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Die Verfilmung ist schon in Arbeit: Eine Szene aus dem zweiten Band.

© Carlsen

Comic-Serie: Afrikanischer Alltag

Die Elfenbeinküste ist von politischen Unruhen erschüttert. Die charmant erzählte Comicreihe „Aya“, die jetzt im französischen Original komplett vorliegt, handelt zwar nicht direkt vom Krieg, ist aber eminent politisch.

Der sechste und abschließende Band dieser Reihe über drei ivorische Teenager, deren deutsche Veröffentlichung leider stark hinterherhinkt, erscheint inmitten neuerlicher Konflikte in dem zuletzt arg gebeutelten Land. Die Elfenbeinküste, wie die benachbarte „Goldküste“ (Ghana) von der Natur recht gesegnet, droht wieder in einen Bürgerkrieg zu stürzen, der das Land zweifellos weit zurückwerfen würde – und der den zugrunde liegenden Konflikt doch nicht lösen könnte.

In den westlichen Medien (einen Überblick über die Tagesspiegel-Artikel zum Thema gibt es hier) scheint derweilen alles offensichtlich: Der Wahlverlierer, Laurent Gbagbo, muss den Präsidentenpalast zugunsten seines Konkurrenten Alassane Outtara räumen, und wenn er das nicht freiwillig tut, dann muss er eben gezwungen werden. An dieser Klarheit ist jedoch nur eines klar, nämlich das sie konstruiert ist. Eine Fiktion für die interessierte Öffentlichkeit, mit der man ggf. (Interventions-)Politik machen kann. Tatsächlich liegt der Auseinandersetzung eine komplexe Gemengelage sich überlappender Konflikte zugrunde, von den der Gegensatz zwischen christlichem Süden und muslimischem Norden noch der einfachste (und vereinfachte) ist.

Vielleicht sollte jemand einmal Thilo Sarrazin eine Studienreise finanzieren (mit Frau, gerne auch one way), denn es geht hier auch um die Wahrnehmung einer zunehmenden Überfremdung: Aus den benachbarten französischsprachigen ECOWAS-Ländern, den Staaten der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft, wandern seit Jahrzehnten Menschen in die Elfenbeinküste ein, auf der Suche nach einem besseren Leben, und stoßen immer wieder und zunehmend auf die Ressentiments der sich für „richtige“ Ivorer haltenden Menschen. Das „Ivorertum“ führte in der Vergangenheit zum Ausschluss von Outtara von der Wahl, weil seine Mutter aus Burkina Faso stammt.

Starke Frauen: Titelbild der deutschen Ausgabe des dritten Bandes.
Starke Frauen: Titelbild der deutschen Ausgabe des dritten Bandes.

© Carlsen

Die Herausforderungen einer multiethnischen, multireligiösen Gesellschaft spielen in der „Aya“-Reihe nur eine untergeordnete Rolle; die Geschichte spielt in den 1970er Jahren, zu der Zeit als Marguerite Abouet, die Autorin, noch nicht in Paris, sondern eben in Yopougon, einem Stadtteil der Hauptstadt Abidjan lebte. Im Interview mit dem afrikanischen Nachrichtensender Afrique 24 betont Abouet die unpolitische Natur ihrer Geschichten, es soll vielmehr am Beispiel des Alltags dreier Freundinnen, ihrer Verwandten und Bekannten um Universelles gehen.

Aber abgesehen davon, dass Abouet sich möglicherweise auch deshalb der Diskussion jedweder politischen Dimension ihrer charmant erzählten und in wundervollen Farben von Clément Oubrerie konventionell umgesetzten Geschichten verweigert, weil sie nicht in den aktuellen Streit hineingezogen werden will, fällt es nicht schwer, in den Abenteuern von Aya, Bintou und Adjoua eminent Politisches zu entdecken. Denn auch wenn es keinen Krieg gibt, eine heile Welt beschreibt Abouet hier nicht.

Charmant erzählt, konventionell gezeichnet: Eine Szene aus der Reihe.
Charmant erzählt, konventionell gezeichnet: Eine Szene aus der Reihe.

© Carlsen

Neben den alltäglichen Nöten und Leidenschaften, Verliebtheiten und Streitigkeiten kommen unter anderem die Statusunterschiede zwischen den Bewohnern verschiedener Stadtteile Abidjans zur Sprache (Yopougon ist ein Arbeiterbezirk), die Gegensätze zwischen der entwickelten, scheinbar modernen Stadt und dem traditionellen Leben im Busch, in den Dörfern, und als Variation dazu der Traum vieler, im noch moderneren, reichen Frankreich zu leben.

Die betrügerische Dimension der vielen um die Gunst der Gläubigen buhlenden christlichen Kirchen wird ebenso Thema wie die Alltagskorruption und die Ausbeutung von Frauen durch die dominanten Männer, aber auch ihre Gegenwehr.

Nicht zuletzt erleben wir die Vielschichtigkeit der afrikanischen Großfamilien, die soziale Sicherheit in Abwesenheit funktionierender Staatlichkeit und kulturellen Zusammenhalt bieten, gleichzeitig aber ein veritables Entwicklungshindernis darstellen. Auch durch die souveräne, stets humorvoll-nachsichtige Behandlung solcher komplexen Zusammenhänge wird „Aya“ zu mehr als einer heiteren Seifenoper in exotischer Umgebung. Auf die für dieses Jahr geplante Adaption als Animationsfilm kann man gespannt sein.

Finale: In Frankreich wurde die Reihe kürzlich mit Band 6 abgeschlossen.
Finale: In Frankreich wurde die Reihe kürzlich mit Band 6 abgeschlossen.

© Promo

Marguerite Abouet/Clément Oubrerie: Aya de Yopougon, im Original sechs Bände (abgeschlossen), erschienen bei Gallimard/Bayou, Paris. Auf Deutsch liegen lediglich die ersten drei Bände à 14,90 Euro bei Carlsen vor, mehr dazu unter diesem Link. Die deutsche Ausgabe der Reihe wurde bis auf Weiteres eingestellt.

Unser Gastautor Dr. Thomas Greven ist Senior Research Fellow am Institut für Internationale Politik, Berlin, und Privatdozent am Kennedy-Institut der FU Berlin. Mehr Texte von ihm finden sich unter diesem Link. Dieser Text ist der Auftakt einer Reihe von Besprechungen von Comics aus und über Afrika von Thomas Greven, der derzeit im westafrikanischen Mali lebt und arbeitet.

Thomas Greven

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