zum Hauptinhalt
On the Road again: Eine Szene aus dem neuen Album.

© Schreiber & Leser

„Corto Maltese: Unter der Mitternachtssonne“: Heimweh und Fernweh

Das erste neue Comicabenteuer von Corto Maltese rund zwanzig Jahre nach dem Tod seines Schöpfers wurde mit Skepsis erwartet - doch „Unter der Mitternachtssonne“ ist eine würdige Fortsetzung.

Es gab wenige Künstler, bei denen die eigene Vita so unauflösbar und mysteriös mit ihrer Schöpfung verwoben war wie bei Hugo Pratt und seinem Kapitän Corto Maltese. Beide waren polyglotte Weltbürger, bei denen nie ganz klar war, wo das Leben aufhörte und die Legende begann.

Die Idee, rund zwanzig Jahre nach Pratts Tod die Abenteuer von Corto Maltese fortschreiben zu lassen, weckte zu Recht vielerorts Skepsis. Diese legt sich bei der Lektüre von „Unter der Mitternachtssonne“ jedoch schnell, dem neuen Band, den die beiden Spanier Juan Díaz Canales und Rubén Pellejero geschrieben beziehungsweise gezeichnet haben. Nach nur wenigen Seiten fühlt sich die Lektüre an wie eine Heimkehr. Eine paradoxe Heimkehr ins Fernweh quasi, denn das war stets das Kernthema der Saga, die der Italiener Pratt zwischen 1967 und 1989 im Alleingang schuf.

Auf Jack Londons Spuren nach Alaska

Canales, der die hochgelobten „Blacksad“-Bände verantwortet und Pellejero, der mit den Geschichten um den Antihelden „Dieter Lumpen“ bekannt wurde, orientieren sich klar und gekonnt an Pratts frühen Werken wie der „Südseeballade“ oder „Corto Maltese in Sibirien“. Das heißt ästhetisch: konservative Panelgestaltung, klare Linien sowie harte, am Film noir geschulte Licht-Schatten-Kontraste. Und inhaltlich: ein mäandernder Abenteuerplot, bei dem Leser und Held oft nicht wissen, wo das hinführen soll, wenn ein Hinterhalt vom nächsten abgelöst wird. Karl May auf LSD sozusagen. Doch Stimmung war bei Malteses-Abenteuern schon immer wichtiger als Stringenz, was nicht unwesentlich zum Reiz der Reihe beitrug.

Die Grenze zwischen Fiktion und Fakt verwischen wie beim Original auch Canales und Pellejero, in dem sie zahlreiche historische Figuren auftauchen lassen. Aufhänger der Geschichte ist ein Brief des Schriftstellers Jack London, in dem dieser seinen Freund Corto bittet, eine Nachricht nach Alaska zu bringen. Auf dem Weg begegnet er unter anderem dem Polarforscher Matthew Henson oder auch der Prostituierten und Frauenrechtlerin Yamada Waka. Cortos Hassliebe Rasputin ist ebenfalls dabei, und, ach ja, einen Schatz gilt es natürlich auch wieder zu finden …

Da ist er wieder: Das Cover des neuen Corto-Albums.
Da ist er wieder: Das Cover des neuen Corto-Albums.

© Schreiber & Leser

Der Verlag Schreiber & Leser, der die zum Teil vergriffenen „Corto Maltese“-Bände gerade wieder auflegt, hat die rund 80 Seiten lange Geschichte jüngst als 13. Band der Gesamtausgabe in einer Farb- sowie einer Schwarz-Weiß-Variante veröffentlicht und mit einem mit Skizzen und Karten illustrierten Vorwort versehen, das einige Hintergründe der Geschichte beleuchtet. Das weckt Vorfreude auf Band 14.

Juan Díaz Canales, Rubén Pellejero: Corto Maltese - Unter der Mitternachtssonne, Schreiber & Leser, aus dem Spanischen von Oriol Schreibweis, 100 Seiten, 24,80 Euro.

Zur Startseite