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Heilige Hingabe. Carlos Santana im Sommer 2016 auf dem Cap Roig Festival im spanischen Girona.

© David Borrat/EFE/dpa

Carlos Santana zum 70.: Der Außerirdische

Anfangs wehrte er sich noch dagegen, ein Gitarrengott zu sein: zum 70. Geburtstag von Carlos Santana.

Der Rock’n’Roll ist eine polytheistische Religion. In seinem Himmel sind viele Götter erlaubt. Hauptsache, sie haben sich eine Gitarre umgehängt. Ihren Segen erteilen sie aus dem Handgelenk heraus, in Form von Licks, Riffs und – das ist die höchste Form – Soli. Oder hat schon mal irgendjemand etwas von einem Bassgott, einem Bongogott oder einem Querflötengott gehört?

Vor fast fünfzig Jahren, beim „Peace & Music“-Festival von Woodstock im August 1969, wurden zwei Gitarrengötter aus dem Geist des Matsches geboren. 500 000 Besucher kamen, sie konsumierten LSD, Meskalin und Marihuana, es regnete in Strömen. Der Auftritt von Jimi Hendrix ist oft genug hagiografisch geschildert worden. Sein rotes Piratenkopftuch, sein Fransenhemd, seine ungeheure Lässigkeit. Wie er bei „Purple Haze“ das Instrument im Feedbackgetöse fast zerbersten lässt, wie er es hinter seinem Rücken, mit den Zähnen, dem Ellbogen spielt, wie er das „Star-Spangled Banner“, die amerikanische Nationalhymne, zerschrotet.

Die Götter mussten verrückt geworden sein. Eigentlich waren sie Außerirdische. Carlos Santana, der in Woodstock bereits zwei Tage vor Hendrix spielte, kam von weit her, aus Mexiko, und in seinem Raumschiff hatte er eine aufregende neue Musik dabei, den Latinrock. In Woodstock ist er weich gelandet, auf dem glühenden Hammondorgelteppich, den schaukelnden Bassläufen und entfesselten Percussions von „Jingo“. Santana war ein 22-jähriges ziegenbärtiges Bürschchen in Opa-Weste, das beiläufig irrwitzige Läufe aus seiner Gitarre schüttelte.

Die Gitarre wie eine elektrische Schlange

Kein Großvirtuose, ein Mannschaftsspieler. Noch wehrte sich Santana dagegen, ein Gitarrengott zu sein. Denn es ging um den Groove. Filmaufnahmen zeigen Zuschauer, die entrückt tanzen, mitklatschen, im Rhythmus gegen eine Holzwand hämmern. Santana und seine siebenköpfige Band spielten Fusionrockstücke wie „Persuasion“ und „Soul Sacrifice“, dank der eruptiven Performance brachte es ihr kurz danach erschienenes Debütalbum auf den vierten Platz der amerikanischen Charts. Lodernder, energischer, präziser hat man die Musik von Santana, die den Blues mit lateinamerikanischen Rhythmen kreuzt, nie wieder gehört. Später sollte daraus der Partykeller-Rumpel-Sound für alle Jugendzentren dieser Welt werden.

Woodstock war ein Kirchentag der Gegenkultur. „Ich hielt immer Haight- Ashbury und die Hippies für eine Minderheit – in Woodstock merkte ich: Das war nicht so“, erzählte Santana gerade in einem Interview. Vor seinem Auftritt hatte er LSD genommen. „Meine Gitarre fühlte sich an wie eine Schlange, eine elektrische Schlange. Ich hatte das Gefühl, der Gitarrenhals windet sich.“

1966 gründete Santana seine Band

Santana, der vor siebzig Jahren, am 20. Juli 1947 im mexikanischen Bundestaat Jalisco geboren wurde, kam als 13-Jähriger mit seiner Familie nach Kalifornien. Seine Karriere begann, als er bei einem Konzert in Los Angeles für den zugedröhnten Bluesmusiker Paul Butterfield einsprang und der Manager Bill Graham auf ihn aufmerksam wurde. 1966 gründete Santana seine Band. Es folgten Heldenjahre, Santana stieg zum internationalen Superstar auf und blieb lange auf einem Höhenkamm.

In den siebziger Jahren erschienen Alben wie „Abraxas“, „Santana III“ und die Dreifach-Live-Platte „Lotus“, die bis heute seine besten sind. Auf dem Cover von „Lotus“ sitzt ein Goldbuddha, Maskottchen der spirituellen Suche, auf die der Gitarrist sich nun begeben sollte. Sein Könnertum versackte im Kunstgewerbe. Mit dem Album „Santana IV“, aufgenommen fast im originalen Line-up von 1971, versuchte der Musiker vor einem Jahr an die frühen Triumphe anzuknüpfen. Es klang gestrig.

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