierung vorwiegend auf Berliner Künstler. Doch zugleich solle die Galerie, so Jannasch, „allmählich das frühere Kronprinzenpalais ersetzen und damit eine Art der Wiedergutmachung an der von den Nazis entrechteten und verhöhnten ,entarteten Kunst‘ darstellen.“

Leitbild in Ost und West: die preußische Sammlung im Kronprinzenpalais

Die politische Teilung Berlins im Jahr 1948 zerriss die noch kaum existierende Galerie. Während sie im Westen zwanzig weitere Jahre lang bestand und ausgebaut wurde, kam sie im Osten alsbald unter die Obhut der Nationalgalerie und wurde nach 1948 mit ihr verschmolzen.

Im Westen dauerte es bis Anfang der sechziger Jahre, bis die 1956 vom Bundestag ins Leben gerufene Stiftung Preußischer Kulturbesitz als Nachfolgeeinrichtung der preußischen Museen, Bibliotheken und Archive ihre Arbeit aufnehmen konnte. So entstand auch die Nationalgalerie wieder – die zweite neben der im Ostteil der Stadt. Während sie im Schloss Charlottenburg ihre provisorische Unterkunft fand, kam die Galerie des 20. Jahrhunderts in ein Gebäude in der Jebensstraße am Bahnhof Zoo, wo heute das Museum für Fotografie residiert.

Interessant ist die Ankaufspolitik, die sowohl Jannasch im Westen als auch– mit weit beschränkteren Mitteln – Justi im Osten verfolgten. Die Erwerbungen, im Buch vollständig verzeichnet, belegen, dass beide sich am legendären Kronprinzenpalais als Maßstab orientierten. Beide Museumsleiter standen der figurativen Malerei aufgeschlossen gegenüber; im Westen, wo die ungegenständliche Kunst seit den fünfziger Jahren zum Ausdruck politischer Freiheit erklärt wurde, war dies im Lauf der Jahre immer weniger selbstverständlich. So wurde 1953 ein Schlüsselbild über die Bedrohung der NS-Zeit erworben, „Die schwarzen Zimmer“ von Karl Hofer, zu einer Zeit, als im Westen nur mehr die ungegenständliche Kunst als fortschrittlich und modern galt.

Der West-Berliner Senat beschloss zwar im April 1962, ein eigenständiges Museumsgebäude für „seine“ Galerie zu errichten, was in den Direktauftrag (!) an den exilierten und in Chicago zu Weltruhm gelangten Mies van der Rohe mündete. Doch zugleich forcierte er die Fusion mit der Nationalgalerie, die denn auch – der Mies-Entwurf war mittlerweile im Bau – Ende 1967 vertraglich besiegelt wurde. Aus der Galerie des 20. Jahrhunderts kamen 350 Gemälde und Plastiken in die Sammlung der Nationalgalerie; 300 Grafiken und 68 Mappenwerke gingen ans Kupferstichkabinett.

Anschluss an die Moderne

Erst der Direktor der Nationalgalerie-West ab 1967, Werner Haftmann, versuchte, mit spektakulären Ankäufen von Werken Francis Bacons, Henry Moores oder Mark Rothkos Anschluss an den internationalen, westlichen „Kanon“ der Kunst zu gewinnen. Den hatte er selbst mitformuliert, war er doch maßgeblich an der Konzeption der Documenta beteiligt, die erstmals 1955 stattfand. Haftmann äußerte sich entsetzt über den „desolaten Zustand“ der Sammlung im Bereich des 20. Jahrhunderts. Die Lücken zu füllen, die die Nazis gerissen hatten, erschien ihm als eine „nur mühsam und langfristig zu bewältigende Aufgabe“. Bei der Eröffnung im September 1968 standen die von Haftmann in rascher Folge erworbenen Schätze im Vordergrund.

Jannasch, inzwischen in den Hintergrund gedrängt, zeigte sich versöhnlich und sprach vom „weisen Akt der Zusammenführung“, und Haftmann konzedierte ebenso, die Galerie des 20. Jahrhunderts und die Nationalgalerie hätten sich aufeinander zubewegt, „da sie beide das gleiche Leitbild hatten: die ehemalige Sammlung im Kronprinzenpalais“.

Richtig ist, dass die Nationalgalerie im Westen auf den Anstrengungen Berlins aufbauen konnte, als sie den Anschluss an die Moderne suchte. Vor allem aber bewahrten Jannasch und ebenso Justi in Ost-Berlin die spezifische Berliner Tradition der Moderne; Jannasch in einem gesellschaftlichen Umfeld, das die Barbarei des NS-Regimes zunehmend ausblendete und sich als Ergebnis einer vermeintlichen „Stunde Null“ betrachtete. Die Konzeption der Galerie des 20. Jahrhunderts betonte die Kontinuität und Vielgestalt der Moderne. Indem sie der Geschichte der Kunst in Deutschland mit ihren furchtbaren Brüchen gerecht zu werden suchte, bleibt sie Vorbild und Maßstab für die Nationalgalerie von heute.

Christina Thomson, Petra Winter (Hrsg.): Die Galerie des 20. Jahrhunderts in Berlin 1945-1968. München/Berlin, Deutscher Kunstverlag, 368 S., 49 Euro.

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