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Schenkt man sich Rosen in Tirol. Cornelia Zink als Christel von der Post und Paul Schweinester als Adam - flankiert vom Ballett.

© Fotograf: Jerzy Bin/Seefestspiele Mörbisch

„Der Vogelhändler“ in Mörbisch: Herrn Adams Piep-Show

Die Seefestspiele Mörbisch im Burgenland zeigen einen grandiosen „Vogelhändler“. Musikalisch, szenisch, atmosphärisch - hier stimmt einfach alles.

In Mörbisch kommt die Operette ganz groß raus: Satte 6000 Sitzplätze bietet die Zuschauertribüne direkt am Ufer des Neusiedler Sees, und die Bühne kann es in ihren Mega-Ausmaßen locker mit den Dimensionen des Berliner Friedrichstadt-Palasts aufnehmen. Seit 1957 wird hier im Burgenland, in der südöstlichsten Ecke Österreichs, die leichte Muse gepflegt, und in den vergangenen fünf Jahren hat die Intendantin Dagmar Schellenberger bewiesen, dass massenkompatibles Musiktheater nicht zwingend mit Wiener Schmäh und Gute-Alte-Zeit-Nostalgie einhergehen muss.

Als langjährige Solistin im Ensemble der Komischen Oper hat Dagmar Schellenberger gelernt, wie eine Begegnung von Gesang und Schauspiel auf Augenhöhe aussehen kann – und dass Stücke von einst stets auch mit dem Heute zu tun haben sollten. Selbst wenn die Kostüme nach Barock aussehen, wie bei der diesjährigen Mörbischer Produktion von Carl Zellers „Der Vogelhändler“.

Mit Liebe gemacht

Reifröcke und Rüschen sind ein optisches Schmankerl, um die Aufmerksamkeit des auf Opulenz erpichten Publikums zu gewinnen. Die Personen aber, die in Axel Köhlers Inszenierung die Szene bevölkern, laborieren an ganz zeitlos-aktuellen Problemen: Adam aus Tirol, der Titelheld, würde gerne seine Christel von der Post ehelichen – doch beide gehören zum Prekariat und trauen sich darum keine Familiengründung zu. Die Kurfürstin von der Pfalz dagegen hat Probleme mit ihrem untreuen Ehemann, während sich Baron Weps mit einem missratenen Neffen herumschlägt, der ihn mit Glücksspielsucht und Heiratsunwilligkeit quält, den barocken Äquivalenten zur Handyabhängigkeit und Bindungsunfähigkeit heutiger Twens.

Die alten Geschichten verlebendigen, ohne die Zuschauer zu verschrecken, das war die Taktik von Dagmar Schellenberger in Mörbisch. Zum Start ihrer Intendanz konnte sie den Panoramen-Erbauer Yadegar Asisi als Bühnenbildner des „Bettelstudenten“ präsentieren. Dann hat sie es gewagt, mit „Anatevka“ einen Musical-Klassiker bei den Operettenfestspielen anzubieten, und zuletzt mit „Viktoria und ihr Husar“ eine Repertoire-Rarität gezeigt. Eine Frau, die dazu noch Piefke ist und selbstbewusst nach vorne denkt – das war den Verantwortlichen dann doch zu viel Innovation auf einmal. Sie entschlossen sich, den Vertrag mit der Intendantin zum Herbst auslaufen zu lassen. Was sie vermutlich inzwischen bereuen, denn erst verkrachte sich der designierte Nachfolger Gerald Pichowetz schon in der Vorbereitungsphase mit allen Beteiligten, und dann legte Dagmar Schellenberger zum Abschied auch noch einen absoluten Volltreffer hin: Musikalisch, szenisch, atmosphärisch – bei diesem „Vogelhändler“ stimmt einfach alles. Nach drei kurzweiligen Stunden gehen die Leute beschwingt nach Hause, weil sie eine Operette erlebt haben, die mit Liebe gemacht ist.

Das Heile-Welt-Klischee wird auf die Spitze getrieben

Was ironische Seitenblicke auf das Genre und seine Rezeptionsgeschichte nicht ausschließt: Frank-Philipp Schlößmann hat eine Kulisse gebaut, die alle Heile-Welt-Klischees auf die Spitze treibt: Eine haushohe Kuckucksuhr thront in der Bühnenmitte, dazu gibt es lustige Wetterhäuschen mit Doppelrundbögen und wie aus Sperrholz ausgesägte Tannensilhouetten. Auf gigantischen, goldgerahmten Ölschinken ist die ganze Welt himmelblau – und passend dazu tragen die sichtbar agierenden Bühnenarbeiter neckische Schäfchenwolken auf Azur-Overalls.

Die Postchristel entsteigt einem Heißluftballon, der aussieht wie ein Briefkasten, und der Titelheld entlässt aus seiner Voliere lauter bunte Vögel, die Modelmaße haben und einen Federschmuck tragen wie beim Karneval in Rio (Kostüme: Armella Müller von Blon). Wenn Adam schmachtet „Schenkt man sich Rosen in Tirol“, treten die Ballerinen in roten Blütenblätter-Tutus auf, die sie naturgetreu auffalten und wieder zusammenklappen können, und wenn die Tänzerinnen als Glühwürmchen durch die nächtliche Szene im Buchsbaumlabyrinth huschen, kommt sogar ein Hauch von shakespearschem „Sommernachtstraum“ auf.

Prachtvoller Gesang, satter Sound

Gesungen wird prachtvoll, die Tenöre Paul Schweinester und Philipp Kapeller strahlen um die Wette, Cornelia Zink singt die Kurfürstin mit echter Noblesse und die Intendantin selber ist sich nicht zu schade, eine „Wurzn“ zu übernehmen, eine Nebenrolle also, die der altjüngferlichen Hofdame Adelaide nämlich.

Eine ultramoderne Soundanlage sorgt in Mörbisch dafür, dass der verstärkte Stimmklang tatsächlich mit den Darstellern über die Bühne wandert. Das von Gerrit Prießnitz spritzig geleitete Orchester dagegen sitzt in einem regensicheren Studio auf dem Gelände und wird ohne Verluste in der Klangqualität zugespielt. Und als wäre das alles nicht schon der zirzensischen Reize genug, gibt es auch noch raffiniert choreografierte Wasserspiele während der Zwischenakt-Musiken sowie am Ende ein – ebenfalls hochmusikalisch getaktetes – Feuerwerk.

„Der Vogelhändler“ läuft bis 19. August.

Infos: www.seefestspiele-moerbisch.at

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