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Kultur: Deutsches Theater Berlin: Mummenschanz mit Vögeln

Wo der Mann sein Geschlechtsteil hat, hat die Frau ihren Geldbeutel. Eine drastische Weise, das Spannungsverhältnis zwischen zwei Menschen zu veranschaulichen, hat sich der Regisseur der Berliner Marivaux-Inszenierung da einfallen lassen.

Wo der Mann sein Geschlechtsteil hat, hat die Frau ihren Geldbeutel. Eine drastische Weise, das Spannungsverhältnis zwischen zwei Menschen zu veranschaulichen, hat sich der Regisseur der Berliner Marivaux-Inszenierung da einfallen lassen. Der Diener Trivelin ist seinem neuen Herrn, einem Chevalier, auf die Schliche gekommen: Trivelin hat erkannt, dass hinter der Maskerade des flotten Edelmanns eine Frau steckt; wenn er ihr Geheimnis nicht verraten soll, muss sie ihn dafür bezahlen. Er knöpft seine Hose auf und zeigt seine Waffe - sie fasst in ihren Schoß und kramt aus dem Beutel, den sie da birgt, die Moneten hervor. Der nackte Penis findet sich im Text der Komödie aus dem Jahr 1724 freilich nicht, ihn hat erst François-Michel Pesenti für seine Inszenierung in den Kammerspielen des Deutschen Theaters aus der Situation herausgelesen.

Der Rokoko-Autor Pierre Carlet de Marivaux ist ein Meister der ausgeklügelten Intrige; das Versteckspiel, das er in seinen bekanntesten Stücken treibt, etwa im "Spiel von Liebe und Zufall", verfolgt den Zweck, ein Liebesverhältnis auf die Probe zu stellen und, wider alle Gefährdung, als echt zu erweisen. Was uns Zuschauer dabei fesselt und schließlich entzückt, ist klar: der Triumph der Liebe. Ein Happy End, das "Die falsche Zofe" indes dem Publikum vorenthält - die Intrige, die hier gesponnen wird, hat im Gegenteil das Ziel, eine Liebe als unecht zu erweisen. Es ist jene als Chevalier verkleidete Frau, die mittels der Maskerade prüft, ob der Mann, mit dem die Familie sie verheiraten will, ihrer wert ist; die vermögende Pariserin fürchtet, dass dieser Lelio es lediglich auf ihr Geld abgesehen hat, und ein Besuch auf einem Landgut in der Provinz, wo alle Fäden der Intrige zusammenlaufen, bestätigt ihr diesen Verdacht. Lelio, mit der Gutsherrin, einer Comtesse, verlobt, verrät dem vermeintlichen Chevalier, dass er das Eheversprechen lösen will zu Gunsten einer Pariserin, die erheblich reicher sein soll als die Comtesse ...

Die Wahrheitsfindung ist damit frühzeitig abgeschlossen, der Chevalier aber hat, wie er uns wissen lässt, ein "Vergnügen" daran, das Maskenspiel noch zwei Akte lang fortzusetzen, bis er am Ende sein wahres Gesicht zeigt - auch dem Diener Trivelin, dem gegenüber er sich als Zofe der Pariserin ausgegeben hat. Ein Vergnügen, das man angesichts dieser Aufführung leider nicht so recht teilt. Der französische Regisseur, zugleich sein eigener Bühnenbildner, und der Dramaturg Dietmar Böck haben versäumt, die spitzfindig-überspitzte Dialogsprache, die berühmt-berüchtigte Marivaudage, zu straffen; ungebremst dürfen die Schauspieler schwadronieren - so ungeniert, wie die vielen Vögel tirilieren, die im Hintergrund des kastenförmigen, von Kerzenlicht erhellten Raums eine Volière füllen. Schwadronieren, tirilieren, als drittes Verb, für den dreistündigen Abend charakteristisch, drängt sich "gestikulieren" auf: Pesenti hält vornehmlich seine Hauptdarstellerin zu einem Gefuchtel an, als gelte es, sich Taubstummen verständlich zu machen. Bettina Hoppe unterzieht sich diesem Exerzitium immerhin mit einer gewissen tänzerischen Eleganz; ihr Chevalier ist, zwischen Männlein und Fräulein, ein feines Bürschchen. Als Lelio kehrt Roman S. Pauls den dummdreisten Macho hervor, pointiert seine Frauenverachtung mit wiehernder Lache. Den Trivelin gibt, sich windend, Norman Schenk: mal scheinheilig, mal angriffslustig, ein sehr ungebärdiger Diener. Als Comtesse wirft sich Franziska Hayner in die wogende Brust - die Ärmste ist, zumindest momentweise, mehr als eine hampelnde Gliederpuppe, nämlich der einzige Mensch auf dieser Bühne.

Günther Grack

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