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Afrikanischer Alltag als Soap Opera: Eine Szene aus "Aya".

© Reprodukt

Comics aus und über Afrika: Der Traum von Europa

Die Flüchtlingskatastrophe im Mittelmeer: Comics wie die gezeichnete Soap Opera „Aya“ bieten Erklärungen und geben teilweise bemerkenswert realistische Einblicke in den afrikanischen Alltag.

Die junge Ivorerin Aya, Protagonistin der gleichnamigen Comic-Serie, weiß nicht mehr weiter. Sie will weder schnell einen Ehemann finden noch ein Modegeschäft eröffnen, wie viele ihrer Altersgenossinnen an der Elfenbeinküste der 70er Jahre, sondern sie studiert Medizin. Und jetzt das: Der Professor, der ihr Nachhilfe anbietet, wird übergriffig. Sie kann zwar fliehen, aber nun droht ihr Studium zu scheitern. Im Arbeiterviertel Yopougon der Hauptstadt Abidjan sind die Freundinnen der Herrschaft der Männer ausgeliefert. Nicht einmal ihren Vätern können sie sich anvertrauen.

Die aus der Republik Elfenbeinküste stammende Autorin Marguerite Abouet und der Zeichner Clément Oubrerie (der Anfang Juni auch beim Comicfestival München zu Gast sein wird) entführen die Leser der seit kurzem bei Reprodukt komplett auf Deutsch vorliegenden Comicreihe in ein lebendiges Panoptikum der Sorgen, Leidenschaften und Streitigkeiten ihrer weiblichen Hauptfiguren. Das hat viel von einer Soap Opera. Vor allem aber setzt sich der intime Einblick in den afrikanischen Alltag wohltuend ab von den dominanten Medienbildern von Krisen, Krankheiten und Konflikten wie vom Exotismus der Natur- und Tierbilder, die als Kulisse vieler Abenteuercomics dienen. Und doch: Vor dem Hintergrund der aktuellen Flüchtlingskatastrophe im Mittelmeer stellt sich die Frage, ob auch Comics Erklärungen für die derzeitige massenhafte Migration liefern können.

Reinhard Kleists „Der Traum von Olympia“ bietet eine Antwort: Der Leidensdruck durch Krieg, Armut Not und islamistische Drangsalierung kann so groß werden, dass ein Leben in der Heimat nicht länger lebenswert erscheint. Die junge Läuferin Samia verliert da am Ende ihr Leben, als dem überfüllten Flüchtlingsboot vor Libyen der Sprit ausgeht. Der Finne Ville Tietäväinen schildert in „Unsichtbare Hände“ ein Flüchtlingsschicksal mit ähnlich tragischem Ausgang.

Comic-Reportage: Das Cover des bislang nur auf Französisch vorliegenden Buches „I comb Jesus et autres reportages africains“.
Comic-Reportage: Das Cover des bislang nur auf Französisch vorliegenden Buches „I comb Jesus et autres reportages africains“.

© Futuropolis

Der Belgier Jean-Philippe Stassen widmet den Menschen, die über das Meer nach Spanien zu gelangen versuchen, in dem bislang nur auf Französisch vorliegenden Buch „I comb Jesus et autres reportages africains“ eine große Reportage. Und im jüngst beim Comicfestival in Angoulême ausgezeichneten Band „Yékini. Le Roi des Arènes“ von Lisa Lugrin und Clément Xavier ist es der durch die europäische Konkurrenz zerstörte Traum, Kapitän eines Fischerboots zu werden, der den jungen Yakhia seine Zukunft im Sport suchen lässt.

Bei „Aya“ finden sich komplexere Erklärungen. Ein Handlungsstrang beschäftigt sich mit Innocent, dem Ex-Freund des Bruders von Ayas Freundin Adjoua. Er geht nach Frankreich, um sein Glück als Friseur zu suchen. Dafür steigt er – damals noch möglich – einfach in ein Flugzeug. Auf die Frage des französischen Grenzbeamten, ob er etwas anzumelden hat, sagt er: „Nichts, außer meiner eigenen Person“. Abouet hat Innocents Geschichte eine Nachbemerkung gewidmet: „Das Seltsame war, dass sich trotz des damaligen ‚Freifahrtscheins‘ die Ivorer nicht darum rissen, in das Land des Francs zu kommen“. Damals, in den 70ern, herrschte an der Elfenbeinküste Aufbruchsstimmung.

Unter der Oberfläche der Irrungen und Wirrungen des Lebens von Aya und ihren Freundinnen thematisiert Abouet, was die Hoffnungen nach und nach zunichte macht. Die afrikanische Großfamilie, die Zusammenhalt und soziale Sicherheit bietet, ist gleichzeitig ein Entwicklungshindernis, weil die Erfolgreichen von den Anforderungen ihres Umfelds überfordert werden. Unternehmerische Initiative wird durch Alltagskorruption und Betrügereien erstickt. Grégoire, der Freund von Ayas Freundin Bintou, wird zum angeblichen Wunderheiler in einer der konkurrierenden Kirchen und zieht den Menschen ihr Geld aus der Tasche. Er hatte es in Frankreich nicht geschafft, was er, zurück in Abidjan, aber nicht zugeben konnte. Auch dies ein trauriges Kapitel der Migration: Die Scham der Gescheiterten.

Unser Autor Dr. Thomas Greven ist Senior Research Fellow am Institut für Internationale Politik, Berlin, und Privatdozent am John-F.-Kennedy-Institut der FU Berlin. Einen Beitrag von ihm über aktuelle politische Comicreportagen finden Sie unter diesem Link.

Thomas Greven

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