zum Hauptinhalt

Kultur: Das Spukhaus am Wannsee

Eine Villa aus dem frühen 19. Jahrhundert stand vor dem Verfall. Eine Künstlerinitiative arbeitet an der Rettung

Es spukt hier. Da ist sich der Mann im schwarzen Anzug sicher. Er steht an der Holztreppe, die in den Keller der Villa führt, und ruft entzückt: „Das ist ja irre, so deutlich habe ich das noch nie gehört, selbst in England nicht.“ Und die Treppenstufen knarren tatsächlich so, als würde jemand die Stufen hochsteigen. Bloß: Da ist niemand. „Und stellen Sie sich mal hier einen Schritt vor, spüren Sie den Luftzug?“, fragt er.

Dabei ist es nicht mal finster, sondern ein frischer Tag im Mai, an dem Sonne und Regen wechseln und den Kulturpark in Neukladow grün und verwunschen aussehen lassen. In diesem Park steht das alte Gut, in dem es spukt. Um das Gut Neukladow kümmern sich seit gut einem Jahr drei Männer, ein Künstler, ein Anwalt, ein Bauunternehmer. Der Mann, der denkt, dass es spukt, ist der Anwalt Frank Auffermann. Mit seinen Partnern will er das Gut vor dem Verfall retten und es wieder zu dem machen, was es zu Anfang des 20. Jahrhunderts war: einem Treffpunkt für Künstler und Kunstliebhaber. Deshalb öffnen sie das zuvor leerstehende Haus seit vergangenem Sommer stets an einem Sonntag im Monat und präsentieren kostenlos eine Ausstellung und eine Lesung. Um die 600 Menschen kommen dafür raus ins Grüne, von der Stadtmitte aus dauert das bloß 40 Minuten per Auto. Und an diesem Wochenende wird erstmals ein Klassikkonzert veranstaltet.

Es ist ein traumhafter Ort, eine verwunschen wirkende Kulisse. Die gelbe Villa hat tiefe Risse im Putz, eine dicke Eiche und ein dicker Ahorn säumen den Platz, auf dem das Openairkonzert stattfinden wird. Sie sind so dick, dass es zwei Menschen bräuchte, um den Stamm zu umfassen. Der Blick vom Plateau aus zeigt auf eine Wasserfläche, das sind der Wannsee und die Havel, die in den See mündet. Frank Auffermann zeigt auf ein Fenster im ersten Stock, ganz rechts, „dort war ihr Schlafzimmer“, Wilhelmine Luise Mencken, die Mutter Bismarcks, verbrachte hier ihre Kindheit. Der Architekt David Gilly, der für Friedrich Wilhelm III. auch Schloss Paretz bei Potsdam baute, hat das Gutshaus für ihren Vater, einen Kabinettsrat des Königs, entworfen. Der klassizistische Baumeister war der Vater von Friedrich Gilly, dessen bedeutendster Schüler hieß Karl Friedrich Schinkel.

Das Haus ist ein schwerer Pflegefall, die Fassade sieht verpflastert aus mit ihren Holzplatten, die teils die Lamellenläden ersetzen, mit Metallplatten vor den Fenstern, die vor Vandalismus schützen sollen. Innen aber ist die Bausubstanz gut, es riecht nach altem Holz, die Zimmer sind trocken und schimmelfrei. Der Salon im unteren Stock besitzt noch mit grünem Satin bezogene Wände über den zwei offenen Kaminen, der Stoff stammt aus der Zeit von 1909 bis 1921, als „hier die Champagnerkorken knallten“, erzählt Auffermann.

Damals versammelte der Mäzen Johannes Guthmann Künstler um sich, Max Reinhardt inszenierte auf einer Freilichtbühne im Park Stücke, Gerhardt Hauptmann ging auf dem Gut ein und aus, und oben im ersten Stock hatte Max Slevogt sein Atelier. Max Liebermann mochte den Sitz seines Malerkollegen nicht, „in diesem Park verläuft sich selbst mein Hund“, soll er geklagt haben. Es war ihm zu groß, zu weitläufig, dieser Park, dieses Haus. Irgendwann wurde dem Vater Guthmanns das Prassen zu viel, er übergab das Gut an seine Tochter, die hier Schafe züchtete, bis die Familie das Haus 1928 an die Stadt Berlin verkaufte.

Dann folgten Jahre, in denen das Gut für das Militär des nahen Flughafens Gatow genutzt wurde und schließlich als Herberge fürs Müttergenesungswerk diente, bevor es jahrelang leerstand – bis Auffermann und seine Partner es für die Berliner als Ort für lebendige Kultur sichern wollten. Für fünfzehn Jahre wurde ein Pachtvertrag geschlossen, so konnte verhindert werden, dass das Gut an einen Privatmann fällt.

Das Gut Neukladow soll wieder ein Begegnungsort für Kultur werden, so wie es Anfang des 20. Jahrhunderts war.„Es wäre unverzeihlich, wenn das verlorenginge“, sagt Reinhard Stangl. Er sitzt in seinem Atelier in Kreuzberg, es riecht nach Ölfarbe, Bilder lehnen an den Wänden, Restaurantszenen und Obststillleben, auf Tischen mischen sich Aktenordner und Zeichnungen, dazwischen ein Schaukelstuhl, eine italienische Kaffeemaschine.

Stangl bereitet gerade eine Ausstellung vor, die in Lausanne gezeigt werden soll. „Ich muss noch ein paar Zitronenbilder einpacken“, sagt er, diese Motive seien gefragt. In gewissen Dingen ist Stangl pragmatisch, „es kann nicht jeder ein Neo Rauch werden und eine halbe Million pro Bild bekommen“. Es geht ihm darum, jungen Künstlern Wege zu zeigen, wie man mit und von der Kunst leben und glücklich werden kann, und alten Künstlern genauso ein Forum zu bieten. Denn: „In Berlin gibt es keinen Ort, der sich an alte Künstler erinnert, es geht nur um junge Kunst.“ Im Juni plant er eine Ausstellung koreanischer Künstler, den Kontakt stellte die Botschaft her. Stangl, der seit zehn Jahren die Kunsthalle Luckenwalde leitet, zieht durch Berliner Galerien und sucht sich seine Künstler, mittlerweile haben 26 Maler auf dem Gut ausgestellt. Momentan ist eine Retrospektive von Peter Herrmann zu sehen.

Um die 30 000 Euro kostet es im Jahr, das Gut zu unterhalten. Bisher zahlen das die drei Initiatoren über die von ihnen eigens für die Haussanierung gegründete Kulturgut GmbH aus eigener Tasche. Richtig los kann es mit der Renovierung aber erst gehen, wenn Spenden in großen Summen fließen. Um die zu bekommen, soll eine Stiftung gegründet werden. Die Anträge dazu liegen auf dem Schreibtisch von Finanzsenator Thilo Sarrazin.

So viele schöne Pläne: Irgendwann soll die Villa ein Standesamt beherbergen, junge Musiker, Literaten und Künstler könnten als Stipendiaten hier arbeiten. Im Nebengebäude aus den sechziger Jahren soll eine Kunsthalle entstehen, mit einer Fensterfront zur Havel. Ein Wassertaxi würde dann – so die Vision – das Gut mit dem Liebermannhaus am anderen Wannseeufer verbinden.

Kulturpark an der Neukladower Allee (Spandau), ab U-Bahnhof TheodorHeuss-Platz mit dem Bus X 34 erreichbar. Heute ab 16.30 Uhr spielt die Klassische Philharmonie Bonn Sinfonien von Mozart und Schubert. Information: Tel. 030/ 8817145, www.kulturpark-berlin.de

Zur Startseite