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Beweisführung. Europa sitzt im Tribunal auf der Anklagebank.

© Real Fiction

„Das Kongo Tribunal“ im Kino: Inszenierung der Wahrheit

Fiktiver Prozess, reales Leiden: Der Schweizer Regisseur und Dramatiker Milo Rau inszeniert „Das Kongo Tribunal“ als Theater im Film.

Die Toten sind echt. Ihr Blut und die Tränen ihrer Familien sind es auch. Der Gerichtshof jedoch ist es nicht. Anders als die Wahrheitskommission, die in Südafrika die Verbrechen des Apartheid-Regimes aufgearbeitet hat. Oder der UN-Strafgerichtshof, der den Völkermord der Hutu an den Tutsi in Ruanda untersuchte. Das Kongo-Tribunal ist fiktional, die 2015 in Bukavu und Berlin durchgeführten Anhörungen sind gespielt. Gewaltopfer, Menschenrechtsaktivisten, Politiker, Ankläger und Anwälte machen Theater. Allerdings eins, das identisch mit ihrem Leben, ihren Leiden, ihren Interessen ist. Das gibt jeder Zeugenaussage, jeder Rechtfertigung Gewicht. Und obwohl der Regisseur zu Beginn der Anhörung die Klappe schlagen lässt und so die mit sieben Kameras ausgeführten Dreharbeiten kenntlich macht, fühlt sich der als Theater im Film aufgeführte Prozess erschütternd wirklich an.

Initiiert hat ihn der Schweizer Regisseur und Dramatiker Milo Rau. Der nutzte das Dokumentartheater schon häufiger als Waffe im Kampf für die bessere Welt. Gerade war er in Berlin mit seinem „Weltparlament“ an der Schaubühne und der Reenactment-Aktion „Sturm auf den Reichstag“ präsent. „Das Kongo Tribunal“ wird transmedial von einem Doku-Game, einem Web-Archiv und einem Buch begleitet. Getreu seiner im „Zeit“-Interview geäußerten Überzeugung „Ich glaube, dass Zukunft im Spiel sichtbar und formbar wird“ hat sich der Aktivist nichts weniger als die Analyse und letztlich Befriedung des seit 20 Jahre schwelenden Milizenkriegs im Kongo vorgenommen. Dieser Anspruch muss natürlich scheitern. Was Rau nicht daran hindert, einen packenden politischen Dokumentarfilm zu schaffen, der dem im „Gerichtssaal“ hängenden Motto „Wahrheit und Gerechtigkeit“ mit aller Macht nachstrebt.

Versagen der Uno

Neben den Szenen des von Jean-Louis Gilissen, einem belgischen Anwalt, der Bürgerkriegsopfer beim UN-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag vertritt, geleiteten Tribunals zeigt „Das Kongo Tribunal“ Dorfbewohner und Minenarbeiter, die von Überfällen oder der Vertreibung aus ihren Schürfgebieten erzählen. Experten erläutern die neokolonialen Strukturen und internationalen Wirtschaftsverflechtungen, die den seit 20 Jahren schwelenden Konflikt im Kongo speisen. Und sie benennen das Versagen der Uno, die trotz eines Großeinsatzes nicht den Tod von Millionen Menschen verhinderte. Zu ihnen gehören auch die 30 Opfer des Massakers im ostkongolesischen Mutarule. Das Filmteam kommt 2014 auf einer Recherchetour zufällig in das Dorf, in dem die Leichen von Frauen und Kindern in einer langen Reihe liegen. Ein Blick in das Gesicht des Regisseurs reicht, um zu begreifen, welche Empörung seinen missionarischen, gelegentlich auch etwas eitlen Eifer speist.

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Sie richtet sich gegen internationale Multis, die die Rohstoffe für die weltweite Wohlstandselektronik im Kongo abbauen, die örtlichen Bergleute vertreiben und mit ihren Abwässern die Ziegen der Kleinbauern vergiften. Sie richtet sich gegen die kollaborierenden Politiker wie den prompt am Tribunal teilnehmenden Gouverneur, der von den teils sogar von der Armee begangenen Vergewaltigungen nichts wissen will, und die untätige Uno. Vor allem aber gegen die Ignoranz der reichen Welt, die von den zugunsten ihrer Konsumherrlichkeit begangenen Machenschaften nichts wissen will. Diese durch das eher blass bleibende, gegen Weltbank und EU gerichtete Berliner Tribunal beglaubigte Intention mildert eine Irritation, die sich im Verlauf von Raus keineswegs lückenloser, aber beeindruckender Beweisführung einstellt. Die nämlich, dass ein Weißer in einem Akt neokolonialer Bringschuld antritt, um den Afrikanern die Augen über die Schuld der Weißen zu öffnen. In der Demokratischen Republik Kongo pflegen die Betroffenen keine kleinkarierten Bedenken dieser Art. Der dort bereits im Sommer aufgeführte Film hat heftige Debatten ausgelöst.

In 8 Berliner Kinos, OmU: City Wedding, Hackesche Höfe, Moviemento, Tilsiter Lichtspiele

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