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Intimer Kenner des Messiaen-Oeuvres. Maestro Christoph Eschenbach.

© Luca Piva

Christoph Eschenbach dirigiert „Des canyons aux étoiles“: Ein langer Blick in Amerikas Abgründe

Christoph Eschenbach dirigiert Messiaens „Des canyons aux étoiles“ in der Komischen Oper. Er macht aus dem Riesenwerk ein eloquent ausuferndes Klangtheater.

1971 erhält Olivier Messiaen von der amerikanischen Mäzenin Alice Tully den Auftrag, ein Werk zur 200-Jahr-Feier der Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten Staaten zu schreiben. Die Kultur des Landes ist dem französischen Komponisten fremd, aber für ihre Naturwunder kann er sich begeistern. Nach einem Besuch der außergewöhnlichen, in Rot-, Braun- und Orangetönen leuchtenden Felsformationen im Bundesstaat Utah gerät Messiaen in einen wahren Schaffensrausch. 100 Minuten wird sein Orchesterwerk „Des canyons aux étoiles“ bei der Uraufführung in New York 1974 dauern.

Ganz schön mutig, dass die Komische Oper diese Klangreise „Aus den Schluchten zu den Sternen“ jetzt für ein ganz normales Sinfoniekonzert ausgewählt hat. Eine Herausforderung nicht nur für die Abonnenten, sondern auch für das Orchester selber, das sich derzeit von Debussys „Pelléas et Mélisande“ über einen Strawinsky/Ravel-Doppelabend und das „Anatevka“-Musical bis hin zur Uraufführung der Bremer-Stadtmusikanten-Kinderoper sowieso schon in allen Spielarten der modernen Musik zu bewähren hat. Am Freitag meistern die Musikerinnen und Musiker des Musiktheaters auch diese Herausforderung, unterstützt von einem intimen Kenner des Messiaen-Oeuvres, nämlich Christoph Eschenbach, dem designierten Chefdirigenten des Konzerthausorchesters.

Eine Gedankenreise

Am Gendarmenmarkt hat man den 1940 geborene Maestro vor allem wegen seiner Kompetenz im Zeitgenössischen auserkoren. Wie souverän er sich auf diesem Gebiet bewegt, ist jetzt bei „Des canyons aux étoiles“ zu bestaunen. Eschenbach gelingt es nämlich, dem collagehaften Riesenwerk mit seinen oft scharf gegeneinander geschnittenen Kontrasten sowohl einen gedanklichen Bogen zu geben wie auch eine Körperlichkeit, eine sinnliche Dimension, die es dem Publikum erleichtert, über die volle Distanz der zwölf Sätze mitzugehen. Ebenso lässt der Dirigent spürbar werden, dass es hier gerade die wenigen Dur-Akkorde sind, die im dissonanten Ganzen jeweils außergewöhnliche atmosphärische Akzente setzen, genau umgekehrt also zum Prinzip der traditionellen Klassik.

Messiaens Hommage an die Natur Amerikas ist definitiv ein Live-Werk, das man nicht nur hören, sondern zugleich auch sehen sollte. Da sind als Hingucker die beiden Schlagwerker an Glockenspiel und Xylorimba, die Assoziationen von Vogelstimmen bis hin zum magischen Glitzern des Sternenhimmels über Utah hervorrufen. Da ist der Solo-Hornist Johannes Lamotke, der mit sattem Ton akustische Panorama-Effekte schafft, und da ist der Pianist Tzimon Barto, der dem umfangreichen, vertrackten Klavierpart des Werkes erstaunlich viele schöne Details abgewinnt. In der Komischen Oper entfaltet sich „Des canyons aux étoiles“ so als eloquent ausuferndes Klangtheater, bei dem jeder seine eigene Gedankenreise erleben kann.

Ein 50-minütiges Eschenbach-Porträt ist in der Arte-Mediathek verfügbar.

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