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Der Moment der Erkenntnis: Eine Szene aus "Poison City".

© Carlsen

Manga „Poison City“: Der amerikanische Freund  

Tetsuya Tsutsuis „Poison City“ setzt sich mit Zensur auseinander – dem zuvor erschienenen Tsutsui-Titel „Manhole“ unterstellte man schädliche Auswirkungen auf Minderjährige.

Manga-Veröffentlichungen des Carlsen Verlages kommen zuweilen mit einem einordnenden Label daher: So schmückt ein Graphic Novel-Stempel Kan Takahamas „Stille Wasser“, Naoki Urasawas „Billy Bat“ gilt als Mystery, und Tetsuya Tsutsuis „Poison City“ wurde mit dem Sublabel Action bedacht.

Komplett falsch liegt das Marketing damit nicht, jedoch würden im Falle des Letztgenannten alle drei Unterkategorien greifen: Denn wie man Plots mit Metaebenen sowie autobiografischen Elementen (Graphic Novel) dynamisch zeichnen (Action), dabei allerdings seltsamerweise nur leidlich interessant machen kann (Mystery/Graphic Novel), zeigt Tsutsuis „Poison City“ exemplarisch auf.

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 Ein am Anfang seiner Karriere stehender Mangaka schlägt mit beschleunigten Zombie-Standards à la „28 Days Later“ bei einem japanischen Verlag auf. Dieser lässt in vorauseilendem Gehorsam gegenüber zensierenden Behörden die Story sprichwörtlich ausbluten, um staatlicher Repression und damit einhergehenden schlechten Verkaufszahlen zu entgehen.

Der Cliffhanger der in zwei Bänden erschienenen Geschichte wartet mit dem Vertreter eines am Stoff des Mangaka interessierten US-Comicverlages auf, welcher unschwer als modernisierte Version von  EC erkennbar ist. Zudem erteilt der amerikanische Freund geschichtliche Nachhilfe zum US-Comics Code.

Ein Lehrstück also, und damit die Botschaft ankommt, gibt’s zur Metaebene noch ein erklärendes Nachwort obendrauf, das zudem ein bisschen mit dem Klingelbeutel winkt.

Jung, dynamisch, untot: Eine Seite des Dark-Walker-Subplots aus "Poison City".
Jung, dynamisch, untot: Eine Seite des Dark-Walker-Subplots aus "Poison City".

© Carlsen

In einem unter anderem abgedruckten offenen Brief des Autors sind insbesondere die letzten beiden Absätze in diesem Zusammenhang von Interesse, veröffentlicht im zweiten Band. Es gehe ihm um die Empörung gegenüber der Zensur seiner Werke, so Tsutsui, nicht etwa um Schadensersatzforderungen, um ihm entstandene Einkommenseinbußen zu kompensieren. Die Leser mögen doch daher bitte beginnen, angefangen mit dem zensierten Werk „Manhole“, sich für seine Werke zu interessieren.

Nicht, dass am Ansinnen des Autors etwas auszusetzen wäre, es bekommt nur einen merkwürdigen Beigeschmack, wenn man dieses unentschiedene Werk mit seinen verschiedenen Ebenen betrachtet. Denn die vom jungen Mangaka erdachte Geschichte „Dark Walker“, die der Zensur anheimfällt, ist ebenfalls Teil von „Poison City“ und wird in mehreren eingeschobenen Kapiteln angerissen. Hierin wird ein dynamischerer Zeichenstil mit detaillierter ausgeführten Hintergründen konträr zur nüchtern dargestellten Haupthandlung verwendet.

Diskussionen mit einem anderen Zensuropfer machen seitens der distanzierten und ablehnenden Haltung gegenüber dem „Dark Walker“-Autor durch dessen Partnerin die Existenzbedrohung und Folgen für das soziale Miteinander einer vom Staatswesen vollzogenen kulturellen Stigmatisierung sichtbar, ohne mit dem Holzhammer vorzugehen. So sollten gut gemachte Comics – oder überhaupt fiktionale Werke –funktionieren.

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Ziemlich aufgepfropft wirkt dagegen das Tribunal im zweiten Band, indem sich der Autor den Zensurierenden stellen muss: hier geht es stellenweise derart emotional zu, als würde Richterin Barbara Salesch den Verhandlungsvorsitz führen. Auch die „Dark Walker“-Abschnitte wirken wie dem Zufallsprinzip gehorchende und daher beliebig integrierte Versatzstücke. Ihnen ist kein nennenswerter Mehrwert zu attestieren, außer dem des zugegebenermaßen attraktiv aussehenden Erklär-Bären, der dem nachhilfebedürftigen Leser vermittelt, um welche Art Stoff es hier eigentlich genau geht.

Einsam oder herrenlos: Samurai-Sequenz aus "Poison City".
Einsam oder herrenlos: Samurai-Sequenz aus "Poison City".

© Carlsen

Vielleicht stammt „Dark Walker“ aber auch von des Autors Resterampe, bevor er beschloss, dass „Prophecy“ eventuell doch eine bessere Idee sei. Das haben Alan Moore und Dave Gibbons in dem in „Watchmen“ integrierten und als metafiktionalen Kommentar angelegten „Tales Of The Black Freighter“ souveräner bewerkstelligt; zudem waren hier die verschiedenen Erzählebenen nicht durchgängig voneinander separiert, sondern wurden immer wieder von der Haupthandlung aufgebrochen und durchwirkt.

So bleibt ein uneinheitliches Werk, das sich nicht so recht dazu entschließen kann, was es denn nun sein will. „Dark Walker“ hätte für sich genommen sicher einen halbwegs passablen, wenn auch nicht das Rad neuerfindenden Reißer abgegeben, ähnlich den Sachen, die Tsutsui sonst so auf den Markt wirft.

Kurz vor Schluss gibt es dann noch mal eine Art dreiseitigen Epilog, der den Kampf „mit den Mitteln eines Manga-Zeichners“ als Samurai-Epos visualisiert. In seiner Luftig- und Leichtigkeit ist das recht nett anzusehen: Durch wie mit der Feder gekratzte Linien und Schraffuren wird eine stilistische Nähe zu Frank Millers für seine „Ronin“-Serie vorgenommenen Rip Off von Gōseki Kojimas „Lone Wolf And Cub“-Artwork erahnbar. Allerdings wirft dieser erneute und nicht nur visuelle Kurswechsel innerhalb von „Poison City“ die Frage nach dem nicht detailliert aufgeschlüsselten Anteil am Entstehen der von den als zeichnerischen Mitarbeitern aufgeführten Kûtarô und Kure IZS auf. Dieses häufig praktizierte Verfahren, welches nicht nur in der Produktion von Mangas anzutreffen ist, wäre tatsächlich mal einen metafiktionalen Comic wert – gerne auch mit Tribunal. 

Abgeschlossen. Das Cover des zweiten Bandes von "Poison City".
Abgeschlossen. Das Cover des zweiten Bandes von "Poison City".

© Carlsen

Tetsuya Tsutsui, Poison City 1 & 2, Carlsen Verlag, 244/216 Seiten, je 7,99 Euro

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