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Punkt für Punkt: So hat die Jury über die Shortlist abgestimmt. Für Komplettansicht auf das Kreuz-Symbol klicken!

© Fabian Bartel

Comic-Jahresrückblick: Die Jury hat gewählt: Die besten Comics 2016

Mal dokumentarisch und mal fantastisch, mal witzig und mal todernst: Das sind die sieben Gewinner der diesjährigen Tagesspiegel-Comic-Kür.

Sie leben zwischen den Welten: Aus Mosambik wurden sie ab Ende der 1970er-Jahre als Vertragsarbeiter in die DDR entsandt, wo man es ihnen nicht leicht machte, sich heimisch zu fühlen. Nach dem Ende der DDR standen sie meist ohne Arbeitserlaubnis da und kehrten zurück – nur um zu merken, dass ihnen die alte Heimat längst ebenfalls fremd geworden war. Basierend auf Interviews und akribischen Recherchen spürt die Hamburger Comicautorin Birgit Weyhe den Schicksalen dieser „Madgermanes“ nach – jetzt hat die Tagesspiegel-Jury ihr gleichnamiges Buch als besten Comic des Jahres ausgewählt.

Zum inzwischen fünften Mal hatte der Tagesspiegel eine Fachjury eingeladen, die besten Titel der vergangenen zwölf Monate zu ermitteln – parallel zur Leserumfrage, deren Ergebnisse online hier veröffentlicht werden. Diesmal bestand die Jury aus drei Fachhändlern und drei Journalisten. Aus den jeweils fünf Favoriten der Jurymitglieder ergab sich eine Shortlist mit sieben Titeln, über die abschließend abgestimmt wurde – siehe Tabelle oben.

Madgermanes.
Madgermanes.

© Avant

Weyhe gelingt es im Siegertitel „Madgermanes“, „das Gefühl der Fremdheit als eine universelle Erfahrung zu beschreiben, die alle Menschen kennen“, urteilt Kulturjournalistin Andrea Heinze (ihre Top-5-Titel samt Begründungen finden sich hier). In einfachen, fast emblematischen Bildern erzähle sie nicht nur die Geschichte der knapp 20 000 Vertragsarbeiter aus Mozambique in der DDR. Weyhe verhandele dabei auch Fragen wie „Was bedeutet Heimat? Welche Gefühle sind damit verbunden, welche Erinnerungen?“. Und sie verwebe die Erzählungen ihrer vier Hauptfiguren auch so geschickt, „dass die Geschichte ungeheuer spannend wird“.

Röhner.
Röhner.

© Rotopolpress

Knapp dahinter auf Platz 2 landete ein weiteres Buch aus heimischer Produktion: „Röhner“ von Max Baitinger. „Ein grafisch raffinierter Comic“, urteilt Jurorin Gesine Claus vom Hamburger Comicladen „Strips & Stories“ (ihre Top-5-Titel samt Begründungen finden sich hier). Nicht nur Fans grafischer Form fänden hier „ein kleines Juwel“, sondern auch alle, „die den guten alten Grantlhumor schätzen“. Baitinger erzählt, wie die etablierte Ordnung im Leben der Hauptfigur durch einen ungebetenen Besucher infrage gestellt wird. „Die große Kunst von Baitinger ist es, die Situationskomik des Textes gleichzeitig in abstrakten Zeichnungen auf die Spitze zu treiben, woraus ein neuer Witz entsteht oder sich des Öfteren eine selbstentlarvende Erkenntnis ergibt – dreifach schön für Herz, Hirn und Auge“, schreibt Claus.

Ein diabolischer Sommer.
Ein diabolischer Sommer.

© Carlsen

Auf Platz 3: „Ein diabolischer Sommer“ von Thierry Smolderen und Alexandre Clérisse. „Dieses Buch ist eine reine Augenweide mit seinen wie aus Papierschablonen zusammengesetzten Bildern, in denen stilisierte Formen auf expressive Farben treffen und seinen visuellen Zitaten aus Comics und Malerei der 60er Jahre“, sagt Kulturjournalistin Barbara Buchholz (ihre Top-5-Titel samt Begründungen finden sich hier). Smolderen & Clérisse erzählten außerdem eine spannende und klug konstruierte Geschichte, die erst in der Rahmenhandlung im zweiten Teil des Buchs aufgelöst wird.

Arsène Schrauwen.
Arsène Schrauwen.

© Reprodukt

Auf Platz vier landete die Comic-Erzählung „Arsène Schrauwen“. Der in Berlin lebende Belgier Olivier Schrauwen inszeniere darin „das Gefühl der Fremdheit im afrikanischen Dschungel als lüsternes Sinnesspektakel und analysiert zugleich die koloniale Gesellschaft – bei der selbst die größten Waschlappen als Gewinner hervorgehen, solange sie weiß sind“, urteilt Jurorin Andrea Heinze. Dass der Comic, der eine vom Großvater des Autors inspirierte Kolonialgeschichte erzählt, „trotzdem nie eindeutig wird, sondern viel Raum für Interpretationen lässt, ist eine seiner großen Stärken“.

Im Schatten des Krieges.
Im Schatten des Krieges.

© Reprodukt

Auf Platz fünf kam ein Buch, dessen deutsche Ausgabe gerade erst veröffentlicht wurde: Sarah Gliddens Reportage-Comic „Im Schatten des Krieges“, in dem die Zeichnerin eine Reise mit befreundeten Journalisten in die Krisenregionen des Nahen Ostens dokumentiert. Auf der Suche nach Antworten auf die Frage: „Was ist unabhängiger Journalismus?“ fördere die Autorin vergessene Stimmen zu Tage und vermittele „ein tieferes Verständnis der Folgen des militärischen Eingreifens der USA in den Irak“, schreibt Gesine Claus. Zudem versuche Glidden, die Ursachen von Flucht am Beispiel individueller Schicksale verständlich zu machen. „Ein hoch aktuelles, spannendes und wichtiges Buch.“

Didi & Stulle.
Didi & Stulle.

© Reprodukt

Platz sechs belegt eine vor allem in Berlin populäre Comic-Serie, die im vergangenen Jahr endete und von der kürzlich die Gesamtausgabe veröffentlicht wurde: „Didi & Stulle“. „Fils Comics gehören zu den besten in Deutschland“, findet Juror Micha Wießler („Modern Graphics“) - seine Top-5-Titel samt Begründungen finden sich hier. „Das wird immer gern übersehen, weil sie so ungewöhnlich sind – Underground, Cartoon, Comix, Punk, ganz sicher keine Graphic Novels.“ Bei jeder neuen Lektüre „ist man unwillkürlich überrascht, wie gut die Stories funktionieren und der Witz sowieso.“

Ein Ozean der Liebe.
Ein Ozean der Liebe.

© Splitter

Auf dem siebten Platz landete ein Comic, der ganz ohne Worte auskommt: „Ein Ozean der Liebe“. Wilfrid Lupano und Grégory Panaccione erzählen darin die Geschichte eines Fischers und seiner Frau, deren Leben durch eine Reihe von Un- und Zufällen durcheinandergerät. „Immer wenn man sich fragt, was denn jetzt noch passieren soll, haben die Autoren noch eine Idee parat“, lobt Juror Frank Wochatz („Comics & Graphics“) - seine Top-5-Titel samt Begründungen finden sich hier. Dieses Buch zeige exemplarisch: „Comics kann man nicht nur lesen, Comics muss man sehen“. Wo keine Worte benutzt werden, müsse jeder Strich sitzen, jede Sequenz durchdacht sein. „Lupano und Panaccione schaffen das mit Bravour und auf hohem Niveau und machen das Werk zu einer Referenz für grafisches Erzählen.“

Die Top-5-Titel von Jurymitglied Lars von Törne (Tagesspiegel-Redakteur) finden sich hier.

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