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Voll das Leben: Eine Szene aus der Erzählung "So läuft das Spiel".

© Carlsen

Comic-Klassiker: Die Bühne des Lebens

Die autobiografischen Geschichten von Comic-Pionier Will Eisner, kürzlich unter dem Titel „Lebensbilder“ neu aufgelegt, zeigen den Großmeister in Höchstform. Nur ihn selbst muss man suchen.

Im Alter von fast 70 Jahren zeichnete der große amerikanische Comicautor Will Eisner noch einmal wie befreit auf. Er schuf eine Graphic Novel nach der anderen und wendete sich auch erstmals in seiner Karriere dem autobiografischen Erzählen zu. Schon die Großstadtgeschichten in den ersten beiden Bänden der Will-Eisner-Bibliothek waren so persönlich, dass man Eisners Werk leicht als autobiografisch auffassen könnte. Aber der „Vater der Graphic Novel“ wusste um die Gefahr der Nabelschau, und so sind die Stories in „Lebensbilder“, dem dritten Band, keine grafischen Memoiren, vielmehr kombiniert Eisner Persönliches mit Themen, die ihm am Herzen liegen. Er selbst sagte einmal dazu, er vermische „historische Recherche mit Informationen aus dem eigenen Leben“. Im Grunde genommen hat er also auch die Autofiktion im Comic vorweggenommen.

Durch Zufall autobiografisch

Überhaupt, seine Geschichten seien eher „durch Zufall autobiografisch“, denn wie so oft im Werk von Eisner stehen die großen Themen im Vordergrund, und der Autor selbst ist ein stiller, aber sehr feiner Beobachter. Authentizität gibt es höchstens in den realistischen Dekors, nur in einer einzigen Geschichte tritt Eisner selbst auch als Erzähler auf.

So erzählt Eisner von Rentnern, die nach Florida in den Altersruhestand gehen, nur um dann festzustellen, dass es auch dort wie in einer soap opera zugeht. Höchstens vor dem Hintergrund des eigenen Umzugs lässt sich ein autobiographischer Bezug herstellen. Aber dann wirken die wehmütigen Erinnerungen an New York noch umso stärker nach.

Von der eigenen Biografie inspiriert: Eine Szene aus „Der Träumer“.
Von der eigenen Biografie inspiriert: Eine Szene aus „Der Träumer“.

© Carlsen

Zum Abdruck kommt auch eine seiner stärksten Arbeiten, „Der Träumer“, die aber zugleich auch diejenige ist, die in den USA beim Erscheinen am stärksten kritisiert wurde. Eisner schildert einen Abschnitt in seiner Karriere während der Depressionszeit, als er auf Bob Kane (Batman) und Jack Kirby (Fantastic Four) traf und ein eigenes Studio gründete. Diese Geschichte, die ganz wunderbar den manchmal etwas weltfremden Idealismus der Comicbegeisterten trifft, schildert die Anfänge der Comic-Industrie, als sich die Comics aus den Zeitungen in das Comic-Heft verlagerten. Kritisiert wurde die beschönigte Darstellung der Industrie und  vor allem auch die etwas altersmilde Sichtweise. Eisner wandelte diese Kritik aber sofort in neue Meisterwerke um.

Die Gegenwart interessierte ihn im Alter weniger

Eines davon ist auch in diesem Band zu lesen, und es ist die einzige Geschichte, in der die autobiografischen Momente geplant waren. „Zum Herzen des Sturms“ erzählt von seinen Eltern, bringt Erinnerung und Erzähltes auf großartige Weise zusammen und immer wieder scheint sein großes Thema, die Auseinandersetzung mit dem Antisemitismus durch. Vor allem die klug inszenierten Ebenenwechsel zwischen dem jungen Soldaten Willie 1942, den Erinnerungen an seine Kindheit in der Bronx und den Erlebnissen seiner frisch immigrierten Vorfahren 1880, zeigen die große grafische Intelligenz von Eisner.

Seine Graphic Novels sind wie eine Bühne, auf der Eisner das Drama und die komischen Seiten des Lebens darstellt. Er selbst bleibt nur der Regisseur, er fühlt sich auf dieser Bühne nicht wohl. Beim Arrangement des Bühnenbildes orientiert er sich an der Vergangenheit, immer wieder erzählt er von der Epoche, die ihn am meisten geprägt hatte, die 1930er-Jahre, dort siedelte er viele seiner Geschichten an, die Gegenwart interessierte ihn weniger. Er wollte mit Bildern schreiben und in der Erinnerung an die Zeit fand er alle Zutaten für seine Darstellung der conditio humana.

Lebensbilder zeigt einmal mehr das Gespür von Eisner für Aufbau der Geschichte und für das dazugehörige Setting. Aber auch wenn der Zusatz „autobiografische Geschichten“ leicht in die Irre führt, der Band macht deutlich, dass Will Eisner ein begnadeter Bilderzähler war.

Will Eisner: Lebensbilder, übersetzt von Matthias Wieland, Carlsen, 480 Seiten, 36 Euro. Die Tagesspiegel-Rezensionen der beiden anderen Bände der Will-Eisner-Bibliothek stehen unter diesem Link sowie unter diesem. Hier geht es zur Website des Verlages.

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