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Surrealistisch. Ein Bild aus "Les dents du recoin" von François Boucq und Jérôme Moucherot aus "(A SUIVRE)".

© Promo

Comic-Ausstellungen: Revolutionärer Strich

Von den Schlümpfen zu den Wegbereitern des literarischen Comics und des modernen Science-Fiction: Zwei belgische Ausstellungen ehren Pioniere der Kunstform.

Vermutlich sind sie die berühmtesten europäischen Comicfiguren. In Japan heißen sie Sumafu, in Italien Puffi, Smurfs in den USA, Schtroumpfs in Frankreich ... und erst vor Kurzem lief im Kino der Film „Das verlorene Dorf“ an, die jüngste Adaption der beliebten Comicserie „Die Schlümpfe“, die bereits Ende der fünfziger Jahre erfunden wurde.

Kaum zu glauben, aber trotz der Popularität der blauen Zwergwesen mit der eigenwillig schlumpfigen Ausdrucksweise wurde dessen Schöpfer, der belgische Zeichner Pierre Culliford alias Peyo (1928–1992), bisher noch nie mit einer Retrospektive gewürdigt. Das holt nun, 25 Jahre nach seinem Tod, die sehenswerte Ausstellung „Peyo – Retrospective“ nach, die die Fondation Folon in La Hulpe nahe Brüssel ausrichtet. Dieses idyllisch auf einem ehemaligen Adelslandsitz eingerichtete Museum ist dem Künstler Jean-Michel Folon gewidmet, der als Maler und Allroundkünstler in den siebziger Jahren seinen Schaffenshöhepunkt erlebte. Bevorzugtes Motiv seiner poetisch-surrealen Werke war ein rätselhafter „blauer Mann“.

Gleich schlumpft's: Eine Skizze aus der Peyo-Ausstellung.
Gleich schlumpft's: Eine Skizze aus der Peyo-Ausstellung.

© Promo

Ob gewollt oder Zufall – eine passendere Entsprechung zu den blauhäutigen Zwergen, die auch eine zentrale Rolle in der Ausstellung einnehmen, ist kaum vorstellbar. Äußerst kenntnisreich haben die Kuratoren – José Grandmont, ein langjähriger Mitarbeiter Peyos, und Hugo Dayez, Autor der Biografie „Peyo l’enchanteur“ („Peyo der Zauberer“) – Peyos Werdegang anhand vieler Originalzeichnungen von dessen frühesten Versuchen bis hin zu seinem Spätwerk als Leiter des „Studio Peyo“ nachgezeichnet.

Ähnlich wie sein Kollege, der „Lucky Luke“-Schöpfer Morris, begann er als Trickfilmzeichner, bevor er nach dem Zweiten Weltkrieg in die Mannschaft des belgischen Comicmagazins „Spirou“ aufgenommen wurde. Dort widmete er sich unterschiedlichsten Genres wie Western- oder Piratencomics, bevor er die langlebige Serie „Johann und Pfiffikus“ entwickelte, die im Mittelalter angesiedelt war. 1958 tauchten die Schlümpfe darin erstmals als Nebenfiguren auf, überholten aber schnell die eigentlichen Helden an Beliebtheit und bekamen ihre eigene Serie.

Allroundkünstler: Pierre Culliford alias Peyo.
Allroundkünstler: Pierre Culliford alias Peyo.

© Promo

Peyo entwickelte einen persönlichen, poetisch-humoristischen Erzählstil. „Von allen Comicautoren, die ich getroffen habe“, berichtet der legendäre „Spirou“-Chefredakteur Yvan Delporte, „war Peyo unbestritten der beste Geschichtenerzähler.“ In späteren Jahren überließ Peyo das Zeichnen seinen Mitarbeitern vom „Studio Peyo“, verschiedene Zeichentrickfilmadaptionen multiplizierten den Erfolg. Aber auch Peyos weitere Schöpfungen, wie die Superheldenparodie „Benni Bärenstark“ oder der Katzen-Strip „Pussy“, zeigen Peyos Vielseitigkeit und sein besonderes Talent, als Autor seine kindliche Leserschaft ernst zu nehmen.

Im Fahrtwind des Mai 1968

Ganz anders – bildgewaltig, provokant und manchmal auch verstörend – wirkt hingegen die Comic-Kunst, die im Museum La Boverie in Lüttich ausgestellt wird. Die Schau „Révolution Bande Dessinée“ (Revolution im Comic) präsentiert zwei Comicmagazine, die in den siebziger Jahren gegründet wurden und mit der frankobelgischen Tradition des Erzählens für Kinder und Jugendliche brachen: „Métal Hurlant“ existierte von 1975–87 und „(A suivre)“ von 1978–97. „Métal Hurlant“ (deutsch: „Schreiendes Metall“; eine deutsche Ausgabe hieß „Schwermetall“) war eine Kaderschmiede des fantastischen Comics. Im Fahrtwind des Mai 1968 gründeten unter anderem die Künstler Moebius (Jean Giraud) und Philippe Druillet das Magazin, um ihre Fantasien zu verwirklichen und keine Auftragsarbeiten mehr annehmen zu müssen. Vor allem für das Magazin entstandene Science-Fiction-Comics von Moebius oder Enki Bilal beeinflussten künftige Zeichnergenerationen, aber auch Filmemacher wie Ridley Scott oder Luc Besson.

Visionär: Ein Bild von Enki Bilal aus der besprochenen Ausstellung.
Visionär: Ein Bild von Enki Bilal aus der besprochenen Ausstellung.

© Casterman

„(A suivre)“ – auf Deutsch: Fortsetzung folgt – wiederum versuchte erstmals konsequent, anspruchsvollen, literarischen Comics ein Forum zu bieten. Anfangs beschränkte man sich bewusst auf Schwarz-Weiß, wodurch grafisch ausdrucksstarke Geschichten entstanden. Jacques Tardis Adaptionen der Krimis von Léo Malet und sein Hauptwerk „Grabenkrieg“ wurden hier erstmals in Fortsetzungen abgedruckt, neben Werken vieler heute legendärer Künstler wie Hugo Pratt, Didier Comès oder José Munoz, die in unterschiedlichen Genres erzählten, ohne sich wie üblich auf ein Format von 48 Seiten beschränken zu müssen.

Gang durch die Comic-Geschichte. Ein Blick in die besprochene Ausstellung.
Gang durch die Comic-Geschichte. Ein Blick in die besprochene Ausstellung.

© Musée de La Boverie

Diese Blütezeit des modernen frankobelgischen Comics für erwachsene Leser ist in den vergangenen Jahren, in denen neue Zeichnergenerationen nachrückten, etwas in Vergessenheit geraten. Die Lütticher Schau legt den Akzent auf den wahrhaft revolutionären Geist dieser Magazine und die Vielfalt der Stile, die in beiden entfaltet werden konnten, und bietet rund 350 oft übergroße Originalseiten und Coverentwürfe auf. Beide Ausstellungen laden zur Wiederentdeckung großer Comic-Kunst ein.

Peyo, Retrospektive. Fondation Folon, La Hulpe, bis 27. August

Révolution Bande Dessinée, Lüttich, Museum Boverie. Bis 11. Juni, Katalog 45 €

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