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Alte Bekannte: Captain America, Thor und Co. kennt man dank ihrer Kino-Reinkarnationen inzwischen auch jenseits der Comicszene.

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Jack Kirby: König der Superhelden

Der New Yorker Zeichner Jack Kirby erfand die Avengers und viele weitere Comicfiguren. An diesem Montag wäre er 100 Jahre alt geworden.

Im September 1944, wenige Tage nach seinem 27. Geburtstag, kauert Private Jack Kirby in einem Erdloch bei Metz, im Nordosten Frankreichs, 70 Kilometer von Saarbrücken entfernt. Ein deutscher Panzer rollt auf die GIs zu, und nur der Sonntagsschuss eines beherzten Kameraden, mitten durch den Sehschlitz des stählernen Ungetüms, rettet ihnen das Leben. Bei Jack Kirbys Berichten fällt es manchmal schwer, Fakten und Legenden zu trennen. Klar ist, dass seine Einheit in der Grenzregion Lothringen in schwere Gefechte verwickelt war, und Nässe und Kälte seinen Füßen derart zusetzten, dass Kirby Anfang 1945 auf einem Lazarettschiff in die Vereinigten Staaten zurückgebracht wurde. Klar ist auch, dass Kirby mit Leib und Seele Erzähler war.

Es wimmelte von Sprints, Sprüngen und Hieben

Kämpfen musste der Sohn jüdischer Einwanderer aus Galizien, geboren an diesem Montag vor 100 Jahren in Manhattan als Jacob Kurtzberg, von klein auf. Erst gegen Armut und befeindete Straßenbanden, dann gegen die Nazis und später, immer wieder, mit ausbeuterischen Geschäftsleuten. Für eine Ausbildung hatte der junge Kurtzberg weder Zeit noch Geld. Er musste seinen Teil beitragen, die Familie über Wasser zu halten, verdingte sich als Zeitungs- und Botenjunge. Wenn er nicht arbeitete oder sich raufte, las Kurtzberg Comicstrips von Hal Foster („Prinz Eisenherz“), Milton Caniff („Terry und die Piraten“) oder Alex Raymond („Flash Gordon“) und übte das Zeichnen. Bald malte der Autodidakt Schilder für zahlende Kunden, fand eine Stelle in den Trickfilmstudios von Max Fleischer („Popeye“) und zeichnete selbst Comics, für Zeitungen und für die neu aufkommenden Comic-Hefte.

King of Comics: So wird Jack Kirby in den USA genannt.
King of Comics: So wird Jack Kirby in den USA genannt.

©  Susan Skaar/Wikipedia

Als der 22-Jährige mit seinem Kollegen Joe Simon 1940 ein eigenes Comicstudio gründete, änderte er seinen Namen – aus Jacob Kurtzberg wurde Jack Kirby. Und der hatte seinen amerikanischen Traum verinnerlicht: Wenn er mit seinem Talent eine eigene Familie ernähren wollte, musste er sich auf den Geschmack des Publikums einlassen, schnell sein und bereit, aus jeder Not eine Tugend zu machen. Gab er sein Bestes, war loyal und machte seine Auftraggeber reich, glaubte Kirby, dann würde immer für ihn gesorgt sein.

Schon knapp ein Jahr vor dem Kriegseintritt der USA leisteten Simon und Kirby ihren Beitrag, die isolationistisch eingestellte Heimatfront umzustimmen. Mit „Captain America Comics“ landeten sie Ende 1940 einen siebenstelligen Hit. Das Cover des Debüt-Hefts zeigt den in die Farben der amerikanischen Flagge gehüllten Titelhelden, wie er Adolf Hitler schwungvoll einen rechten Haken verpasst.

Historischer Kinnhaken. Auf diesem von Jack Kirby gezeichneten Titelbild setzt Captain America 1940 Adolf Hitler außer Gefecht.
Historischer Kinnhaken. Auf diesem von Jack Kirby gezeichneten Titelbild setzt Captain America 1940 Adolf Hitler außer Gefecht.

© Promo

Deutlich erkennbar waren die Einflüsse seiner Vorbilder, doch Kirbys Stärke lag in der Inszenierung von Bewegung. Er wollte seinem Publikum möglichst mitreißende Dramen bieten, und sein erzählerischer Instinkt ließ die Bilder vorm geistigen Auge der Leser beben und knistern. Es wimmelte von Sprints, Sprüngen, und Hieben, von Explosionen und grellen Entladungen. Wenn Kirbys Figuren nicht gerade selbst handelten, waren sie Geworfene oder sahen sich Bedrohungen ausgesetzt, die auf ungekannte Weise greifbar schienen.

Ein flammendes Plädoyer für Freiheit und Menschlichkeit

Als Mitte der 1940er Jahre das Interesse an Superhelden- und Kriegscomics schwand, erfanden Kirby und Simon das Genre der „Romance Comics“: melodramatische Liebesgeschichten, die einen neuen Boom in der Branche auslösten. Als 1961 sein Hauptauftraggeber Timely Comics mit dem Rücken zur Wand stand, erdachten der inzwischen 43-jährige Kirby und sein Redakteur Stan Lee die Fantastic Four, die Avengers, die X-Men, Black Panther und viele andere – Marvel, heute einer der mächtigsten Unterhaltungskonzerne der Welt, war geboren. Als Kirby 1970 dort keine Zukunft mehr für sich sah, wechselte er zur Konkurrenz von DC Comics und machte sich an sein Opus Magnum: Über vier Serien, zweieinhalb Jahre, 55 Einzelhefte und gut 1200 Seiten erstreckte sich die „Fourth World“-Saga um den kosmischen Krieger Orion, den Entfesslungskünstler Mister Miracle und den Erzschurken Darkseid, in welcher die Erde zwischen die Fronten der verfeindeten Welten New Genesis und Apokolips geriet.

Erzählerischer Instinkt: Eines von Kirbys experimentelleren Panels.
Erzählerischer Instinkt: Eines von Kirbys experimentelleren Panels.

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Was Faschismus bedeutet, hatte Kirby im Zweiten Weltkrieg aus nächster Nähe erfahren müssen. Seine „Fourth World“, die letztlich nicht bestehen konnte am Markt und unvollendet blieb, war ein flammendes Plädoyer für Freiheit und Menschlichkeit. Auch danach schuf Kirby noch zig Serien und Figuren für Marvel, DC und andere Verlage. Meist war er getrieben von wirtschaftlichen Zwängen, fast nie merkte man Kirbys Geschichten diesen Druck an. Kirbys Erfindergeist war sein Ausweg, seine Antwort auf alles. Sein Stil wurde im Lauf der Jahrzehnte eigenwilliger und markanter, kalibriert darauf, innerhalb enger zeitlicher und formaler Vorgaben Raum für größtmögliche Kreativität zu schaffen.

Kirby starb am Morgen des 6. Februar 1994 an Herzversagen. Für seine Familie hatte er immer gesorgt, doch er hatte dafür schuften müssen. Dass er für seine Marvel- und DC-Figuren keine Urheberrechte geltend machen und kaum an ihrem Erfolg teilhaben konnte, verbindet Kirby mit vielen seiner Kollegen. Das amerikanische Recht gestattete es den Verlagen lange, Autoren und Künstler nach Belieben zu enteignen. An den Milliarden, die seine Schöpfungen Marvel spätestens mit ihren Kino-Erfolgen einbringen, werden Kirbys Erben erst seit 2014 beteiligt, als man sich nach langem Streit außergerichtlich einigte.

Unvollendet: Eine Szene aus Kirbys „Fourth World“-Saga.
Unvollendet: Eine Szene aus Kirbys „Fourth World“-Saga.

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Kirby sagte einmal, sein Vater, Schneider von Beruf, habe um 1900 einen deutschen Adeligen beleidigt und sei von ihm zum Duell gefordert worden. Weil der Deutsche ein guter Schütze gewesen sei, entschied sich Kirbys Vater zur Flucht. Benjamin Kurtzberg, so die Erzählung seines Sohnes, ließ sein altes Leben hinter sich und fing in Amerika ein neues an.

Weiterführende Literatur (Englisch):
Mark Evanier: Kirby: King of Comics, Abrams, 2008, 220 Seiten, etwa 24 Euro
Charles Hatfield: Hand of Fire: The Comics Art of Jack Kirby, University Press of Mississippi, 2012, 300 Seiten, etwa 24 Euro

Offenlegung: Der Autor arbeitet als freier Übersetzer für den Panini-Verlag, wo viele von Jack Kirbys Comics auf Deutsch erscheinen.

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