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Ungeschicktes Flirten ist kein Delikt, findet auch Catherine Deneuve.

© dpa/G. Fischer

Catherine Deneuve und die MeToo-Bewegung: Die Opfer der Opfer

Klima der Denunziation? Catherine Deneuve und andere prominente Französinnen kritisieren die „MeToo“-Bewegung. Der Klärung von Machtverhältnissen dient das nicht.

„#Balancetonporc“ heißt die Bewegung in Frankreich, parallel zur #MeToo-Kampagne. „Verpfeif dein Schwein“, sprich: Sag, wer dir sexuelle Gewalt angetan hat – die Kampagne der in New York lebenden französischen Journalistin Sandra Muller hatte zigtausend Tweets zur Folge. Aber nicht alle Frauen in Frankreich finden das gut. In einem „Le Monde“-Beitrag kritisieren über 100 prominente Französinnen die Initiativen gegen sexualisierte Gewalt, darunter die Stars Catherine Deneuve und Ingrid Caven sowie die Künstlerin und Bestsellerautorin Catherine Millet („Das sexuelle Leben der Catherine M“).

Die aktuelle Frauenrechtsbewegung nehme „Züge des Hasses auf die Männer und die Sexualität an“, heißt es in dem am Dienstag veröffentlichten Text. Die Wahrnehmung von sexualisierter Gewalt am Arbeitsplatz und des Machtmissbrauchs durch manche Männer sei ein notwendiger Akt der Befreiung. Aber er verkehre sich in sein Gegenteil. Inzwischen herrsche ein Klima der Einschüchterung und der Denunziation wie in einer totalitären Gesellschaft. Und es gebe bereits Opfer dieser Schnelljustiz.

Das sind harsche Wort. Der Beitrag beginnt mit Sätzen, die zunächst für eine genauere Differenzierung der Anklagen und Vorwürfe plädieren: „Vergewaltigung ist ein Verbrechen. Aber hartnäckiges oder ungeschicktes Flirten ist kein Delikt und eine Galanterie keine chauvinistische Aggression“. Zu den Unterzeichnerinnen gehören auch die Bildhauerin Gloria Friedmann sowie die Schriftstellerin und Schauspielerin Catherine Robbe-Grillet; sie warnen davor, dass der Eifer „die Schweine zur Schlachtbank zu führen“, nicht den betroffenen Frauen nützt, sondern den Interessen der „Feinde der sexuellen Befreiung“, „der religiösen Extremisten und schlimmsten Reaktionäre“. Man gehe Gefahr, die Frauen unter dem Vorwand, sie beschützen zu wollen, zu ewigen Opfern zu machen, zu „armen, kleinen Dingern unter dem Einfluss phallokratischer Dämonen wie in den guten alten Zeiten der Hexenkunst“.

Spaltet sich die MeToo-Bewegung?

Ebenso warnen die Autorinnen aus Kultur, Wissenschaft und Medien vor Pauschalisierungen. „Eine Frau kann gleichzeitig in einer Führungsposition arbeiten und sich auf spielerische Weise zum Sexualobjekt eines Mannes machen, ohne dass sie eine ,Schlampe’ ist oder eine Komplizin des Patriarchats,“ heißt es.

Spaltet sich die „MeToo“-Bewegung? Streiten die Frauen sich nun statt zusammenzustehen? Jein. Einerseits ist Differenzierung unerlässlich, die Unterscheidung zwischen Straftaten und ärgerlichem sexistischem Verhalten ebenso wie die Differenzierung zwischen Freiheit der Kunst und Fairness-Regeln bei der Kunstproduktion. Andererseits hätte das Eingangsargument der Französinnen durch den Zusatz, dass nicht wenige Frauen hartnäckiges Flirten als übergriffig und entwürdigend erleben, an Präzision und Schärfe gewonnen.

Deneuve, Millet und Co. sind nicht die einzigen, die neuerdings Kritik an „MeToo“ äußern. Nach der Golden-GlobesGala mit Glamour- Protesten gegen sexuelle Übergriffe bezichtigten n zwei Protagonistinnen des Weinstein-Skandals Hollywood der Verlogenheit. Der Vorwurf von Asia Argento und Rose McGowan: Die Stars auf dem roten Teppich ignorierten sie und andere, die im Oktober als erste das Schweigen gebrochen haben. Was den deutschen „MeToo“-Fall und die Vorwürfe gegen Regisseur Dieter Wedel betrifft, warnte Holk Freytag, Wedels Vorgänger als Intendant der Bad Hersfelder Festspiele, vor Hysterie. Er finde es „schrecklich, dass nun ein Generalverdacht aufkommt gegen jeden, der in Film, Fernsehen oder Theater etwas zu entscheiden hat“.

Das Bild stimmt nicht

Ärgerlich an all dem ist, dass eine dringend notwendige Klärung von Machtverhältnissen und Autoritätsmissbrauch nicht nur in der Film- und Medienbranche in simplifizierende Schuldzuweisungen zu münden droht. Hier die Opfer, da die Täter, die nun ihrerseits Opfer von Selbstjustiz werden? Das Bild stimmt nicht. Weder haben die „MeToo“-Wortführerinnen Männer je pauschal für schuldig oder gar kriminell erklärt. Noch werden jetzt wieder Nabokovs „Lolita“-Roman oder Nagisa Oshimas Skandalfilm „Im Reich der Sinne“ verboten. Es wird allerdings neu nachgedacht, und das ist gut. Auch über Kunstwerke, sei es über die Mädchen-Gemälde von Balthus, sei es über eine Polanski-Retrospektive in Paris. Die Stimmen, die die Kunstfreiheit verteidigen, sind dabei mindestens so laut wie die der Bedenkenträger. Karikierende und damit selber wieder denunziative Zuschreibungen wie „Schweine“ oder „Schlachtbank“ sind bei diesem Prozess der Sensibilisierung nicht hilfreich. Wie wäre es, wenn alle mehr aufeinander hörten: Männer auf betroffene Frauen, Frauen auf Männer, die sich zu Unrecht attackiert fühlen, Künstler auf ihr Publikum und umgekehrt?

„Kunst zu machen, ist ein intimer Akt“, schreibt Olaf Zimmermann vom Deutschen Kulturrat und bittet um eine genauere Unterscheidung zwischen sexuellen Übergriffen und der oft unerlässlichen erotischen Spannung, etwa im Kunst-, Gesangs- oder Schauspielunterricht. Die Berliner Musikhochschule „Hanns Eisler“ hat dazu 2015 eine Handreichung herausgegeben. „Der Übergang zwischen unbefangenem Körperkontakt und einer Grenzverletzung ist fließend,“ heißt es darin. Die Lehrperson trage die Verantwortung, dies „immer mal wieder“ zu thematisieren. Beides, der Missbrauch und der Missbrauch des Missbrauchs, lassen sich nur verhindern, wenn nicht Stereotypen walten, sondern Respekt.

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