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Bausa gelang mit „Was du Liebe nennst“ ein Charts-Rekord.

© Warner

Deutsch-Rap 2017: Babe, ich brauch's, dass du mich brauchst

Der deutsche Hip-Hop ist in diesem Jahr vielfältiger geworden: Es gibt mehr gefühlvoll-sanfte Rapper – und mehr Frauen.

Es geht um Sex, aber es klingt nach Schlager: „Hilf mir zu vergessen, was war/ Ich park mein Herz bei dir heute Nacht, yeah/ Also gib mir mehr von dem, was du Liebe nennst“, wimmert der junge Mann. Die Zeilen stammen aus dem Refrain des erfolgreichsten Deutsch-Rapsongs seit 20 Jahren. Bausas „Was du Liebe nennst“ stand zwölf Wochen lang ununterbrochen an der Spitze der deutschen Single-Charts und übertraf damit den alten Rekord von Tic Tac Toes „Warum“ um fünf Wochen.

Der bemerkenswerte Erfolg dieses Songs – auf Youtube wurde er bisher 54 Millionen Mal angeklickt – ist das deutlichste Zeichen für einen Trend, der sich dieses Jahr in Pop-Deutschland durchgesetzt hat: der Cloud Rap, eine gefühlige, mit flächigen Keyboards und viel Autotune-Einsatz arbeitende Hip-Hop- Spielart, die das beim jungen Publikum wichtigste Genre weiter ausdifferenziert hat.

Langsame Songs, melancholischer Singsang

Wobei das langsame, reduzierte Klangbild einen angenehmen Kontrast zur Aggressivität von Straßenrappern wie Haftbefehl oder Bushido bildet, aber auch zu etablierten Deutschrappern wie Marteria und Casper, die beide in diesem Jahr gute Alben veröffentlicht haben.

Obwohl Bausa mehr singt als rappt – auch sein Überhit ist von seinem souligen Gesang geprägt – und seine Lieder hohe Popanteile aufweisen, gehört er doch zu den deutschen Protagonisten einer Szene, die die im Cloud-Sound vorherrschende, aus dem amerikanischen Süden stammende Trap-Ästhetik der schnarrenden Hi-Hats und druckvollen Bässe plausibel in hiesige Gefilde überführt hat. Nachzuhören auf seinem im April veröffentlichten Debüt „Dreifarbenhaus“, das er nach Stuttgarts größtem Bordell benannt hat und auf dem es vorzugsweise um Sex, Party und seine Herkunft geht.

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Der 1989 in Saarbrücken geborene Bausa, bürgerlich Julian Otto, lebt in Bietigheim-Bissingen – offenbar eine sehr inspirierende schwäbische Kleinstadt, denn auch die Rapper Shindy und Rin sind hier ansässig. Letzterer hat mit seinem im September erschienen Debüt „Eros“ eines der herausragenden deutschsprachigen Cloud-Alben veröffentlicht. Darauf dominiert sein melancholischer Singsang, den er immer wieder mittels Autotune verzerrt, in der großartigen Einsamkeitsnummer „Ich will, dass du mich brauchst“ sogar bis in die Weinerlichkeit hinein. Zu einem tief wummernden Beat und einem sehnsuchtsvoll aufheulenden Synthie wiederholt er ständig die Titelzeile, um irgendwann vernuschelt zu gestehen: „Ich hab’ kein Selbstbewusstsein, brauchs, dass du mich brauchst/ Babe, keine Ehre, Babe, ich brauchs, dass du mich brauchst“.

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So viel Verletzlichkeit ist selten im deutschen Hip-Hop. Die Möglichkeiten der männlichen Genderrepräsentation scheinen sich – inspiriert von nordamerikanischen Vorbildern wie Drake oder Frank Ocean – ohnehin weiter aufzufächern. Neben Dicke-Hose-Mackern wie Bushido, Xatar, Kontra K & Co. ist nun auch für gebrochene Typen wie Rin oder den spillerigen Österreicher Yung Hurn Platz. Letzter zeigt in seinen Videos gern seine tätowierte Hühnerbrust, während junge Frauen an ihm herummachen. Der Wiener ist ein begabter Minimalist mit Hang zum Gaga-Text und zur leiernden Wiederholungsschleife. So besteht sein Song „Nein“ aus lediglich 103 Wörtern, 40 davon lauten „Nein“ und acht „No“. Mehr als sieben Millionen Leute haben sich das seit 2015 auf Youtube angeschaut. Es gibt aber auch vieles, wozu Yung Hurn „Ja“ sagt. In „Bianco“ – einem Duett mit Rin – besingt er zum Beispiel weiße Dinge, zuallererst Kokain. Auch seinem Lieblingswodka hat er ein Lied gewidmet.

Die US-Vorbilder trinken codeinhaltigen Hustensaft

Alkohol und Marihuana scheinen die bevorzugten Drogen der deutschsprachigen Wolkenrapper zu sein. Das unterscheidet sie von ihren amerikanischen Vorbildern, die auf codeinhaltigen Hustensaft schwören. Das in den USA deutlich leichter erhältliche opiatbasierte Medikament wird für die extreme Verlangsamung der Tracks verantwortlich gemacht und hat schon einigen Rappern das Leben gekostet. Stars wie Lil Wayne und Gucci Mane kämpften mit ihrer Abhängigkeit von dem lilafarbenen Sirup. Derweil feiert A$AP Rocky, auf den sich die deutschsprachigen Kollegen explizit beziehen, den Saft in Songs wie „Purple Swag“, und der Südstaaten-Star Future hat ihm sein ganzes letztes Album „Purple Reign“ gewidmet. Der schwedische Rapper Yung Lean nennt sich gleich selbst nach der englischen Bezeichnung für das Medikament, von dem er schon ein paar Überdosen erwischt hat.

Sedieren statt rebellieren

In der deutschsprachigen Szene gibt es zwar Rapper wie Hustensaft Jüngling und Money Boy, die über Codein reimen, doch eine relevante Größe hat dieses Phänomen nicht erreicht. Was die Europäer und die Nordamerikaner allerdings eint, ist eine introvertierte, fast schon depressiv wirkende Haltung, die auch als Reaktion auf die politischen und ökonomischen Dauerkrisen gesehen werden kann. Eine resignierte Generation, die nicht an Rebellion und schon gar nicht an den befreienden Krach von Gitarren glaubt, sediert sich und zieht sich zurück. Verweigerung durch Phlegma.

Deutsch-Rap ist keine reine Männerdomäne mehr

Die Rapperin Haiyti aus Hamburg.
Die Rapperin Haiyti aus Hamburg.

© Tim Brüning

Interessanterweise sind es ausschließlich Männer, die im Cloud Rap auf sich aufmerksam gemacht haben. Die Hip-Hop- Frauen sind – zumindest hierzulande – deutlich extrovertierter und angriffslustiger, denn sie versuchen, sich einen Platz in der Szene zu erkämpfen. Damit haben sie zunehmend Erfolg, es gibt immer mehr von ihnen. Deutsch-Rap ist keine reine Männerdomäne mehr, in der nur ausnahmsweise mal eine Sabrina Setlur einen Hit hat. Jahrzehnte nach Pionierinnen wie Cora E. und Aziza A. gibt es überall im Land vielversprechende Rapperinnen wie die Hamburgerin Ace Tee, deren Song „Bist du down“ sogar US-Medien ins Schwärmen brachte. Genau wie ihr Mini-Album „Tee Time“ erinnert er stark an den Hip-Hop und R’n’B der Neunziger, Aaliya, TLC und Lauryn Hill sind offensichtliche Einflüsse. Ein sehr entspannter Sound, bei dem allerdings die herausgehobene Rolle von Rapper Kwam.e irritiert.

Aus Berlin kommt das Duo SXTN, das im Juni sein Debütalbum „Leben am Limit“ veröffentlichte und im Herbst gleich eine Clubtour ausverkaufte. Die Strategie von Juju und Nura ist einfach: Sie geben sich genauso aggressiv und sexistisch wie ihre traditionellen männlichen Kollegen. Dazu gehört auch, dass sie sich selbst als Fotzen bezeichnen, wodurch dieser Ausdruck als Beschimpfung ins Leere laufen soll. Sie verkörpern ein Frauenbild, das dem Stereotyp von der netten, unterwürfigen Lady diametral entgegensteht. „Wir ficken deine Mama / Wir sind jeden Tag im Studio / Jetzt gibt’s wieder Drama / Und du bist immer noch ein Hurensohn“, heißt es im Eröffnungsstück ihres Albums.

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So selbstermächtigend und frauenbestärkend SXTN mitunter rüberkommen, reproduzieren die Neuköllnerinnen an anderer Stelle – etwa ihrem unsäglichen Song „Hass Frau“ – ganz platt den Sexismus ihrer Branche. Davon sind im Übrigen auch die Cloud-Kollegen, die gern mal von „Bitches“ erzählen, nicht frei.

Sookee schrieb auf Twitter #metoo

Gegen Frauenfeindlichkeit – innerhalb und außerhalb  des Hip-Hop-Geschäfts – kämpft seit Jahren die queer-feministische Berlinerin Sookee. Zuletzt etwa in dem selbstkritischen Track „Die Freundin von“, der auf ihrem aktuellen Album „Mortem & Makeup“ zu finden ist. Es geht um Leute, vor denen sie zu Beginn ihrer Karriere Angst hatte, deren Anerkennung sie aber um jeden Preis erringen wollte. „Ich weiß wie es sich anfühlt, wenn mit ’nem Schlag ins Gesicht / Es einmal kurz knackt und dein Nasenbein bricht / Ich hab die Fresse gehalten in ihrer Gegenwart / Sie haben mich ignoriert oder verarscht, wie es gelegen kam“, rappt die 34-Jährige, die im Oktober auf Twitter #metoo postete. Sookee gehört zu den wenigen hörbaren Stimmen aus der deutschen Pop-Branche in der Post-Weinstein-Debatte. Ansonsten ist es verdächtig ruhig geblieben. Offenbar sind die Scham- und Schweigekartelle stabiler als in der Filmwelt.

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Auch Haiyti, derzeit eine der meistgehypten Hip-Hop-Hoffnungen des Landes, hat sich hier nicht eingeschaltet. Was natürlich viele Gründe haben kann. Sie konzentriert sich gerade ohnehin darauf, ihr am 12. Januar erscheinendes Album „Montenegro Zero“ (Vertigo Berlin) zu vermarkten. Nach einer Reihe von selbst verlegten Alben – darunter das tolle Trap-Mixtape „City Tarif“ – ist es die erste Major-Veröffentlichung der Hamburgerin, die nebenbei Kunst studiert. Es ist ein beeindruckend vielfältiges Album geworden, mit dem ihr der Sprung in den Mainstream gelingen könnte. Mit der Single „100 000 Fans“ deutet sie ihre Ambitionen an: „Ich hab 100 000 Fans, die mich noch nicht kennen /Sie schreien alle meinen Namen“, rappt sie über einen minimalistischen Dancehall-Beat, wobei ihre Stimme immer wieder in grenzkreischige Regionen treibt – Autotune inklusive.

Haiyti nennt sich selbst Gangster-Rapperin, weshalb es auf dem Album auch mal um einen Mafia-Onkel und Ähnliches geht. Aber letztlich ist das nur eine ihrer vielen Rollen. Wie im „100000 Fans“-Clip zu sehen, spielt sie auch gern mal eine Diva oder eine fancy Leder-Lady – sie alle können verdammt gut rappen. Und die Jungs haben nächstes Jahr harte Konkurrenz auf ihrer Wolke.

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