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Neue Heimat der daadgalerie in der Oranienstraße.

© Mike Wolff

Die daadgalerie an neuem Ort: Ankunft guter Geister

Deutschlands berühmtestes Künstlerprogramm hat eine neue Spielstätte: Die daadgalerie zieht von der Zimmerstraße in die Kreuzberger Oranienstraße.

Von Gregor Dotzauer

Der Genius Loci ist ein flatterhaftes Ding. Als Schutzgeist eines Hauses, eines Viertels oder einer ganzen Stadt verlangt er nach Respekt und nimmt, wenn man ihn allzu sehr beschwört, doch die Beine in die Hand und lässt sich anderswo nieder. Er spricht durch Verkehrslärm, Kindergeschrei und Kneipendialoge. Müllgestank und Kastanienduft hängen an seinen Kleidern, und in seinen Gliedern recken und strecken sich, je nach Blutdruck, muntere Morgen und trübe Nachmittage, dahinrasende Wochen und verlorene Jahre.

Als sich das Berliner Künstlerprogramm des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) im Dezember 1978 mit der daadgalerie in der Kurfürstenstraße, im ersten Stock über dem Café Einstein, seine erste eigene Spielstätte schenkte, fühlte sich der Genius Loci in Tiergarten noch wohl. Im Handumdrehen entwickelte sich die Galerie zu einer Westberliner Institution. 15 Jahre nach der Einrichtung des Künstlerprogramms konnten die internationalen Stipendiaten aus bildender Kunst, Performance, Video, Literatur und Musik ihre Arbeiten endlich an zentralem Ort zeigen.

White-Cube-Ästhetik in der Zimmerstraße

Das Programm fungierte stets als kulturelles Frühwarnsystem und Konsekrationsinstanz. Nicht erst die Gäste jener Jahre künden davon eindrucksvoll. Der Blick auf die Gesamtliste (berliner-kuenstlerprogramm.de/de/gaeste.php) zeugt von der treffsicheren Auswahl in allen vier Sparten, denen die daadgalerie schließlich eine bessere Hör- und Sichtbarkeit verschaffte. Denkwürdige Ausstellungen von Ilya Kabakov oder Damien Hirst fanden statt, und sämtliche großen ungarischen Literaten von Péter Esterházy bis zu Péter Nádas haben hier gelesen.

Es war nicht der Straßenstrich, der die Kurfürstenstraße ins Abseits rückte, es war der Mauerfall. Der Genius Loci fühlte, wie mächtige Gravitationskräfte an ihm zerrten. 2005 zog die daadgalerie in die einst geteilte Zimmerstraße hinter dem Checkpoint Charlie um, ermutigt von anderen ansiedlungswilligen Galerien. Doch die White-Cube-Ästhetik wirkte trotz kontinuierlich starker Programme steril, sie war auch akustisch schwer zu bespielen. Und während die ersten Galerienachbarn aus der zu Tode sanierten Gegend schon wieder flohen und damit auch den Touristenhorden entgingen, wuchs beim DAAD der Wunsch, sich noch einmal zu verändern.

In der Zimmerstraße präsentierte Sanja Ivekovic 2015 ihren Denkmal-Entwurf für die Revolutionäre der Arbeiterbewegung.
In der Zimmerstraße präsentierte Sanja Ivekovic 2015 ihren Denkmal-Entwurf für die Revolutionäre der Arbeiterbewegung.

© Krzystof Zielinsk

Die neue daadgalerie befindet sich in der Oranienstraße 161, zwischen Moritzplatz und Oranienplatz. Kreuzberg rumort hier mit seinem alten heruntergeranzten Chaos gegen den neuen Chic an. Richtung City grüßt das Aufbau-Haus, Richtung Schlesisches Tor Bazon Brocks Denkerei. Links des vierstöckigen, von Oskar Kaufmann von 1910 bis 1912 erbauten Gebäudes residiert seit über 100 Jahren das Wirtshaus Max und Moritz. Rechts finden sich ein Autoersatzteilhändler sowie eine Beratungsstelle für Flüchtlinge und Migranten; gegenüber warten Brandenburger Landwaren, ein Internetcafé, ein Antiquariat und ein China-Thai-Bistro auf Kundschaft.

Angesichts dieser Kontraste wird ein verlässlicher Genius Loci nicht lange auf sich warten lassen. Dass zur Eröffnung am Donnerstagabend die südkoreanische Multimediakünstlerin Minouk Lim den „New Town Ghost“ in einer Performance mit dem Untertitel „GAGA HOHO“ herbeiruft, ist nicht nur ein vielversprechendes Zeichen. Für „Topophilia / Topophobia“, das Leitthema aller Veranstaltungen in den ersten zehn Tagen, könnte es auch kaum eine geeignetere Beobachterin urbaner Strukturen geben.

Den Umbau des neuen Hauses übernehmen Kuehn Malvezzi

Die Ambivalenz von Rückzug aus und Hingezogenheit zu öffentlichen Räumen ist ihr bereits aus Seoul vertraut, einem jener im historischen Schnellverfahren industrialisierten Großgewächse, von dem Berlin bei allen Wucherungen Lichtjahre entfernt ist. Und dass Lim dabei stillschweigend den Bogen vom großen koreanischen Miteinander, das aus den verdoppelten Wörtern für Haus (Ga) und für Tür (Ho) gebildet ist, zum römischen Genius schlägt, ist angesichts der Spannweite, die das Künstlerprogramm Tag für Tag ausmisst, nur angebracht.

Der Architekt Oskar Kaufmann, ein ungarischer Jude, von dem auch das Hebbel- und das Renaissance-Theater sowie die Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz stammen, verkaufte sein Haus in den 20er Jahren an den Schuhhändler Reinhold Stiller, der dort auch ein Geschäft einrichtete. Bis in die 60er Jahre beherbergte es ein Kino, das Oranien-Theater, bevor es nun auf zwei Etagen von jeweils rund 250 Quadratmetern wieder zu öffentlichem Leben erwacht.

Den Umbau haben Kuehn Malvezzi übernommen, ein Büro, das schon für die Flick Collection im Hamburger Bahnhof und das Kunstgewerbemuseum am Kulturforum zuständig war. Die White- Cube-Ästhetik aus der Zimmerstraße dominiert auch hier, aber wenn das Baustellengewimmel, das wenige Tage vor der Einweihung noch in vollem Gange ist, den ersten Augenschein nicht irritiert, ist die neue daadgalerie ein Ort, an dem man gerne zusammenkommt.

Mit dem Studio im ersten Stock ist ein variabel bespielbarer Veranstaltungsraum entstanden, der sich rein platzmäßig nicht mehr in Konkurrenz zu den Ausstellungen im Erdgeschoss begeben muss. Während oben überdies eine Künstlergarderobe, ein Arbeitsraum und eine kleine Bibliothek untergebracht sind, findet sich unten eine Werkstatt mit Lagermöglichkeiten. Katharina Narbutovic, die Leiterin des Berliner Künstlerprogramms, hofft mit der glücklichen Konzentration fast aller öffentlichen Aktivitäten in der Oranienstraße auch auf eine stärkere Präsenz in der öffentlichen Wahrnehmung – nur die Musik will beim Ultraschall Festival oder der MaerzMusik Außenterrain verteidigen.

Am 4. Februar Vernissage von Wendelien van Oldenburgh

Wo man früher (neben dem Privileg ungewöhnlicher Spielorte wie der PanAm Lounge) bei allen möglichen Institutionen Unterschlupf suchte, rücken auch die Kunstgattungen näher zusammen. Und wenn es darum geht, ein der Inspiration zuträgliches Kraftfeld zu suchen, so ist der DAAD in Kreuzberg doch kein völliger Neuling. Im Künstlerhaus Bethanien unterhält er seit vielen Jahren für seine Stipendiaten Ateliers.

Vor einigen Jahren glaubte man, mit dem Amerika-Haus schon einen geeigneten Ort gefunden zu haben. Dorthin wäre dann auch der wissenschaftliche Teil des DAAD umgezogen, der wie die Verwaltung des Künstlerprogramms nach wie vor am Gendarmenmarkt zu Hause ist. Der Senat gab 2014 dann aber dem Fotografie-Haus C/O den Vorzug. Nun also Kreuzberg. Bis zum 22. Januar geben sich dort fast allabendlich Künstler, Dichter und Musiker die Klinke in die Hand. Dann wird aus guten Gründen kurz geschlossen. Denn am 4. Februar steht die Vernissage von Wendelien van Oldenburgh bevor. Die Niederländerin gestaltet im Herbst auch den Pavillon ihres Landes bei der Biennale in Venedig.

daadgalerie, Oranienstr. 161, 10969 Berlin, Eröffnung Donnerstag, 12.1., ab 18.30 Uhr, Eintritt frei wie bei allen Folgeveranstaltungen bis 22.1., www.daadgalerie.de

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