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Stilprägend: Ralf König vor einer Auswahl seiner Werke.

© Ralf König

Internationaler Comic-Salon 2014: König, mein König

Ralf König wird auf dem Internationalen Comic-Salon Erlangen für sein Lebenswerk ausgezeichnet. Sein Zeichnerkollege Flix gratuliert ihm - und verrät wieso sein Leben ohne Königs Comics anders verlaufen wäre.

Es war 1988 in der Stadtbibliothek Darmstadt. Ganz am Ende der engen Regale hatte eine geschmackssichere Bibliotheksmitarbeiterin eine Comic-Ecke eingerichtet. In der war alles zu finden, was mein junges Herz begehrte. Und dazu einiges, was meine junge Seele noch nie gesehen hatte.

Da war ein Comic, der vom Format her gar nicht wie ein Comic aussah, sondern eher wie ein Roman. Er trug den Titel "Der bewegte Mann", worunter ich mir gar nichts vorstellen konnte. Auf dem weißen Cover war ein verdrehter Nackter, der komisch guckte. Ich blätterte hinein und war beeindruckt, verwundert, verwirrt und begeistert von dem, was ich sah und las. Eine Geschichte, die unglaublich lustig war. Mit Figuren, die sprachen wie du und ich. Nur pointierter. Die im besten Sinne alltäglich daherkamen, aber nichts, überhaupt gar nichts mit meinem Alltag zu tun hatten. Denn die Hauptrollen spielten: zwei schwule Männer.

"Durch seine Comics erlebte ich mein Coming-out"

Dass es Homosexualität gab, hatten wir kurz zuvor im Biologieunterricht gelernt. Zudem war "Arschficker" ein gängiges Schimpfwort auf unserem Schulhof. Ansonsten waren bis zu der Zeit schwule Paare für mich ähnlich real wie Einhörner, Zombies und Poltergeister. Es gab sie nicht wirklich. Oder wenn, dann als unscharfe Projektionsfläche der eigenen Ängste. "Der bewegte Mann" änderte das für mich. Ich lernte Norbert Brommer und seinen Freund Walter kennen. Dazu Fränzchen (der viele Jahre später an Aids erkranken sollte), den Metzger und die Männergesprächsgruppe. Es war mein Einstieg in die Welt der Comics von Ralf König. Eine Welt, in der unverkrampft und ehrlich über das gesprochen wurde, was es in meinem heteronormativen Vorstadtumfeld nicht gab: eine bunte, facettenreiche Sexualität.

Durch Ralf Königs Comics erlebte ich mein Coming-out als Hetero. Seine Comics erlaubten mir, mich auf den Gedanken einzulassen, wie es wäre, einen Mann zu lieben. Sie machten mir Mut, mich zu fragen, wo ich stehe. Auszuprobieren, was mir gefällt. Und aufgrund dieser Erfahrungen laut sagen zu können: Ich liebe Frauen. Nicht weil es die Norm ist. Sondern weil es sich für mich persönlich stimmig anfühlt.

"Er ist einer der Gründe, warum ich Comiczeichner geworden bin"

Das ist, was Ralf Königs Geschichten besonders macht. Er weiß, dass es mehr zwischen Himmel und Erde gibt, als wir uns träumen lassen. Er erzählt darum von dem, was individuell richtig ist. Und was uns Menschen ausmacht. Er erzählt von Leidenschaft, von Trieben, von Gier, von Enttäuschung, von Verzweiflung und von tiefer, glücklich machender Zuneigung. Er schafft es, dem flirrenden Gefühl des Verliebtseins eine Knollennase zu verpassen und der Sehnsucht eine behaarte Brust. Und dabei ist es völlig egal, welches Geschlecht das Subjekt der Begierde hat. Es geht Ralf König um mehr. Es geht ihm um die Liebe.

Seinen Zeichenstil passt dazu. Ralf Königs Stift gleitet flott und präzise über das Papier. Er hält sich nicht lange damit auf, Perspektiven zu konstruieren oder Räume auszugestalten. Wo seine Figuren stehen, erfährt man durch das, was sie sagen, nicht durch detaillierte Hintergründe. Klar, sein Lettering könnte leserfreundlicher sein, aber es passt. Denn die Dialoge sind schnell wie Billy-Wilder-Filme und das Timing ähnlich perfekt. Ralf König beherrscht die gesamte Klaviatur des Dramas, das Hochamt des Humors und die Kunst der Pause. Er kann die ganz großen Gefühle und die ganz großen Themen so zu Papier bringen, dass man lachen und weinen muss. Man verliebt sich in seine Figuren. Man verliebt sich in ihn. Und wenn er von einem Panel zum nächsten mit einem einzigen zusätzlichen Strich die Mimik seiner Figuren verändert und damit die Stimmung der Szene zum Kippen bringt, dann ... dann ... - ja, dann möchte man APPLAUDIEREN!

Immer der Nase nach. So hat Ralf König sich selbst beim Zeichnen porträtiert.
Immer der Nase nach. So hat Ralf König sich selbst beim Zeichnen porträtiert.

© Zeichnung: Ralf König

Ralf König ist der Zeichner, mit dessen Werk ich die meiste Zeit verbracht habe. Ich habe jahrelang immer wieder seinen Bildrhythmus studiert, den Seitenaufbau und die Dramaturgie seiner Erzählungen, um dahinterzukommen, wie man einen guten Comic macht. Er ist einer der Gründe, warum ich Comiczeichner geworden bin. Er hat mich mit seinem Werk motiviert, mich meinen eigenen Themen zu stellen. Er war und ist ein Vorbild. Dass Ralf König an diesem Freitag den Max-und-Moritz-Preis für sein "Lebenswerk" bekommt, ist meiner Meinung nach absolut berechtigt. Ich wüsste niemanden, der ihn mehr verdient hätte. Auch wenn ich’s fast noch ein bisschen früh finde. Denn wir Zeichner sind wie Zootiere. Bei guter Pflege werden wir steinalt. Darum, liebe Jury, nennt seinen Preis lieber Auszeichnung für "das vorläufige Gesamtwerk". Denn ich bin sicher, unser König schwingt noch lange den Stift. Für sich. Für uns. Für die Liebe. Und für alle, die in der Comic-Ecke der Stadtbibliothek entdecken dürfen, welche Vielfalt das Leben für sie bereithält.

Unser Autor Flix zeichnet alle vier Wochen einen Strip für den Tagesspiegel und hat zahlreiche Comic-Bestseller veröffentlicht, darunter "Don Quijote" und "Da war mal was ...". Zuletzt wurde seine Trilogie "Held" bei Carlsen neu aufgelegt. Die Max-und-Moritz-Gala mit der Preisverleihung an Ralf König findet am Freitagabend ab 21 Uhr auf dem Comic-Salon Erlangen statt.

Ralf Königs Bücher erscheinen bei Rowohlt, Egmont und Männerschwarm, zuletzt "Konrad & Paul - Raumstation Sehnsucht", "Ist der Ruf erst ruiniert" und der erste Band von "Der junge König - die frühen Comix".

Unser Autor Flix zeichnet alle vier Wochen einen Strip für den Tagesspiegel und hat zahlreiche Comic-Bestseller veröffentlicht, darunter „Don Quijote“ und „Da war mal was...“. Zuletzt wurde seine Trilogie „Held“ bei Carlsen neu aufgelegt. Die Max-und-Moritz-Gala mit der Preisverleihung an Ralf König findet am Freitagabend ab 21 Uhr auf dem Comic-Salon Erlangen statt.

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