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Panoptikum des deutschen Webcomicschaffens: Der Strip „Meme“ aus Sarah Burrinis Reihe „Das Leben ist kein Ponyhof“.

© Burrini

Sarah Burrini: Der Nächste geht auf meine Kosten

Die Comickünstlerin Sarah Burrini hat einen erstaunlichen Aufstieg hinter sich. Mit ihrer im Internet gestarteten Serie „Das Leben ist kein Ponyhof“ ist sie mittlerweile auch im Buchhandel angekommen.

Einer der besten Strips aus der zweiten Buchausgabe von Sarah Burrinis „Das Leben ist kein Ponyhof“ trägt den Titel „Meme“. In vier Panels entwirft die Autorin ein Panoptikum des deutschen Webcomicschaffens und schont dabei nichts und niemanden. So überrennen die Kohorten der digitalen Revolution die dekorativ im Bildvordergrund drapierten Gefallenen großer Comicverlage wie Carlsen und Ehapa, während der deutsche Konsument das ihm herzlich egale Treiben geflissentlich ignoriert. Dies kulminiert in der Inszenierung als am Hungertuch nagender armer Poetin mit einem Barguthaben jeder Vernunft und zeigt am Ende das tägliche Ringen um Pointen und mit sich selbst als Essenz künstlerisch unabhängiger Arbeit.

Entzückend der mangelnde Respekt vor potenziellen Großverlegern – zur Entstehungszeit des Strips war Sarah Burrini noch nicht bei Panini unter Vertrag - und der unbedingte Wille, sich selbst und die Realität zum Gespött zu machen. Doch war dies lediglich eine Aufwärmübung für einen der Höhepunkte im bisherigen Schaffen des Ponyhofs namens „Innenkampf“.

Dieser im Juni 2015 entstandene und nicht im neuen Sammelband enthaltene Strip zeigt in grafischer Grandezza die permanente Selbstzerfleischung des künstlerischen Egos mit durch Quartzsandhandschuhe ausgeführten K.O.-Punchlines. Die Zwänge einer auf Vermarktungskompatibilität getrimmten PR-Maschinerie prügeln sich mit dem Anspruch an künstlerische Autonomie und der Frage, ob das von den Mainstream-Medien vielgerühmte und angeblich so neue Niveau im Comic letztlich nur ein missratener Abkömmling einer unglücklichen Zwangsehe zwischen Feuilleton und Marketing ist, geschuldet den sinkenden Absatzzahlen in einer sich allmählich von physikalischen Veröffentlichungen verabschiedenden Welt.

Arbeit ist das halbe Leben, Ponyhöfe auch

Sarah Burrinis seit 2006 entstandenen Webcomic-Strips unterstellte man bereits wiederholt semi-biografische Inhalte. Das liegt weniger daran, dass eine infolge von frühkindlichem Kontakt mit „Mein kleines Pony“-Spielzeug und späterer Pilzvergiftung über ihrer Playstation kollabierte junge Frau rosa Elefanten herbeihalluziniert, sondern an der Tatsache, dass die reale Welt ihr unverhülltes und mitunter hässliches Gesicht auch in der urkomischen Welt des Ponyhofs zu zeigen beliebt, sei es in Form von Benachteiligung des weiblichen Geschlechts, unangemessener Honorierung für kreative Arbeit oder der Pegida-Bewegung.

'Jetzt geht's rund!: Die Verdinglichung des Ponyhofs.
'Jetzt geht's rund!: Die Verdinglichung des Ponyhofs.

© Promo

Allerdings, in den zarten Anfängen vor 2009, also bevor der Ponyhof nach mehrfach modifizierten Inkarnationen als regelmäßig erscheinende Webcomicserie online ging, zeigte sich bereits eine auffällige Neigung zum hemmungslosen Nicht-Ernst-nehmen-wollen der eigenen Person. Die Episode „Vergebene Liebesmüh“, in die nachweislich autobiografische Elemente eingeflossen sind, ist eine Meditation über die erste Liebe, die jedoch nicht zur selbstmitleidigen Betroffenheit verkommt, wie sie beispielsweise ein Craig Thompson in „Blankets“ pflegte.

Nachlesen kann man diese frühen Arbeiten in „Das Leben ist kein Ponyhof - The Early Years“, in dem noch der längeren Episode gefrönt wird. Die spätere Entscheidung für den Kurzstrip ist sicherlich auch eine zu Gunsten eines einfacher zu bewältigenderen Arbeitspensums, denn als Freiberufler kann man von einem lediglich durch freiwilliges Micropayment wie Flattr oder Patreon finanzierten Strip nicht leben. Es erklärt ebenso das ökonomisierte Erscheinungsbild des Strips, das sich zu beschränken weiß und dabei Wesentliches akzentuiert, also sich zum Wohl der Form unterordnet. Charles M. Schulz wusste das ebenfalls.

Perspektive, Schattenspiele und Feinstrich - drei Panels aus "Astrum Noctis".
Perspektive, Schattenspiele und Feinstrich - drei Panels aus "Astrum Noctis".

© Promo

Dass Sarah Burrini auch anders kann, zeigen ihre Zeichnungen für die italienische Comicproduktion „Astrum Noctis“, in der sie die Beherrschung von Dekor und Perspektive demonstriert.

Ein weiteres gelungenes Beispiel, welches das zeichnerische Potenzial Sarah Burrinis veranschaulicht, ist in einer der im vorliegenden Sammelband stripübergreifenden Fortsetzungsgeschichten zu betrachten, beginnend mit „Dinge auf der Schwelle“. Der ist zwar nicht so hübsch philosophisch und metaebenengespickt wie der sich mit Selbstwahrnehmung und Wunschdenken befassende längere Beitrag zu Beginn des Buches, jedoch weiß er durch seine simple Brachialität zu begeistern, oder wie wir heftchenverseuchten Rezipienten sagen würden: „It's clobbering time!“

Ich bin ein Elefant, Madame

Auch das konzeptuelle Setting des Ponyhofs pendelt stets zwischen Wahrheit und Wahnvorstellung: Die Mittdreißigerin Sarah lebt in einer Wohngemeinschaft und verdient ihren Lebensunterhalt mit dem Zeichnen von lustigen Tierbildchen. Da die Auftragslage nicht immer rosig und das Konto oft leer ist, muss sie die Unterkunft mit eigenwilligen Zeitgenossen teilen.

Verbürgte Tatsachen, pointiert zugespitzt: Die frühen Jahre.
Verbürgte Tatsachen, pointiert zugespitzt: Die frühen Jahre.

© Promo

Als da wären: der Elefant N'gumbe Tembo, dessen soziale Interaktionen die Abwehr von Pestepidemien zum Vorbild haben, ein Pony namens Butterblume, das frühere Kontakte zum organisierten Verbrechen mit sado-masochistischen Sexpraktiken kompensiert, sowie der Fungus El Pilzo, der auf Grund von einstmals erworbenen Kenntnissen im Überlebenstraining die gemeinschaftliche Küche als Gefahrenraum begreift. Und nicht zu vergessen, ein aus der Hölle emigrierter Dämon mit therapieresistenter Computerspielsucht, dessen Name Kevin-Asmodias an all die wohlgenährten Jungen aus der Nachbarschaft erinnert, die es niemals vor die Haustür schaffen.

Das volle Leben also, nur eben kein Ponyhof.

Da bei einem über einen langen Zeitraum regelmäßig veröffentlichten Comictrip nicht jede Pointe ein Volltreffer sein kann oder man auch einfach mal Mut zum unpointierten Ende haben muss, ist die hohe Kunst dieser Spielart. Gleiches gilt für die humoristische Fallhöhe, denn: eine ähnliche Balance zwischen Relevanz und Furzwitz hinzubekommen, wie Sarah Burrini sie pflegt, fällt vielen zeitgenössischen Comicautoren äußerst schwer. Entweder kommt man von vornherein berufsbetroffen daher oder bläst die eigenen Alltagsbanalitäten zu überlebensgroßer Nichtigkeit auf. In diese Falle autobiografischer Comics tappt die in Köln lebende Deutsch-Italienerin dank eines guten Gespürs für Wortwitz und dem angemessenen Einsatz popkultureller Referenzen jedoch nie.

Als ausgebildete Trickfilm-Zeichnerin, die bereits für die Zeitschrift „Mad“ tätig war und Praktika in US-amerikanischen Zeichenstudios absolvierte, besitzt sie zudem die erforderliche Professionalität sowie den notwendigen Blick über den Tellerrand deutscher Comicbefindlichkeit, um seit neun Jahren ein hochwertiges Werk zu kreieren, das hierzulande seinesgleichen sucht.

Fortsetzung folgt: Das Cover des kürzlich bei Panini veröffentlichten zweiten Sammelbandes von "Das Leben ist kein Ponyhof".
Fortsetzung folgt: Das Cover des kürzlich bei Panini veröffentlichten zweiten Sammelbandes von "Das Leben ist kein Ponyhof".

© Panini

Um so hinterfragbarer die Veröffentlichungspraxis ihres Verlages: Beide bisher bei Panini erschienenen Bände wurden in ähnlicher Form bereits beim Zwerchfell-Verlag veröffentlicht. Zwar hat man etwas Bonusmaterial oder zusätzliche Strips spendiert, jedoch will sich der Sinn einer Neuveröffentlichung innerhalb eines recht kurzen Zeitraumes nicht recht erschließen. Natürlich hat Panini auf Grund seines Vertriebssystems eine weitaus größere Reichweite, als sie Zwerchfell je hatte, aber die beinharten Burrini-Fans nennen das Werk längst ihr Eigen und waren ob dieser Vorgehensweise nicht sonderlich begeistert. Zudem ist die Neuauflage einer Zusammenfassung von Strips, die online frei zugänglich sind, sicher nicht der umsatzversprechendste verlegerische Schachzug.

Bleibt zu hoffen, dass die Verkaufszahlen der Neuauflagen einen dritten Band ermöglichen, der dann mit neuem Material aufwartet. Es wäre schade, wenn man das Potenzial einer deutschen Künstlerin, die sich abseits von ausgetretenen Graphic-Novel-Geschäftsmodell-Pfaden und dem Zeichnen von Franchise-Cartoongeschenkbüchlein versucht, nicht nutzen würde.

Sarah Burrini: Das Leben ist kein Ponyhof 2, Panini, 96 Seiten 12,99 Euro, ISBN 978-3833229817

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