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Pragmatisch: Papa Delisle mit seinem Sohn.

© Zeichnung: Delisle

Comic-Tagebücher: Kindererziehung mit der Motorsäge

Guy Delisle („Aufzeichnungen aus Jerusalem“ ) lüftet in seinem neuen Comic auf amüsante Weise die Geheimnisse seiner väterlichen Erziehungsmethoden.

Der Frankokanadier Guy Delisle ist der Comicwelt bekannt für seine hintergründigen Reisetagebücher aus Gegenden, die es in sich haben. Zuletzt erschienen seine in Angoulême als bestes Album ausgezeichneten „Aufzeichnungen aus Jerusalem“ (2011), nachdem er zuvor aus seinem Alltag in Burma (2009) und China (2000) berichtet hat. Und wahrscheinlich ist jetzt die beste Zeit, um noch einmal seine gezeichneten Notizen aus Pjöngjang (2003) hervorzuholen, um überhaupt irgendein Bild von diesem Nordkorea zu bekommen, dass der Welt mit einem atomaren Schlag droht.

Entstanden sind diese Tagebücher nebenher, möchte man fast sagen, denn die Reisen, bei denen Delisle seine gleichermaßen erhellenden wie augenzwinkernden Notizen macht, unternimmt eigentlich seine Frau. Sie reist für die Organisation „Ärzte ohne Grenzen“ durch die Welt. Delisle hat sie stets „nur“ begleitet. Und während sie ihrer Arbeit nachging, hat er sich in der Manier eines Flaneurs in die Welt, die ihn umgab begeben, anfangs ohne Kinder, seit dem Aufenthalt in Burma mit Kind im Schlepptau.

Der situativen Skurrilität, von der Delisle in seinen Comics erzählt, hat das keinen Abbruch getan. Vielmehr wurde das Repertoire noch erweitert, etwa wenn er mit Kinderwagen vor den schwerbewaffneten Militärs in Burma steht, wenn dem Familienvater bei einem Zoobesuch in Jerusalem Siedler mit Kalaschnikow im Anschlag begegnen oder er seinem Sohn den Nahostkonflikt erklären will.

Wer meint, dass das zu ernst ist, um einen witzigen Comic draus zu machen, der kennt Delisles Werke nicht, denn an Ernsthaftigkeit lässt er es darin nie mangeln. Aber die Doppelbödigkeit und Absurdität der Wirklichkeit, die er in seinen minimalistischen Zeichnungen sichtbar macht, lassen dem Leser keine Wahl, als betreten zu schlucken oder herzhaft zu lachen. Im Hintergrund meint man, Delisles Stimme zu hören, die lapidar flüstert „It’s up to you.“

In jüngster Zeit hat Delisles Familie auf das Reisen verzichtet. Das klang schon im Jerusalem-Band an. Exotische Orte scheinen momentan tabu, aber absurde und skurrile Wirklichkeit gibt es auch in Montpellier, Delisles Wahl-Heimat. Sein neues Werk „Guide du Mauvais Père“, das im September als „Handbuch für schlechte Väter“ (Reprodukt Verlag) auch in Deutschland erscheinen wird, erzählt davon. In kleinen Anekdoten berichtet er von seinem Alltag als zuweilen leichtherziger bis überforderter Vater.

Warten auf die Zahnfee: Eine Szene aus dem Buch.
Warten auf die Zahnfee: Eine Szene aus dem Buch.

© Zeichnung: Delisle

In der ersten herzerwärmenden Geschichte geht es um seinen Sohn Louis, der seinen ersten Zahn verliert und nun auf die Zahnfee wartet. Mehrere Tage vergeblich, was den hoffenden Sohn ebenso verzweifeln lässt wie den vergesslichen Vater, den wir abends vor der Glotze erschöpft einschlafen sehen. In einer anderen Erzählung bringt er seine Tochter Alice ins Bett. Sie ist beunruhigt, weil sie im Kindergarten gehört hat, dass es Menschen gebe, die Kinder im Schlaf stehlen. Er beruhigt sie, erzählt ihr allerdings von Affen in Malaysia, die ein schlafendes Kind aus seinem Bett entführt haben.

Louis will er den Umgang mit der Motorsäge nahebringen und steigert sich in einem Anfall jugendlichen Übermuts in eine Szene hinein, in der es so aussieht, als hätte er sich die Hand abgeschnitten. Alice präsentiert ihm stolz ihre Zeichnung einer Vierjährigen, die er erst anstandsgemäß bewundert, um sich dann in die verheerende Bildkritik des Comicprofis hineinzusteigern. In all diesen Anekdoten wirkt der typisch Delisle’sche Zauber der Situationscomic, und es bleibt ein Vater zurück, der erstaunt über sich selbst aus der Wäsche schaut.

Situationskomik: Das Covermotiv.
Situationskomik: Das Covermotiv.

© Promo

Sein „Handbuch für schlechte Väter“ ist im Gegensatz zu seinen Reisetagebüchern überhaupt nicht politisch – und entspricht damit vielleicht am ehesten dem Delisle, den er in sich selbst sieht. Denn das analytische Auge, mit dem er die Wirklichkeiten in der Ferne seziert hat, wurde ihm vor allem unterstellt. Delisle selbst hat aus seiner Perspektive einfach immer nur gezeichnet, was er erlebt hat. Mit diesem Programm fährt er hier auf überaus amüsante, herzergreifende Weise fort. Seine ebenso naiven wie gewitzten Kinder tragen dazu wesentlich bei.

Guy Delisles „Handbuch“ ist nicht nur eines für die im Titel genannten schlechten Väter, sondern auch für die tollen Mütter, die überengagierten Großeltern und die strengen Onkels und Tanten (um im Bild zu bleiben). Denn es erzählt von dem Abenteuer des Alltags mit Kindern, die nicht nur so manchen Vater, sondern jeden Erwachsenen an ihre Grenzen führen, die der Belastbarkeit ebenso wie die der Klugheit.

Guy Delisle: Guide du Mauvais Père, Shampooning, 192 Seiten, 9,95 Euro, ab September 2013 in deutscher Übersetzung bei Reprodukt.

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