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Aus der Zeit gefallen? Die Arbeit „Alarm“ von Christoph Niemann.

© Courtesy of the artist and Galerie Max Hetzler, Berlin | Paris

Christoph Niemann-Ausstellung: Silberherz

Die Galerie Max Hetzler zeigt Arbeiten des renommierten Illustrators Christoph Niemann, der unter anderem für den New Yorker arbeitet.

Alle Welt liebt Christoph Niemann. Niemann tut niemandem weh und geht niemals zu weit – wie man in der Galerie Max Hetzler sehen kann. Hetzler stellt 23 Collagen und vier Filme aus. Niemann wurde mit seinen inzwischen 22 Titeln für den „New Yorker“ bekannt, sein grafischer Stil lässt sich mit dem Wort essenziell beschreiben. Er speist sich aus Niemanns Alltagsbeobachtungen und seiner Fähigkeit, diese gewitzt und pointiert, nicht nur zeichnerisch, sondern gerne auch als Readymade – Vertrautes verschiebend, verfremdend, neu konnotierend – umzusetzen. Rein visuell könnten manche seiner Arbeiten auch als Karikaturen durchgehen, aber das wäre ein riesengroßes Missverständnis. Wie gesagt: Christoph Niemann will niemandem wehtun. Nicht einmal Donald Trump, wenn er ihn auf eine Essenz aus Stars and Stripes runterbricht. Oder will er gelegentlich, ist dazu aber einfach nicht in der Lage, weil er so ein lieber, so ein skrupulöser Mensch ist?

Apropos US-Präsidenten: Barack Obama bekam als deutsches Gastgeschenk beim Staatsbesuch einmal einen Niemann-Druck, auf dem zwei Hände beim Fadenspiel die New Yorker Brooklyn Bridge nachbilden. In New York hat Niemann elf Jahre lang gewohnt, inzwischen ist er in Berlin zu Hause. Die Motive seiner Collagen in der Ausstellung sind typische Niemanns – neu ist die ausschließliche Verwendung, die Verbindung von schwarzer Tinte und Silberfolie. Die Motive zum Beispiel: die digitale Weckuhr „Alarm“ (1900 Euro), die als Zeit 7:04 Uhr anzeigt. Vor der Uhr liegen drei Silberstreifen. Aus der Uhr gefallene Segmente? Ist es etwa schon 8:04 Uhr? Oder doch erst 7:08 Uhr? Weitere drei Silberstreifen zieren in bekannter Manier einen Turnschuh. Darunter ein zweiter, disproportional verlängerter Schuh mit sechs Streifen (3200 Euro). An einem anderen Schuh klebt ein silberner Kaugummi. Er klebt so stark, dass das Blatt, auf das die Collage aufgebracht ist, tatsächlich umknickt (1900 Euro). Keine Karikatur – aber doch, eine Tendenz zum visuellen Kalauer eignet Niemanns Arbeiten manchmal durchaus.

Seine Arbeiten sprudeln vor Ideen

Auch drei von vier Filmen erweisen sich als astreine Niemanns auf neuem medialen Terrain (9500 Euro). Eine Idee, einfach umgesetzt, aber mit dem gewissen Spielwitz. So werden in „Mosaic“ die Reihen auf einer Wand mit schwarzen und weißen Mosaikfliesen horizontal und vertikal bewegt – wie bei einem Zauberwürfel. „Camino de Santiago“ zeigt als Endlosschleife eine Pilgerin mit Rucksack, wie sie, von links nach rechts, immer wieder dieselbe spanische Treppe erklimmt. Wer das für einen ein bisschen bösen Kommentar halten will – liegt garantiert falsch.

Und dann das. Der vierte Film „Machine“ (9500 Euro) ist so übervoll von Motiven, so sprudelnd vor Ideen, so kaleidoskopisch abstrakt – man weiß gar nicht, wo anfangen. Bei dem monumentalen, im Meer liegenden Wassermühlrad? Oder doch bei dem wiederkehrenden, mal von einem Geldautomaten ausgespuckten, mal als Würfel über eine Flugzeugrollbahn hüpfenden Testbild?

Wollte Christoph Niemann hier etwa Heinz Edelmann nacheifern, nein, es ihm posthum zeigen? Seinem Lehrer an der Kunstakademie, dem Schöpfer des psychedelisch überbordenden Filmes „Yellow Submarine“? Weil Edelmann, so Niemann in der sehenswerten Netflix-Doku- Reihe „Abstrakt. Design als Kunst“, ihn damals nicht eben ermutigt hat? Das geht jetzt küchenpsychologisch natürlich zu weit. Aber die elektronische Fahrstuhlmusik von ANNA VR unter dem Film geht auch zu weit. Einmal ist Christoph Niemann zu weit gegangen!

Galerie Max Hetzler, Bleibtreustr. 45; bis 20. 1., Di–Sa 11–18 Uhr

Jens Müller

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