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Nudeln für den Führer: Eine Seite aus dem besprochenen Buch.

© Egmont

„Hotel Hades“ von Katharina Greve: Sisyphos im Laufrad

Katharina Greve nimmt in ihrem dritten langen Comic die Götterwelt aufs Korn und erlöst uns von der Hoffnung auf ein Paradies. Am Donnerstag gibt sie dazu eine bebilderte Lesung in Berlin.

Die Berliner Zeichnerin Katharina Greve betrachtet in ihrem neuen Comic „Hotel Hades“ den Tod von seiner komischen Seite. Sie erzählt darin vom Nachleben dreier Attentatsopfer, die in ein Totenreich antiker Prägung eintreten. Je nach Verdienst oder Verschulden, Glück oder Lasterhaftigkeit erhalten die Toten in diesem Reich Zugang zu den elysischen Inseln oder müssen auf ewig in den Tiefen des Tartaros für ihre Sünden geradestehen, während „die graue Masse“ dem Vergessen der Lethe anheim gegeben wird.

Den Zugang zu dieser Unterwelt verwaltet – der Titel verrät es – der Totengott Hades auf seine ganz eigene Weise. Das passt zwar den Göttern dieser Welt nicht, aber dem jungen Security-Unternehmer ist das gleich. Schließlich hat er die Arbeit mit den „57 Millionen Neuankömmlingen im Jahr“, denen von Gott, Allah, Jahwe, Quetzalcoatl, Odin, Osiris und all den anderen Mitgliedern der Götterfamilie das Blaue vom Himmel versprochen wird. Um die Verteilung der Toten zwischen Elysium, Strom des Vergessens und Tartaros zu erleichtern, verteilt er unter der Hand noch zu Lebzeiten seiner Opfer VIP-Tickets für den All-Inclusive-Aufenthalt im Elysium.

Eintrittskarte ins ewige Vergnügen

Ein solches hat auch die Literaturnobelpreiskandidatin Martha Korn, die neben ihrem jüngeren Geliebten Florian Brinkmann und dem Imbissbesitzer Peter Fischer an der Pommesbude Fischers Fritze erschossen wurde. Doch während der Überfahrt über den Styx verhält sie sich ungeschickt und ihr Begleiter – untröstlich über sein viel zu frühes Ableben – entreißt ihr die Eintrittskarte ins ewige Vergnügen.

Drei Opfer, drei Unterwelten, man ahnt schon, wohin das führt. Während sich Florian Brinkmann auf unlautere Weise ins Elysium einquartieren lässt, darf Peter Fischer seine Unterschichtskarriere in der ewigen Welt des Mittelmaßes fortsetzen und Martha Korn muss in die Unterwelt einfahren.

Absurder Alltag: Eine weitere Seite aus dem Buch.
Absurder Alltag: Eine weitere Seite aus dem Buch.

© Egmont

„Hotel Hades“ ist bereits Katharina Greves dritter Comic. 2002 machte sie sich als „Situationsdesignerin“ selbstständig und vertrieb ihre Strips und Kurzgeschichten anfangs über den von Ulli Lust betriebenen Online-Verlag electrocomics. Schnell wurden ihre Cartoons und Strips in der Satirezeitschrift Titanic gedruckt, später dann auch im Magazin, dem Tagesspiegel und anderen Zeitungen. 2009 erschien mit „Ein Mann geht an die Decke“ ihr erster Comic. Doch zu dem Zeitpunkt war Greve bereits so bekannt, dass das Werk als „spätes Debüt“ gefeiert wurde. Beim Comicsalon in Erlangen wurde der Comic für sein herausragendes Artwork ausgezeichnet, im Jahr darauf erhielt Greve als erste Frau überhaupt den Deutschen Cartoonpreis. 2011 erscheint mit „Patchwork – Frau Doktor Waldbeck näht sich eine Familie“ der zweite längere Comic, und erneut jubelt die Kritikergemeinde. Vor allem der subversive Charakter ihrer Zeichnungen, der bissige Humor und die feinsinnige Anbindung an die Realität wurden gelobt.

Eine Papst-Karikatur erregte international Aufmerksamkeit

Danach war es etwas stiller um Greve geworden. Erst eine Papst-Karikatur, auf der Benedikt XVI. nach einem Lottogewinn seinen Rücktritt ankündigt, brachte Greve im Februar 2013 zurück ins Rampenlicht der Öffentlichkeit. Denn die Zeichnung war der Cartoon des Tages in einem Abreißkalender am Tag vor der Demission des obersten Katholiken im vergangenen Jahr. Was für eine verrückte Geschichte. Neun Monate später erhält sie den Sondermann-Förderpreis. Die Jury lobte ihre „Kunst der graphischen Verknappung als auch die der erzählerischen Ausweitung eines Stoffs zu Groteske und Satire“.

Auch „Hotel Hades“ ist eine wunderbar tiefgründige, lachmuskelfordernde Satire auf der Grundlage der griechischen Mythologie. Da betreibt der Fährmann Charon eine Reederei mit miesepetrigem Personal und die Verstorbenen werden in ein Megalopolis übergesetzt, in der sie eine geradezu kapitalistische Variante des Dreigestirns aus ewigem Vergnügen, endlosen Qualen und dem totalen Vergessen erwartet.

Die Abgründe der Moderne werden von Greve hervorragend auf den Gipfel getrieben und erhalten hier ihre passende Umsetzung. Auch die religiösen und politischen Ideologen dieser Welt werden hier vorzüglich aufs Korn genommen. Während Sisyphos seit der zweiten Hades-Reform seinen Stein nicht mehr einen Berg, sondern aus Gründen des Platzsparens ein Laufband unablässig hinaufschieben muss, schießen Mahatma Gandhi und Queen Mum im Elysium mit Pfeil und Bogen nach Grillwürstchen. Und während sich der liebe Gott durch die Pornokanäle zappt und darüber sinniert, ob es nicht Zeit für ein 3D-Gerät ist, lernen die Untoten dieser Geschichte vor den Toren Hades, ihr Schicksal zu akzeptieren. Auf die verzweifelt-naive Frage des Geistes von Florian Brinkmann „Wir sind wirklich tot, oder?“ antwortet die kühle Schriftstellerin Martha Korn nur lapidar: „Tja, damit müssen wir jetzt wohl leben.“

Selten war der Tod so komisch

Greves Comic zeigt, was das Medium Comic zu erzählen imstande ist. Nicht weil die Geschichte sehr komplex ist, das keineswegs, ganz im Gegenteil. Aber weil hier einfach alles stimmt und miteinander harmoniert. Eine Satire besteht im wesentlichen aus Überzeichnungen, die bewusst so überzeichnet sind, dass man unmöglich von einer Ernsthaftigkeit dessen ausgehen kann. Und zugleich gibt es einen ernsten Kern, um den sich diese Satire dreht. Ohne diesen wäre die Satire hohles Gekicher, mit ihm ist sie lautes Brüllen, fassungsloses Staunen und zuweilen auch stille Verlegenheit. Genau das ist hier der Fall.

Greve hat viele kleine Absurditäten unseres Alltags zu einer großartigen Groteske auf die Moderne verwoben, in der das mopsfidele Schicksal der Hades’schen Republik Mensch-ärgere-dich-nicht mit den Toten spielt. In „Hotel Hades“ trifft Mythologie auf Ironie und schwarzer Humor gesellt sich zu bitterem Sarkasmus. Greves Unterwelt ist ein Paralleluniversum, in dem selbst die Toten noch kapitalistische Ausbeutung erfahren. Selten war der Tod absurd und komisch.

Höllenhündchen: Das Buchcover.
Höllenhündchen: Das Buchcover.

© Egmont

Katharina Greve: Hotel Hades, Egmont Graphic Novel, 127 Seiten, 19,99 Euro, eine Leseprobe gibt es auf der Verlags-Website.

Veranstaltungshinweis: Am 27. November liest Katharina Greve um 17 Uhr in der Ingeborg-Drewitz-Bibliothek in Berlin-Steglitz (Grunewaldstraße 3, 12165 Berlin) aus ihrem Buch und zeigt andere Werke. Der Eintritt ist frei, mehr dazu hier.

Mehr Tagesspiegel-Artikel unseres Autors Thomas Hummitzsch gibt es hier, und hier findet sich seine Website intellectures.

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