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Desillusionierte Figuren: Eine Seite aus "Patience".

© Reprodukt

„Patience“ von Daniel Clowes: Die Rache des Zeitreisenden

Daniel Clowes liefert mit „Patience“ eine faszinierende Charakterstudie in "Breaking-Bad"-Manier. Wer ein neues „Ghost World“ erwartet, wird jedoch enttäuscht sein.

„Wenn ich die Zeit doch nur zurückdrehen könnte...!“ Ein Gedanke, den wohl jeder schon einmal hatte – egal, ob es um verpasste Karriere-Chancen, Fehler in Beziehungen oder nostalgische Erinnerungen an bessere Zeiten geht. Und jedem, der etwas länger als eine Minute darüber nachdenkt, wird schnell klar, dass es eigentlich ganz gut ist, dass man nicht ständig die Vergangenheit korrigieren kann.

Genau davon handelt „Patience“, der neue Comic von Daniel Clowes: Patience und Jack sind ein Außenseiter-Paar, vom Leben enttäuscht, ohne Zukunftsperspektiven, aber entschlossen, eine Familie zu gründen und doch ein kleines Stück vom Kuchen abzubekommen. Das Setting ist Clowes-Lesern wohl vertraut: Eine amerikanische Kleinstadt, öde, durchschnittlich, provinziell. Jeder hier will einfach nur weg oder hat resigniert aufgegeben. „Wenn ich nur etwas Geld hätte, wäre alles perfekt“, sagt Patience und merkt nicht, wie sie sich selbst belügt.

Patience wird schwanger, doch das Glück währt nicht lange: Als Jack eines Tages heim kommt, findet er seine Partnerin ermordet auf. Die Polizei interessiert sich nicht sonderlich für den Fall, hält Jack für den Täter, muss ihn aber irgendwann laufen lassen. Der hat von nun an nur noch ein Ziel: Den wahren Mörder zu finden. Als er viele Jahre später, von Kummer zerfressen, durch Zufall auf eine Zeitmaschine stößt, sieht er eine Möglichkeit, alles wieder in Ordnung zu bringen: In die Vergangenheit reisen und den Mord an Patience verhindern.

Rachefeldzug gegen die Vergangenheit

Jeder, der ein paar Zeitreise-Geschichten kennt, weiß, dass ein solches Vorhaben meist nicht gut ausgeht. So auch hier: Wie ein tragischer Held in einem griechischen Drama läuft Jack mit jedem Versuch, das Schicksal zu verändern, diesem nur umso mehr in die Arme. Ein wenig wie Walter White in „Breaking Bad“ oder der verzweifelte Familienvater Keller Dover im Film „Prisoners“ beginnt er nach und nach seinen Realitätssinn zu verlieren und sich von sich selbst zu entfremden: Sein positives Motiv wird immer mehr zur Antriebsfeder blinder Rache.

Murder Mystery: Eine weitere Seite aus dem besprochenen Band.
Murder Mystery: Eine weitere Seite aus dem besprochenen Band.

© Reprodukt

Dass ein Meister des Realismus wie Clowes sich plötzlich mit Science Fiction beschäftigt, mag zunächst überraschen. Doch natürlich geht es nur vordergründig um Zeitreisen, um dessen technische Machbarkeit sich der Autor herzlich wenig schert: „Ich war nicht besonders interessiert an den wissenschaftlichen Mechanismen einer Zeitreise“, sagt Clowes. „Mich interessierte das Reisen durch die Zeit eher als Metapher – als eine Möglichkeit, Charaktere zu erkunden und zu erforschen, wie wir mit Erinnerung und unserer eigenen Vergangenheit umgehen.“

Clowes liefert eine Variation seiner Lieblingsthemen

Wer „Patience“ liest, dem werden einige Parallelen zu Clowes Comic „Der Todesstrahl“ auffallen: In beiden Geschichten treten phantastische Elemente (Superkräfte bzw. Zeitreisen) in die Welt der Protagonisten, doch in beiden Fällen lösen diese weder Probleme noch heben sie die Figuren aus ihrer Durchschnittlichkeit heraus. In beiden Comics dient Clowes das Phantastische lediglich als literarisches Mittel um menschliche Fragen nach Identität, Verantwortung und Sinnsuche zu erörtern. Eine weitere Gemeinsamkeit: Beide Comics kommen nicht an Clowes Durchbruchsarbeit „Ghost World“ heran.

Psychedelische Bildwelten: Das Buchcover.
Psychedelische Bildwelten: Das Buchcover.

© Reprodukt

Dabei ist es unfair, dass Clowes Rezeption so von „Ghost World“ beherrscht wird, denn trotz allem sind seine anderen Arbeiten - auch „Patience“ – hervorragende Comics: „Patience“ ist eine berührende Charakterstudien mit einem hohen Maß an grafischer Beobachtungskraft, die zudem durch ungewohnt psychedelische Bildwelten ergänzt wird. Wie alle Clowes-Comics lebt auch dieser von seinen tristen, unsympathischen und desillusionierten Figuren, und wie so oft ist auch „Patience“ eine Möglichkeit für den Autor, sein misanthropisches Bild der amerikanischen Gegenwart zu zeichnen: Er zeigt uns Amerika durch die Augen der Außenseiter.

Clowes ist nicht in der Lage, einen schlechten Comic zu produzieren, das gilt auch für „Patience“. Dennoch muss man konstatieren, dass es lediglich eine weitere Variante seiner bekannten Lieblingsthemen ist, die in ihrer Bemühtheit manchmal ähnlich ziellos wirkt wie die Sinnsuche seiner Figuren.

Daniel Clowes: Patience, Reprodukt, 180 Seiten, farbig, aus dem Amerikanischen von Jan Dinter, Lettering: Heike Drescher, 29 Euro

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