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Das eigene Leben als Inspirationsquelle. Sonja Heiss, Jahrgang 1976, lebt in Berlin. Mit ihrem Film „Hedi Schneider steckt fest“ wurde sie auf der Berlinale 2015 gefeiert.

© Mike Wolff

Debütroman von Sonja Heiss: Das bisschen Glück

Zwischen Ernst und Heiterkeit: Sonja Heiss dreht lakonische Filme wie „Hedi Schneider steckt fest“. Jetzt hat sie den Familienroman „Rimini“ geschrieben.

Sonne, Strand, Meer und eine vage Sehnsucht nach Laissez-faire: In den sechziger Jahren, als das Wirtschaftswunder über die noch junge Bundesrepublik kam, entdeckten die zu mehr oder weniger bescheidenem Wohlstand gekommenen Deutschen den Urlaub wieder. Man fuhr, weil man es sich leisten konnte, nach Süden, an die italienische Adriaküste. Die Stadt Rimini wurde zum Inbegriff deutschen Mittelschicht-Urlaubsglücks, nicht zuletzt deshalb, weil sie sich dem Ansturm zunächst bedingungslos unterwarf.

„Rimini“, so hat die Berliner Autorin und Filmemacherin Sonja Heiss ihren ersten Roman genannt (Kiepenheuer & Witsch, 400 S., 20 €) – weil einer ihrer Protagonisten damals vermutlich dort gezeugt wurde. Eigentlich wollte sie mit dem Schreiben anfangen, nachdem ihr Film „Hedi Schneider steckt fest“ mit Laura Tonke in der Titelrolle auf der Berlinale 2015 gezeigt und gefeiert worden war. Aber dann brauchte sie doch ein paar Monate, bis sie ihren Familienroman in Angriff nahm, der mit vier Haupt- und einer Menge Nebenfiguren und mehreren Zeitebenen eine relativ komplexe Struktur besitzt. Abwechselnd erzählt die Autorin vom erfolgreichen Anwalt Hans, der eine Männerkrise durchmacht, von dessen Schwester Masha, einer Schauspielerin, die mit 39 unbedingt ein Kind will, von ihrem Vater Alexander, einem unterforderten, gelangweilten Rentner, und und von der Mutter Barbara, die zunehmend unter den Marotten ihres Mannes zu leiden hat.

Dabei ist „Rimini“, ganz gegen die Erwartungen, die der Titel wecken mag, kein Ferienroman, den man mal eben so wegliest. Die präzisen Beschreibungen von Peinlichkeiten, für die keiner so richtig was kann, und der Seelenzustände der vier vom Leben gebeutelten Helden gehen unter die Haut. Erstaunlicherweise fühlt man sich ihnen allen mal mehr, mal weniger nah, versteht immer, was sie umtreibt. Und während Sonja Heiss ihren 2011 erschienenen Kurzgeschichtenband noch „Das Glück geht aus“ nannte, was immerhin auf dessen prinzipielles Vorhandensein schließen lässt, scheint in „Rimini“ so wenig davon übrig zu sein, dass eine Verknappung kaum noch denkbar ist.

Schreiben, bis die Tochter vom Hort zurückkommt

Mit dem Glück, dessen Imagination und dessen Abwesenheit hat sich Sonja Heiss immer wieder befasst. Auf der mäßig erfolgreichen Suche danach befinden sich die weltenbummlerischen Protagonisten in Heiss’ erstem Langfilm, „Hotel Very Welcome“ (2007). Und die kleine Familie in „Hedi Schneider steckt fest“ muss feststellen, dass es plötzlich ganz verschwunden ist, nachdem Hedi alias Laura Tonke im Fahrstuhl stecken bleibt und zunehmend von Panikattacken ereilt wird.

Anruf in Südfrankreich, wo Sonja Heiss vor der Buchpremiere gerade Urlaub macht. Am Telefon erzählt sie, wie die Fassade des Glücks in ihrer Generation – sie ist 40 – heute aussieht. „Glückliche Familien, die haben zwei oder drei Kinder, ein sicheres Einkommen, eine Eigentumswohnung, eine Datsche und einen Kombi, und wenn man sie fragt, wie es ihnen geht, sagen sie immer: super!“ Als im Hintergrund ein Signal ertönt, ergänzt sie ironisch: „Und so sieht das Glück auch aus: Poolalarm, weil das aufblasbare Einhorn da zu dicht drangekommen ist…“Heiss hat eine neunjährige Tochter, die abwechselnd bei ihr und beim Vater lebt.

Einen fast 400 Seiten dicken Roman in weniger als zwei Jahren schreiben – wie geht das als alleinerziehende Teilzeit-Mutter? Mit Disziplin: „Wenn meine Tochter bei mir ist, stehen wir um sieben Uhr auf und frühstücken, und dann geht sie in die Schule. Wenn sie weg ist, mache ich noch eine halbe Stunde Pause und schreibe dann so lange, bis sie vom Hort zurückkommt.“

Leiser Humor, der die schwierigen Szenen erträglich macht

Gewidmet hat Heiss ihren Roman den eigenen Eltern und auch der Tochter sowie deren Vater und Großmutter väterlicherseits. Die Familienmitglieder gehörten auch zu ihren ersten Lesern. Nicht einfach für ihre Mutter, schreibt Heiss doch sehr explizit über Sex. „Ich glaube, es ist einfach unangenehm, wenn die eigene Tochter so was schreibt. Man denkt ja umgekehrt auch immer, Eltern dürfen keinen Sex haben. Das will man sich wirklich nicht vorstellen müssen. Meiner Mutter musste ich dann noch mal erklären, dass es sich nicht um dokumentarische Beschreibungen aus meinem Leben handelt. Das fand sie beruhigend“, erklärt die Autorin.

Und wie kriegt sie das hin, dass man sich auch als unbeteiligte Leserin ertappt und erkannt fühlt? „Na ja“, lacht Heiss, „mit den Sexszenen habe ich erst einmal angefangen, als würde ich sie nur für mich selbst aufschreiben. Ich dachte, dass sie am Ende nicht unbedingt im Buch auftauchen müssten. Man muss ein paar Hemmungen abbauen. Ich hatte zunächst auch den Leser im Kopf, der sich vermutlich denken wird: ,Na, alles wird sie schon nicht erfunden haben’. Den Gedanken musste ich loswerden. Und dann fiel es mir wahnsinnig leicht, ich habe mich schlicht in die Situationen versetzt und genau beschrieben, was da passiert.“

Wie schon in ihren Kurzgeschichten und mit der lakonischen Bildsprache ihrer Filmen arbeitet Sonja Heiss auch in „Rimini“ mit sehr leisem Humor, der schwierige Szenen erträglicher macht. Und wie ihre Filme balanciert auch ihre Prosa auf dem schmalen Grat zwischen Ernsthaftigkeit und Heiterkeit; mit traumwandlerischer Sicherheit vermeidet Heiss Pathos und Klischees.

Scheußliche Sachen in Kunst verwandeln

Immer erzählt sie dabei von Menschen und Situationen, mit denen sie sich auskennt. Wenn sie sich zwar eine Person vorstellen kann, nicht aber die Situation, in der diese sich gerade befindet, funktioniert die ganze Idee nicht – wie sie bei der Arbeit am Roman feststellte. Deshalb ist Hans’ Schwester Masha am Ende dann doch eine Figur geworden, die ihr selbst ein bisschen ähnelt: „In allem, was ich mache, steckt was aus meinem eigenen Leben. Das ist doch eine gute Quelle. Und wenn mir scheußliche Sachen widerfahren, kann ich sie hinterher wenigstens in Kunst verwandeln.“

Sonja Heiss will weiter schreiben, weiter Filme machen, weiter nach Gelegenheiten suchen, bei denen sie aus dem, was sie erlebt, kreatives Potenzial schöpft. Und weil sich nicht alle Geschichten für beide Medien eignen, findet sie es „ganz praktisch, wenn man beides kann“. Da ist sie wieder, die Lakonie. Und das bisschen Glück, das vielleicht doch nicht ausgeht.

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