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Szene aus "Der Rosenkavalier".

© Reuters

"Der Rosenkavalier" bei den Salzburger Festspielen: Endlich nicht mehr stubenrein

Harry Kupfer inszeniert einen umjubelten „Rosenkavalier“ bei den Salzburger Festspielen.

Walzerketten zur Zeit Maria Theresias, in der die Handlung spielt? Da stimmt etwas nicht mit dem „Rosenkavalier“. Man stelle sich vor, die Fürstin Feldmarschallin, ihr sehr viel jüngerer Vetter, der Graf Octavian, mit dem sie ein Verhältnis hat, und gar der Baron Ochs auf Lerchenau würden Menuett tanzen! Wir haben es mit einem der reizvollsten Stilkunstwerke zu tun, weil Wien um 1740 ganz anders klingen müsste als diese Geschichte dreier Frauenstimmen über einem spielgewandten Bass. Das Stück von 1910 mit der Musik von Richard Strauss hat keinen realen Standort, aber seine eigene, im 20. Jahrhundert archaisierende Kunstwahrheit. Auf dem Theater heute kann daher rein historisierendes Rokoko nicht mehr gelten.

Regisseur Harry Kupfer hat schon vor Jahren betont, dass man davon wegkommen müsste, „diesen Zucker-Mozart-Klischee-Ersatz“ zu bedienen. Sein bejubelter „Rosenkavalier“ spielt in der Entstehungszeit des Werkes.

118 Mal ist der Publikumsliebling seit 1929 über die Bühne der Salzburger Festspiele gegangen. Mit dem Erfolgsstück der Gründerväter Strauss und Hugo von Hofmannsthal unter der Regie von Rudolf Hartmann eröffnete Karajan 1960 das Große Festspielhaus, dessen Breitwandbühne und Akustik dem Konversationston der literarisch kultivierten Dichtung nicht dienlich sind. 1983/84 heißt es sogar: Herbert von Karajan, Dirigent/Inszenierung.

Nun also das 119. Mal. Der scheidende Intendant Alexander Pereira freut sich über das „unglaubliche Geschenk“, in seinem letzten Salzburger Sommer „Don Giovanni“ und „Rosenkavalier“ zeigen zu dürfen. Revolutionär klingt anders.

Der Lerchenauer und die böhmischen Mägde

Es musste jedoch bis 2014 dauern, dass erstmals die völlig ungekürzte Version gegeben wird. Dabei geht es vor allem um die „Mägdeerzählung“ des Ochs, des lärmend-großspurigen Landadligen, und seine erotischen Abenteuer. Die Kürzung wegen „nicht stubenreiner Passagen“ geht auf die Zensur der Uraufführung in Dresden 1911 zurück und hat Rezeptionsgeschichte gemacht. Nun darf der Lerchenauer ausführlich erzählen, wie er die böhmischen Mägde auf seinem Hof zu Opfern seiner sexuellen Begierden macht.

Kupfer, ehemaliger Chefregisseur der Komischen Oper Berlin, liebt es seit jeher, Striche, die sich in der Theaterpraxis eingebürgert haben, wieder zu öffnen. So stellt sich der „dicke, ältere, anmaßende Freier“ der kleinen Sophie von Faninal rücksichtsloser dar als der gewöhnlich nur munter interpretierte Bass-Buffo. Dabei geht es dem Regisseur darum, menschlich so konkret wie möglich zu inszenieren.

Gewöhnungsbedürftig ist, dass der Ochs auf Lerchenau hier wider alle Erfahrung mit einem jungen Sänger besetzt wurde. Der Österreicher Günther Groissböck spielt einen Schnösel, selbstgefällig und brutal, jedoch nicht unsympathisch, wenn er sich zu Walzertönen mit dem Kissen im Bett bei den Faninals in eine neue Liebesnacht träumt. Groissböck war im vorigen Jahr noch Fasolt in Frank Castorfs Bayreuther „Rheingold“. Als ein verhältnismäßig hoher Bass trifft er die tiefen Töne der Ochs-Partie, mit denen er sich spürbar Mühe gibt, ohne über das Timbre der Grundgewalt zu verfügen. Die Entwicklung bleibt abzuwarten. Das Publikum feiert seinen Ochs.

Der Regisseur vergisst auch die Seele nicht

Der Briefwechsel zwischen Hofmannsthal und Strauss ist kein Dokument einer Freundschaft, wie die Literaturwissenschaft weiß. Es gibt Gegensätze und Konflikte, aber kein gemeinsames Thema außer dem Werk. Wenn Strauss dem übersensiblen Dichter schreibt, „Sie sind da Ponte und Scribe in einer Person“, so ist das Ausdruck gründlichen Missverständnisses. Da Kupfer indes das Libretto hoch schätzt, das vom Schmelz der Musik hier und da in scheinbare Harmlosigkeit gedrängt wird, ist er darauf bedacht, die Seelenlandschaft mit zu inszenieren: Zeitfeld von Vergänglichkeit und Ewigkeit, das empfindliche Liebesdreieck Marschallin-Octavian-Sophie. Die Unbeständigkeit. Octavians Liebe zur Marschallin wird überholt von seiner Begegnung mit Sophie. Alle sind wortlos: „Ich weiß auch nix.“

Ungewöhnlich, dass die Aufführung gerade mit dem letzten Akt, der oft als entbehrlich empfunden wird, noch einmal Fahrt aufnimmt. Das Gewusel von Lakaien, Küchenpersonal, kleinen Kindern, verdächtigen Gestalten hat bei Kupfer Methode. Im Gasthaus wird eine „wienerische Maskerad’“ vorbereitet, ein wenig Theater im Theater. Deutlicher werden jetzt Andeutungen: Der anfangs blonde Haarschopf des Ochs war ein Toupet, weil jetzt im Text von einer Perücke seines Rokoko-Outfits die Rede ist. Da kommt der Regisseur geschickt herum. Und unübersehbar bleibt, dass der beflissene Leiblakai, eine dankbare stumme Rolle, eine Liebesfrucht des Lerchenauers ist, „ein Kind meiner Laune“. Das hat er in der Mägdeerzählung erwähnt.

Die Wiener Philharmoniker plädieren mit ihren Soli für sich selbst

Mit Projektionen von wienerischer Architektur und Landschaftsbildern, dazu Versatzstücken wie Tür, Spiegel, Stuhl im Vordergrund schafft Hans Schavernoch, Kupfers vertrauter Bühnenbildner, eine Traumkulisse. Träume sind variabel wie das Ambiente, ob Dachterrasse oder Gewächshaus oder das Beisl, das Schavernoch vor grüne Bäume schiebt. Wenn die Marschallin ihren Monolog von der verrinnenden Zeit singt, die man nicht fürchten soll, weil auch sie ein Geschöpf des Vaters sei, steht eine Parklandschaft im Herbst. Krassimira Stoyanova hat einen wunderbaren Sopran für die Partie, der am Ende in den hohen Regionen des großen Terzetts mühelos leuchtet. Schwer verständlich bleibt der Dialog im ersten Akt, verweht von der Akustik, nicht selten zugedeckt vom Orchester.

Die Wiener Philharmoniker plädieren mit ihren Soli für sich selbst, während Dirigent Franz Welser-Möst in der Begleitung feiner Melodien von seiner Neigung zu pauschalem Schwung ablässt. Sophie Koch ist ein in der Rolle erfahrener Octavian, Mojca Erdmanns Stimme als Sophie zu fragil, wenn es um den Duft der „silbernen Rose“ geht. Zugegeben, dass sie im Rahmen der Inszenierung damit zu kämpfen hat, sich als modernes Mädchen dauernd „demütigen“ zu sollen. Mit der Regie schafft Adrian Eröd ein Charakterbild ihres Vaters, des neureichen Herrn von Faninal, das von Unterwürfigkeit ausgeht, um Selbstbewusstsein zu sammeln.

Es sind die kleinen Dinge der Personenregie Kupfers, die entzücken: Wie dem Ochs in jener Epoche vor dem Ersten Weltkrieg der Degen fremd ist, den Octavian ihm zum Duell reicht, so dass er sich selbst damit verletzt; wie der Abschied Octavians von der älteren Geliebten – „Marie Theres, wie gut sie ist“ – sich auf einer Parkbank zwischen den beiden allein, ungestört hinter dem vorn sitzenden Mädchen ereignet, bis die Marschallin abgeht, in ihre Einsamkeit. Dann fährt ein Oldtimer-Cabrio auf, um sie zusammen mit dem Herrn von Faninal nach Hause zu bringen. Das junge Paar aber singt sein Liebesduett, das „ein Traum“ ist mit den süßlichen Celestaklängen. „Beieinand’ für alle Zeit und Ewigkeit“: Das ist hier die Frage.

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