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Hart aber fair. Der Literaturkritiker Denis Scheck.

© Oliver Schmauch

Christian Lindner, Richard David Precht, Gregor Gysi: Denis Scheck kommentiert die Bestsellerliste

Denis Scheck bespricht einmal monatlich die „Spiegel“-Bestsellerliste, parallel zu seiner ARD-Sendung „Druckfrisch“. Diesmal geht es um die erfolgreichsten Sachbücher.

10) Thorsten Schulte: Kontrollverlust (Kopp, 288 S., 19,95 €)

Mir ist es ein echtes Rätsel, dass es Menschen gibt, die für ihre Finanztipps Experten vertrauen, die sich auf ihrer Website „Silberjunge“ nennen – aber mein Gott, es gibt ja auch Wahrsager, Heilpraktiker und Astrologen. Warum also nicht auch „Silberjungen“ in der Finanzbranche? In seinem wirren Angela-Merkel-Hassbuch unterlaufen dem komplett von der Leine gelassenen Ex-Investmentbanker Thorsten Schulte permanent Sätze wie: „Lassen Sie uns alle eine Leuchtfackel für unsere Freiheit werden.“ Glauben Sie diesem Mann kein Wort: Öffentliche Selbstverbrennung ist auch keine Lösung!

9) Christian Lindner: Schattenjahre (Klett–Cotta, 338 S., 22 €)

Dieses Buch hat mich überrascht: Der FDP-Parteivorsitzende erzählt nicht nur offen und uneitel über die größte Krise seiner Partei in ihren vier Jahren in der außerparlamentarischen Opposition, ihm gelingt mit leichter Hand zudem ein Insiderbuch, aus dem man erfährt, wie Politik funktioniert, was Liberalismus heute bedeutet und wie man gestärkt aus einer Krise hervorgeht.

8) Richard David Precht: Erkenne Dich selbst (Goldmann, 672 S., 24 €)

Wohl dem Land, in dem Band zwei einer profunden Philosophiegeschichte die Bestsellerliste stürmt. Richard David Precht hat sich der Kärrnerarbeit unterzogen, die Geschichte des abendländischen Denkens von der Renaissance bis zum deutschen Idealismus, leicht fassbar nachzuerzählen. Ein Bildungserlebnis – und eine echte Lesefreude.

7) Gerald Hüther: Raus aus der Demenz- Falle (Arkana, 144 S., 18 €)

Die beste Vorbeugung gegen Demenz ist nach Ansicht des Göttinger Hirnforschers Gerald Hüther die Erfahrung eines sinnhaften, gestaltbaren und verstehbaren Lebenszusammenhangs. „Kohärenzgefühl“ nennt Hüther das und argumentiert in diesem schmalen Büchlein überzeugend, wie sich dieses Gefühl im Rattenrennnen einer kapitalistsichen Gesellschaft entwickeln lässt.

6) Gregor Gysi: Ein Leben ist zu wenig (Aufbau, 583 S., 24 €)

Dass Gregor Gysi keine langweilige Autobiografie schreiben würde, war ja zu erwarten: Der Mann hat einen Ruf zu verlieren, immerhin ist er mit der englischen Literaturnobelpreisträgerin Doris Lessing verwandt! Überrascht hat mich als Süddeutschen, dass mich in diesen faszinierenden, nie indiskreten Memoiren jene Passagen am meisten in Bann schlugen, in denen Gregor Gysi von seinen ersten Jahren im Bundestag des wiedervereinigten Deutschlands erzählt und davon, wie er dort angefeindet, erniedrigt und bösartig beleidigt wurde. Dafür ist Literatur da: um die Perspektive zu wechseln, um sich zu vergegenwärtigen, wie sich die Dinge aus der Perspektive des anderen, in diesem Fall des Ostdeutschen, ausnehmen. Tröstlich an diesem Buch fand ich, wie sehr dies Schlachten von gestern sind, wie weit die Wiedervereinigung längst gelebte Wirklichkeit geworden ist.

5) Axel Hacke: Über den Anstand in schwierigen Zeiten und die Frage, wie wir miteinander umgehen (Kunstmann, 192 S., 18 €)

Warum erleben wir von Donald Trump über Recep Tayyip Erdogan bis hin zu Marine Le Pen und dem VW-Vorstand einen Rücksturz in die Zeit der Säbelrassler, Egoshooter und Pottsäue? Und wie schützt man sich davor – Stichwort: Andrea-in-die Fresse-Nahles –, selbst Teil dieser globalen Verrohung zu werden? Durch Denken, argumentiert Axel Hacke in seinem sehr lesenswerten Essay.

4) Peter Wohlleben: Das geheime Leben der Bäume (Ludwig, 224 S., 19,99 €)

Noch jemand ohne? Kaum zu glauben, dass irgendwer diese extrem lesenswerten Geschichten aus dem Wald auch in der 127. Woche nach ihrem Erscheinen noch nicht doppelt im Regal stehen hat. Müsste man all diese frisch konvertierten Baumumarmer nicht einmal daran erinnern, dass auch die Seiten von Peter Wohllebens Büchern aus nichts anderem bestehen als – geschredderten Bäumen? Egal: ein ausgezeichnetes Buch!

3) Ranga Yogeshwar: Nächste Ausfahrt Zukunft (Kiepenheuer & Witsch, 400 S., 22 €)

Obwohl der Wissenschaftsjournalist Ranga Yogeshwar in diesem Buch ganz ad rem ist, also von Sachverhalten, neuen Technologien und Epochenumbrüchen erzählt, erfahre ich eine Menge über sein Leben. Und gerade diese Mischung ist es, die mich bei der Stange hält, wenn Yogeshwar etwa von den Unterschieden zwischen künstlichen und menschlichen Stimmen schreibt und zu dem Fazit gelangt: „Wir sollten keine Angst vor dem Morgen haben, denn wir leben in der aufregendsten Zeit, die es je gab.“

2) Rolf Dobelli: Die Kunst des guten Lebens (Piper, 384 S., 20 €)

Der Schweizer Rolf Dobelli vermag unverschämt geschickt, intelligent und welthaltig seine Leserinnen und Leser auf „mentale Buchführungstricks“ hinzuweisen, die enorm zur Steigerung der Lebensqualität beitragen. Einer der wenigen Ratgeber, die ihr Geld wert sind.

1) Peter Wohlleben: Das geheime Netzwerk der Natur (Ludwig, 224 S., 19,99 €)

Wussten Sie, dass Deutschland, auf die Fläche bezogen, eines der wildreichsten Länder der Erde ist? Aus dem neuen Buch des Försters Peter Wohlleben über Regelkreise der Natur lässt es sich erfahren. „Der Wolf gibt dem Wald seine wilde Seele zurück“, schreibt Wohlleben. Ich bin nicht nicht so sicher, ob das wirklich wünschenswert ist. Aber wünschenswert ist die Beschäftigung mit diesen Fragen, und Wohllebens Bücher sorgen dafür.

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