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Kultur: Das Wiederfinden der Kindheit

Wiederholte Überraschungen: Steven Spielbergs "Vergessene Welt" und die Kunst der Fortsetzung im KinoVON GEORG SEESSLENDer Erfolg einer Kinogeschichte hängt zum einen mit einer großartigen Grundidee zusammen.Zum Beispiel: Boy Meets Girl.

Wiederholte Überraschungen: Steven Spielbergs "Vergessene Welt" und die Kunst der Fortsetzung im KinoVON GEORG SEESSLENDer Erfolg einer Kinogeschichte hängt zum einen mit einer großartigen Grundidee zusammen.Zum Beispiel: Boy Meets Girl.Ein Guter gegen viele Böse.Wissenschaftler klonen Dinosaurier und verlieren die Kontrolle über die Urweltviecher.Zum anderen muß eine gute Kinogeschichte eine Welt abbilden, einen magischen Ort, an dem es zwar hoch hergeht, zu dem man aber auch heimatliche Gefühle entwickelt.Die Kunst des Regisseurs ist es, die Elemente miteinander zu verbinden.Es gibt Regisseure, die sich mehr für die Dramatik des Plots interessieren, wie Howard Hawks, und es gibt "Maler", wie John Ford, für die die Geschichte zur Erklärung für das magische Territorium dient.Aber jeder von ihnen weiß, daß man nicht weitermachen kann, wenn eine Geschichte zu Ende erzählt ist. Genau darin aber liegt das Problem des Blockbuster-Films aus Hollywood, das sich nicht mehr in Genres, sondern in Sequels und Remakes, in der Wiederholung fortzeugt.Als viertes Element ist nun die Attraktion überwältigender, destruktiver Effekte getreten.Das Kino bewegt sich daher zu einem Zustand, den Paul Virilio als "Ortlosigkeit" bezeichnen würde, unter anderem deswegen, weil die Helden und ihre Widersacher dazu neigen, ihren Lebensraum in die Luft zu jagen.Sequels haben es schwerer als klassische Genre-Filme, weil sie nicht nur eine Rückkehr zu vertrauten Plätzen versprechen müssen, sondern auch die Steigerung.Wer in einem Film mit zwanzig Terroristen fertig geworden ist, muß im Sequel mit hundert fertig werden..Wenn in einem Film computeranimierte Saurier für zwölf Minuten zu sehen sind, dann muß es im Sequel eine Dreiviertelstunde sein.Zur gleichen Zeit muß das Sequel in eine Welt zurückkehren, von der nicht viel übrigblieb.Die Sequels der Megaproduktionen sind erfolgreich, weil sie damit verblüffen, daß es noch Steigerungsmöglichkeiten gibt. Es gibt verschiedene Gründe dafür, warum man sich bei der Besichtigung eines Sequels wohlfühlen kann.Wir kommen in ein Zeichensystem zurück, das verständlich war und in dem wir uns noch bewegen können, weil dafür Raum gelassen ist.Wir begegnen Menschen wieder, von denen wir einiges wissen und einiges noch wissen wollen.Wir wollen erfahren, wie man die Effekte noch steigern kann.Wenn es so einfach wäre, müßte man dann nicht erfolgreiche Sequels am Studio-Schreibtisch entwerfen können? Es ist wohl so, daß man einigermaßen genau weiß, wo man hin will, aber nicht, wie man dahin kommt.Ob wir glauben, daß Saurier und nicht Filmtricks in das Leben der Leinwandmenschen hereinbrechen, hängt mit deren Glauben an die eigene Kino-Legende zusammen.Kurzum: Je näher man die "Formeln" für das Kino-Machen ansieht, desto mehr schauen widersprüchliche Menschen zurück.Spielberg ist nicht der erfolgreichste Filmemacher der Welt, weil er die Formel dafür gefunden hat.Er ist die Formel. Jan de Bont hatte mit "Speed" so etwas wie einen fundamentalen Thriller gedreht.Sein Prinzip war die Reduktion bis zum Rand einer mathematischen Abstraktion: der wichtigste Blick war der auf die Tachometernadel.Im Sequel jedoch mußte dem Prinzip der Reduktion das Prinzip der Steigerung begegnen.Daß die Hauptfigur nun eine noch größere Aufgabe unter gleichen Umständen zu bewältigen hat, zerstört eher das Interesse an ihr. Steven Spielbergs Sequel zu "Jurassic Park" dagegen scheint zu funktionieren.Der Erfolg des ursprünglichen Films wird überboten.Alles andere wäre eine Überraschung gewesen.Es ist der Sommerhit des Jahres.Durchkalkuliert und abgesichert.Ganz offensichtlich überdauert er seine eigene Marktstrategie."Vergessene Welt" ist seltsamerweise nicht nur Zelluloid-Merchandising, es ist ein wirklicher Film.Was ist es, das diesen Film funktionieren läßt? Natürlich ist die Grundidee zur Fortsetzung nicht weniger an den Haaren herbeigezogen als beim Sequel für jeden Trashfilm.Die Story, zu der Michael Chrichton genötigt wurde, ist so grottenschlecht, daß Spielberg allenfalls ein paar Markierungen im Text übernahm.Aber auch um den eigenen Plot kümmert er sich nur am Rande.Die Saurier sind gar nicht, wie wir am Ende des ersten Filmes glauben durften, zum zweiten Mal ausgestorben, nein, John Hammond alias Richard Attenborough hat auf der Insel gleich nebenan ein Genlabor eingerichtet, und schon vermehren sich die mörderischen Urtiere wieder prächtig.Um seine Freundin, die Paläanthropologin Sarah (Julianne Moore), vor ihnen zu retten, muß Dr.Malcolm (Jeff Goldblum) wieder eingreifen.Daß wir von allem ein wenig mehr bekommen als im ersten Teil, kann diesen Erfolg allein nicht erklären: Zwanzig Computer-generierte Saurier und zwei Tyrannosaurier Rex in Lebensgröße auf Schienen bewegt, ein Motorradfahrer, der zwischen den Beinen eines Sauriers um sein Leben rast.Das ist schon etwas, was aber durch diesen Film über den schnellen Erfolg hinaus ausgelöst wird, ist das merkwürdige Glück von Sinn und Heimkehr. Steven Spielberg hatte "Jurassic Park" so ziemlich mit der linken Hand inszeniert, "Vergessene Welt" nun, so scheint es, mit dem kleinen Finger der linken Hand.Den größten Spaß hatte er offenbar dabei, sein Ding voller Anspielungen zu packen.So bekommt das "Spielbergle" Roland Emmerich zwei Nasenstüber, und während er uns eine Geschichte erzählt, führt Spielberg zugleich durch sein imaginäres Museum der B-Filme.Und wie immer bei diesem Regisseur der verlorenen und wiedergewonnenen Kinderzeit scheint dieser Blick am Rande zwischen Traum und Erinnerung. Aber noch wichtiger ist, daß Spielbergs Figuren, so schematisch sie auch sein mögen, einen Sympathiewert haben.In "Vergessene Welt" ist nicht nur alles noch großartiger als in "Jurassic Park", es ist in der Zwischenzeit auch etwas geschehen.Dieser in immer neuen Kinophantasien verschlungene Weg des träumenden Kindes zum sehenden Erwachsenen, der möglicherweise das "Gesamtkunstwerk" Spielberg so faszinierend macht, ist in ein neues Stadium getreten. Was immer Spielberg anpackt, er schafft eine ganze cineastische Welt.In den "Jurassic Park"-Filmen nimmt Spielberg diese Konstruktion der Welt als endlose Repetition des Abschieds vom Paradies der Kindheit gleichsam beim Wort.Die Dinosaurier sind nicht nur die Gestalten der Kinderängste, sie sind die Kindheit selbst.Und in "Vergessene Welt" geht es, mit ein wenig ökologischem Brimborium versehen, tatsächlich um erwachsene Menschen, die einen Weg suchen, die entsprungenen Phantasien der Kindheit zugleich zu bändigen und zu erhalten.Das Sequel zu "Jurassic Park" ist mehr noch ein Sequel zu dem Film "Spielberg", und dieser lange Film ist die Geschichte der populären Kultur, die Geschichte von den Monsterträumen im Kinderzimmer.Was ist schrecklicher: sich vor den Ungeheuern im Dunkel zu fürchten oder das Licht anzuknipsen und zu sehen, wie der triviale Schrecken des Alltags beschaffen ist? Es kommt darauf an, sagt Spielberg in seinem Sequel, sich die Träume gefügig zu machen. Daher ist es nicht so bedeutsam, ob bei der Rückkehr in die Welten der Kindheitsbilder auf der narrativen Ebene nennenswert Neues geschieht.Es kommt darauf an, die Dinge anders zu sehen.Die Besetzung mit Jeff Goldblum, der Pop-Ausgabe eines skeptischen Intellektuellen, als Sympathieträger ist genial.In "The Lost World" ist er Fortsetzung und Kommentar zu François Truffaut als Sprachwissenschaftler in "Unheimliche Begegnung", eine erneute Abbildung des Filmemachers als Traumforscher.Seine Skepsis und Selbstironie sind auch die von Spielberg. So korrespondiert mit der äußeren Entwicklung im Sequel und dem Spiel mit Zitaten eine innere. Das schuf einen Suspense zweiten Grades: Wie würde Spielberg gegen das Vorhersagbare rebellieren? Sieht man von den Selbstzitaten ab, so wird das Sequel bei Spielberg selbst zum Thema.Weil alles schon bekannt ist, ist sich die Erwartung selber unheimlich.Wir haben alles durchschaut und wünschen uns doch nichts sehnlicher, als wieder hereinzufallen.So ist das Kino unserer Zeit.Die Wiederholung hilft uns über den Verlust der Orte hinweg. Es gibt drei Arten, Steven Spielberg zu verstehen: Mit der Familie.Mit französischen Philosophen.Oder mit Popcorn.

GEORG SEESSLEN

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