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Pionier. Will Eisner (1917-2005) an seinem Zeichentisch.

© Carlsen

Comicpionier Will Eisner: Avantgarde aus der Bronx

Will Eisner wäre am 6. März 100 geworden. Sein Einfluss auf den Comic wirkt bis heute nach.

Was Will Eisner da Mitte der 1970er geschrieben und gezeichnet hatte, passte in keine Schublade. Er wusste, es war gut. Aber verdammt schwer zu verkaufen: vier Comic-Kurzgeschichten, die in der Bronx der 1930er Jahre spielen, elegant gezeichnet in Schwarz-Weiß, mit Figuren, die alles andere als die im US-Comic üblichen Superhelden waren: ein religiöser Jude in Trauer um sein totes Kind, ein durchtriebenes Gör, ein versoffener Straßensänger und sechs New Yorker in einem Liebesreigen mit überraschendem Ende. Kleine Leute in der großen Tragikomödie des Lebens, die versuchen zu überleben. Aus Verlegenheit bezeichnete Eisner das Buch als „Graphic Novel“, als er es dem Literaturverlag Bantam Books anbot. Der Verleger lehnte ab. Comics in einem Literaturverlag, das war damals undenkbar. „Ein Vertrag mit Gott“ erschien 1978 bei einem Kleinverlag und war keiner wichtigen US-Zeitung eine Rezension wert.

So ist das manchmal mit Meilensteinen der Kulturgeschichte. Die hitzigen Debatten über die „Graphic Novel“ als vermeintlich besserer Comic würde Will Eisner nicht verstehen. Ihm ging es um die Qualität von Bildern und Geschichten. Sein Anspruch bis zu seinem Tod 2005 blieb, die Grenzen der Kunstform zu erweitern. Ihm gelang das gleich mit Anfang 20. Er betrieb zusammen mit Jerry Iger sein erstes Comicstudio, umgeben von einer Reihe begabter Zeichner, mit denen er Abenteuergeschichten schuf. Durchaus erfolgreich, aber sein Ehrgeiz zielte auf Stoff für erwachsene Leser.

Was Menschen ins Verbrechen treibt

Das Ergebnis ist eine der gelungensten Fusionen von Action und Kunst, die der Comic bislang erlebt hat: „The Spirit“, die Serie über das maskierte Alter Ego des Privatdetektivs Denny Colt. Auf sieben Seiten erzählt Eisner davon, was Menschen ins Verbrechen treibt – Bösartigkeit, Dummheit, manchmal nur unglückliche Zufälle – und bringt in ihnen auch noch Verfolgungsjagden, Witz und Erotik unter. Die Wespentaillen seiner Femmes fatales P’Gell oder Powder sind legendär.

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Gangsterjäger mit Schwächen. Szene aus der "Spirit"-Episode "Showdown mit dem Kraken" von 1947.

© Salleck Publications

Ebenso legendär sind seine Splash Pages. Die erste Seite zeigt den „Spirit“-Titel in immer neuen Variationen, als Plakat-Schriftzug, Wolke oder Skulptur. Eisners Abnehmer bei den Zeitungen trieb das zur Weißglut, weil die Leser die Comics auf Anhieb wiedererkennen sollten. Er blieb stur, denn er hasste es, sich zu wiederholen. Und er glaubte an die Intelligenz der Leser. Er behielt recht. Wie er auf den Splash Pages Schauplätze variiert, Frosch- oder Vogel-Perspektiven ins Extrem treibt und geschult an den Short Stories, die er so liebte, den Leser in die Handlung wirft, ist bis heute ein Fest für Auge und Hirn.

1952 machte er sich auf zu neuen Ufern und wurde Verleger. Bis in die frühen 70er zeichnete er Comics für den Schulunterricht und für die Armee. Eigentlich war er zufrieden. Bis er zu einer der ersten Comic Conventions eingeladen wurde. Die Begegnung mit den Underground Comix und ihren Machern Robert Crumb & Co weckte den alten Hunger, Geschichten zu erzählen, ohne Tabus, wie es die Comics des Untergrunds taten.

„Geschichten schreiben – das ist die wahre Kunst“

„Ein Vertrag mit Gott“ war nur der Auftakt zu seiner Alterskarriere. Science Fiction, Melodram, Literaturadaption, Polemik – er hat kaum ein Genre ausgelassen. Was nicht heißt, dass er in allen gut war. Seine letzten beiden Bücher „Ich bin Fagin“ und „Das Komplott“ zum Beispiel beklagen den Hass gegen Juden. Ein berechtigtes Anliegen, leider plump umgesetzt. Will Eisners Figuren(über)zeichnung gerade der Nicht-Juden strotzt vor Klischees.

Nein, seine Stärken lagen anderswo, und dieses Wo ist wörtlich zu nehmen: sie lagen in New York, genauer gesagt, in der Bronx, wo er während der Großen Depression aufwuchs. Die Beengtheit der Tenements, der Mietshäuser, das Nebeneinander der Einwanderer-Kulturen, Einsamkeit und Solidarität im Großstadtleben, all das hat er treffsicher und mit spürbarer Menschenliebe eingefangen, in den Miniaturcomics in „City People Notebook“ wie in „Lebenskraft“, seinem Opus Magnum. „Zeichnen kann jeder lernen, aber Geschichten schreiben – das ist die wahre Kunst“, hat Will Eisner einmal gesagt. Ein Glück für uns, dass er in beidem ein Meister war.

Will Eisners Comics erscheinen auf Deutsch im Carlsen-Verlag und bei Salleck Publications.

Ein aktuelles Radio-Feature unserer Autorin Silke Merten über Will Eisner lässt sich hier anhören und herunterladen.

Silke Merten

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