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Deutsch-italienisches Spannungsverhältnis:Emilio Vedovas Arbeit "Berlin "33/63" (Ausschnitt).

© aus dem besprochenen Band "Deutschland - Italien", Sandstein Verlag

Deutsch-italienisches Verhältnis: Beppe Grillo hat ein Manifest verfasst. Und Historiker analysieren die deutsch-italienische Geschichte

Sehnsuchtsort, Krisenstaat, Kriegsschauplatz: Wie die Deutschen nach Italien, dem Land der 5 Sterne, schauen - und umgekehrt. Und wie Italiener und Deutsche gemeinsam auf die dunkelsten Kapitel ihrer gemeinsamen Geschichte schauen. .

Nun rollt sie wieder, die Welle der friedlichen Invasion gen Süden. Aber in Italien, dem traditionellen Sehnsuchtsland der Deutschen, hat sich das Klima abgekühlt. Die Deutschen sind weiter willkommen, man schätzt ihre Liebe zu Küsten, Küche und Kultur. Und ist auf diese Liebe ökonomisch auch angewiesen. Aus der wirtschaftlichen Krise ist jedoch eine italienische Identitätskrise geworden.

Dabei spielt „la Merkel“, die deutsche Cancelliera, zwar die Rolle des klassischen Sündenbocks – sie und die nordeuropäischen Sparstrümpfe sind bekanntlich mitschuldig an der mediterranen Misere. Darin scheinen sich Italien, Frankreich, Spanien, Griechenland einig zu sein. Aber zugleich kränkt die ex negativo bezeugte Abhängigkeit von Deutschland und dem Ausland den eigenen Stolz. Man kann das auch herauslesen aus dem nun auf Deutsch erscheinenden Bekenntnisbuch von Beppe Grillo, Dario Fo und Gianroberto Casaleggio: „5 Sterne. Über Demokratie, Italien und die Zukunft Europas“.

Die bei Klett-Cotta publizierte Übersetzung (240 Seiten, 16,95 €) ist ein Manifest der vom Komödianten Grillo angeführten „Fünf Sterne“-Bewegung, die bei den letzten italienischen Parlamentswahlen aus dem Stand zur zweitstärksten Partei emporschnellte, jüngst bei Kommunalwahlen allerdings einen ersten Dämpfer erhielt. Grillo bescheidet nun der Kanzlerin im neuen Buch: „Merkel soll ihre Probleme lösen, wir haben unsere eigenen.“ Die „nationalen Probleme“ seien vorrangig „und dann die internationalen Beziehungen“, die „nie zu Lasten der eigenen Interessen“ führen dürften. Grillos Medienchef Gianroberto Casaleggio, ein Mailänder IT-Unternehmer, ergänzt das knapp: „Mich interessiert eigentlich nicht, was in der Schweiz, Deutschland oder Paraguay los ist.“ Frei nach der Devise, mein Heim ist mein Palazzo.

Das verwundert schon. Grillo und Casaleggio predigen die liquide Basisdemokratie, und ihre Basis ist, für Italien tatsächlich revolutionär, das Internet. Aber ausgerechnet die Apologeten eines globalen Mediums blenden alle weltweiten Vernetzungen ihres Landes aus, setzen auf den lokalen Mittelstand – wobei die verständliche Aversion gegen das verkrustete politische Establishment und (oft staatsbürokratisch verflochtene) Kapitalgesellschaften allerdings romantische Züge trägt. Während Italiens von Arbeitslosigkeit bedrohte Jugend erstmals in breiten Schichten ausländische Sprachen lernt und neapolitanische Schulklassen oder Florentiner Studenten auf die Berliner Szene fliegen, wollen die älteren Herren der Grillini ihr Land gleichsam renationalisieren. Nur der Weltkünstler Dario Fo meldet im sokratisch gemeinten Dialog des FünfsterneTrios hier und da seine Zweifel an.

Das Archaische, gepaart mit dem Digitalen – vom Weltnetz zu den Netzmaschen der von EU-Normen drangsalierten ligurischen Fischer. Mittendrin reißt es den 65-jährigen Grillo sogar zu einer Macho-Hymne auf Pornografie und Prostitution im Internet hin. Worüber der alles andere als prüde (und 20 Jahre ältere) Fo sich nur wundern kann.

Statt übergreifendem Gemeinsinn der Rückzug aufs Lokale und Partikulare, auf die Familie, den heimischen Verein, den kommunalen Klüngel – der die Mischung aus Korruption und Byzantinismus im Staatsapparat im Kleineren wiederholt: Das ist das von den Grillini bekämpfte wie unwillkürlich bestärkte Problem. Im Mitmenschlichen wirkt diese familiäre Verbundenheit meist hochsympathisch. Aber Italien als Ganzes existiert fast nur noch zu Zeiten der Fußball-WM/EM. Im Übrigen hatte Pier Paolo Pasolini die Folgen des Umbruchs vom Agrarland zum Industriestaat Jahrzehnte vor Berlusconi vorausgesehen: als Sieg des consumismo, des nackten Konsumismus über Kirche, Katholizismus, Konservativismus oder Kommunismus. Als Bedrohung auch aller in den Stadtrepubliken und auf dem bäurischen Land gewachsenen Kultur Italiens.

Vor 70 Jahren landeten die Alliierten in Süditalien

Ein Foto von Gianni Berengo Gardin von 1975. Es zeigt die Bewohner des Städtchens Oriolo Romano
Neorealisten. Gianni Berengo Gardins Foto zeigt Bewohner des Städtchens Oriolo Romano im Süden der Provinz Viterbo, 1965. (Ausschnitt)

© Laif/ G.B. Gardin, aus dem besprochenen Band „Deutschland – Italien“, Sandstein Verlag

Tatsächlich ist Italien eine „verspätete Nation“, im 19. Jahrhundert als Einheitsstaat fast gleichzeitig mit dem Deutschen Reich entstanden. Das Liebes-, Achtungs- und Spannungsverhältnis zwischen Deutschland und Italien, herrührend aus Stauferzeiten, Dürer-Epoche, Goethe- Ära oder wechselseitigem Verdi- und Wagner-Kult, aktualisiert sich nun in diesem Jahr. Nur Zufall ist dabei, dass Wagner und Verdi beide vor 200 Jahren geboren wurden. Es geht vielmehr um die jüngere Zeitgeschichte. Vor 80 Jahren kam Hitler an die Macht, des Führers Vorbild war der Duce Benito Mussolini. Vor 70 Jahren, 1943, sind die Alliierten auf Sizilien und dem süditalienischen Festland gelandet, eroberten schließlich Rom. Italien, Hitler-Deutschlands Bündnispartner seit der 1936 begründeten „Achse Berlin – Rom“, wechselte die Seiten, Mussolini wurde verhaftet, dann von einem deutschen Fallschirmjägerkommando in den Abruzzen befreit. Und im September 1943 rief der Duce von Hitlers Gnaden einen norditalienischen Teilstaat am Gardasee aus: die faschistische Repubblica Sociale Italiana, die nach ihrer Hauptstadt meist als „Republik von Salò“ bezeichnet wird.

Sie endete am 25. 4. 1945, drei Tage vor Mussolinis Exekution durch Widerstandskämpfer, und der 25. April ist als „Tag der Befreiung“ bis heute Italiens nationaler Feiertag. Die Erinnerung aber an die Gründung jener von den Deutschen (mit-)dirigierten Marionettenrepublik vor 70 Jahren und Mussolinis letzte Schreckensherrschaft in fast irreal schöner Landschaft bedeutet im Gedenkjahr 2013 für Italien eine Herausforderung. Denn die Erinnerung ist gespalten. Man verklärte lieber die heldenhafte, aber kaum kriegsentscheidende Rolle der Resistenza, des späten Partisanenwiderstands gegen den deutschen und eigenen Faschismus. Zugleich aber ist Mussolinis Grab in Predappio bei Rimini längst eine Wallfahrtstätte, und nicht zuletzt Silvio Berlusconi hat den Diktator und ersten technokratischen Modernisierer Italiens gerne gepriesen.

Auf die zugrundeliegenden sozialmentalen und politisch-historischen Ambivalenzen hat unlängst die deutsch-italienische Historikerkommission verwiesen. Die mit je fünf Wissenschaftlern aus beiden Ländern besetzte, von den Regierungen Roms und Berlins 2009 berufene unabhängige Kommission hat zur Jahreswende 2012/13 ihren 182-seitigen Bericht vorgelegt. Darin wird die zwischen Deutschland und Italien gespaltene Erinnerung an Krieg und Diktatur eindrucksvoll beschrieben (nachzulesen auf der Website des Kulturzentrums Villa Vigoni: www.villavigoni.eu).

Erst haben beide Staaten bis 1943 gemeinsam (mit Japan) gegen den Rest der Welt gekämpft, haben Staaten überfallen und Völkermorde begangen, dann besetzte Hitler-Deutschland ab ’43 das zu den Alliierten gewechselte Land, verschleppte über 600 000 italienische Soldaten, die eben noch „Waffenbrüder“ waren, in Arbeitslager nach Deutschland, deportierte rund 10 000 italienische Juden – und tötete viele tausend Zivilisten bei zahllosen Massakern der SS und Wehrmacht als Rache für Partisanenaktionen.

Bekannt wurde vor allem die barbarische Erschießung von 335 Männern, Frauen und Kindern in den Ardeatinischen Höhlen südlich von Rom, angeordnet von der SS und höchsten Wehrmachtsstelle. Einer der Beteiligten, der SS-Offizier Erich Priebke, wurde erst Ende der 90er Jahre von einem italienischen Gericht zu lebenslanger Haft verurteilt, inzwischen verbüßt der Hundertjährige einen Hausarrest. Allein die Namen der Orte, an denen solche Verbrechen in Italien von 1943 bis 1945 geschahen, hätten nach Auskunft der Herausgeber Wolfgang Storch und Klaudia Ruschkowski mehr als die Umschlagseiten des großformatigen, reich illustrierten Bandes „Deutschland – Italien. Aufbruch aus Diktatur und Krieg“ gefüllt. Unlängst ist es im Dresdner Sandstein Verlag erschienen, in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Historischen Museum Berlin (395 Seiten, 48 €).

In Deutschland galt lange Zeit die Mär von der „sauberen Wehrmacht“. Und Italien schien weit weg von den Gräueln „im Osten“, an denen bis 1943 teilweise auch Italiener beteiligt waren. Italien wiederum wollte im Lichte der Resistenza Frieden machen mit dem eigenen Faschismus und begrub vieles bereits mit einer heute vor 66 Jahren verabschiedeten Generalamnestie. Erst seit Kurzem öffnen sich nun in Rom und andernorts die staatlichen Archive aus jener Zeit.

Das Interessante des „Deutschland – Italien“- Bandes sind neben den Differenzen jedoch die Korrespondenzen. Neben Historikern aus beiden Ländern kommen hier auch die Schriftsteller und Künstler zu Wort, geraten ins Bild: von Primo Levi oder Elsa Morante bis Wolfgang Koeppen, Ingeborg Bachmann, Marieluise Kaschnitz (über die Ardeatinischen Höhlen) und Heiner Müller. Von Roberto Rossellini, der nach „Rom, offene Stadt“ mit der jungen Anna Mangnani 1947 bereits in den Trümmern Berlins mit Kriegskindern von der Straße „Deutschland im Jahre Null“ drehte, von Luchino Visconti (der in Italien 1945 einen Dokumentarfilm über Krieg und Kriegsverbrechen drehte und dem das Berliner Babylon-Kino jetzt eine Retro widmet, siehe Seite 26) bis zu Wolfgang Staudte und Werner Schroeter („Palermo oder Wolfsburg“). Von Renato Guttuso und Emilio Vedova bis Beuys und Baselitz oder der Italienbegeisterung etwa der DDR-Maler Werner Tübke und Willi Sitte.

Dieses findungsreiche Lese- und Bilderbuch zweier Länder und Kulturen, erst als Katalog gedacht für eine aus Geld- und Organisationsgründen nicht zustande gekommene Ausstellung im DHM, es plädiert übrigens wie der Bericht der Historikerkommission: für eine Informations- und Gedenkstätte in Berlin-Niederschöneweide. Jenem Ort, an dem Teile des NS-Arbeitslagers noch gut erhalten sind, in dem auch tausende italienische Deportierte gefangen waren. Statt Abkehr im EU-Krisenalltag ein Stück ungeteilter Erinnerung für die Zukunft.

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