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Verhuschte Blicke. Sofia Coppolas Bürgerkriegs-Drama "The Beguiled" ist einer von drei Wettbewerbsbeiträgen einer Regisseurin. Colin Farrell spielt einen Union-Corporal, der verletzt und von einer Gruppe Frauen gepflegt wird. Die Lehrerin Edwina (Kirsten Dunst) buhlt um die Gunst des Charmeurs.

© Filmfestival Cannes

Cannes Journal 2017 (7): Kein Platz an der Croisette - für Frauen

Sofia Coppolas "The Beguiled" und das überraschende Debüt einer Regisseurin aus den Nebenreihen. Über Tag sieben in Cannes hängt die Frage: Warum sind so wenig Frauen im Wettbewerb vertreten?

Von Andreas Busche

Zum Feiern ist in Cannes gerade niemandem zumute. Seit dem Anschlag in Manchester liegt ein Schatten über dem Festival. Keine guten Voraussetzungen für die große Geburtstagsgala zum 70., zu der man am Dienstagabend noch einmal richtig aufgefahren hatte. Die Gästeliste las sich beeindruckend, das Jubiläumsfoto mit 115 Festivalveteranen sah aus wie ein Best-of der jüngeren Kinogeschichte: Claudia Cardinale, die Dardenne-Brüder, Souleymane Cissé, Oliver Stone, Costa-Gavras, Jean-Pierre Leaud, Uma Thurman, Liv Ullman, Adrien Brody etc. pp. Es war eine fast präsidiale Herausforderung, unter diesen Umständen den richtigen Ton zu treffen.

Isabelle Huppert meisterte die Situation bravourös, wie eigentlich fast alles, was sie anfasst. Huppert ist seit einigen Jahren die ungekrönte Queen of Cannes, regelmäßig mit mehreren Filmen vertreten – zwei in diesem Jahr – und umgeben von der Aura einer Grande Dame. Witzig, spontan, schräg (ihre Geburtstagshymne im englisch-französischen Sprachkauderwelsch war ein Hit in den sozialen Medien), aber stets pietätvoll führte sie an der Seite von Thierry Frémaux durch eine der wohl schwierigsten Galas in der Geschichte Cannes – aber auch mit kritischem Unterton: “70 Jahre Cannes, 76 Palmen, nur eine einzige ging an eine Frau. Kein Kommentar.” Jane Campion, die in diesem Jahr mit ihrer Serie “Top of the Lake” an der Croisette ist, wartet seit 24 Jahren auf eine Nachfolgerin, kein Ruhmesblatt für das Festival. Selbst die Oscars schneiden da besser ab.

In diesem Jahr sind mit Naomi Kawase, Sofia Coppola und Lynne Ramsay immerhin drei Regisseurinnen im Wettbewerb vertreten. Alles andere als ein herausragender Schnitt, aber einer, der dem Festival lästige Debatten wie vor fünf Jahren erspart, als überhaupt keine Frau in der Konkurrenz um die Goldenen Palme stand. Sofia Coppola ist mit dem Remake von „The Beguiled“ nach Cannes gekommen, obwohl sie selbst in Interviews lieber von einer neuen Literaturverfilmung spricht. Dennoch ist in den Credits neben Thomas P. Cullinans Roman „A Painted Devil“ auch das Drehbuch von Albert Maltz und Irene Kamp als Vorlage erwähnt, auf dem Don Siegels gleichnamiger Film von 1971 – mit Clint Eastwood in der Hauptrolle – basiert. Das Gespann Siegel/Eastwood ist eine interessante Herausforderung für Coppola, die in ihrer Adaption nicht nur die männliche Perspektive des Romans durchdringen muss, sondern auch einen Zeitraum von fast 50 Jahren. 

Die Vorlage erweist sich in ihrer sehr konsequenten Setzung dann aber doch als zu wenig anpassungsfähig für Coppolas Kino. Im Amerikanischen Bürgerkrieg wird der verletzte Union-Corporal John McBurney (Colin Farrell) von einem jungen Mädchen in den Wäldern Mississippis gefunden. Sie bringt den Soldaten zurück in die Schule von Martha Farnsworth (Nicole Kidman), in der eine Handvoll Mädchen vor dem Ansturm der Nordstaaten-Armee ausharren. Die Anwesenheit des Mannes erhöht die Spannungen unter den Frauen und Mädchen, die Farrells Figur wie ein Player um den Finger wickelt. Besonders Alice (Elle Fanning) und die Lehrerin Edwina (Kirsten Dunst) buhlen um die Gunst des Neuankömmlings. Coppola arbeitet viel mit verhuschten Blicken und vielsagenden Gegenschnitten, um die erotische Dynamik unter der prüden Oberfläche bloßzulegen. Durch die klare Figurenkonstellation wirken diese Mittel so offensichtlich, dass die Szenen am Krankenbett, das die Mädchen regelrecht belagern, auch eine komische Note bekommen.

Coppolas Zugriff auf den Stoff bekommt durch solche leicht spielerischen Verschiebungen des Blickregimes eine Offenheit, die den Racheplot des Originals in den Hintergrund treten lässt. Farrell ist bei ihr eher eine Projektionsfläche für die Begehren der Mädchen in einem klassischen Southern-Gothic-Setting, das Kameramann Philippe Le Sourd pittoresk in Szene zu setzen versteht: dampfende Wälder, vom Moss behangene Bäume, durch die Sonnenlicht bricht, vom fahlem Kerzenschein ausgeleuchtete Räume. Es geht in „The Beguiled“ um die Handlungsspielräume der pubertierenden Mädchen und erwachsenen Frauen, während Farrells Figur nicht realisiert, wie ihm langsam die Kontrolle entgleitet. Als Komplementärfilm zu „The Virgin Suicides“ besitzt diese Anordnung durchaus ihren Reiz, allerdings unterscheiden sich die Konsequenzen für Coppolas (weibliche) Figuren letztlich nur graduell von denen in Siegels Original. Für ein feministisches Update von Cullinans Vorlage beschränkt sich Coppola, wo die Figuren allein nicht genug hergeben, zu sehr auf ästhetische Reize.   

In der Sektion „Un Certain Regard“ begeistert eine One-Woman-Show

Verhuschte Blicke. Sofia Coppolas Bürgerkriegs-Drama "The Beguiled" ist einer von drei Wettbewerbsbeiträgen einer Regisseurin. Colin Farrell spielt einen Union-Corporal, der verletzt und von einer Gruppe Frauen gepflegt wird. Die Lehrerin Edwina (Kirsten Dunst) buhlt um die Gunst des Charmeurs.
Verhuschte Blicke. Sofia Coppolas Bürgerkriegs-Drama "The Beguiled" ist einer von drei Wettbewerbsbeiträgen einer Regisseurin. Colin Farrell spielt einen Union-Corporal, der verletzt und von einer Gruppe Frauen gepflegt wird. Die Lehrerin Edwina (Kirsten Dunst) buhlt um die Gunst des Charmeurs.

© Filmfestival Cannes

In den Nebenreihen von Cannes haben Regisseurinnen traditionell bessere Karten, allerdings ist der Weg in den Wettbewerb für die meisten von ihnen danach steinig. Zum Vergleich: Ruben Östlund brauchte nach “Höhere Gewalt” nur drei Jahren, um es in diesem Jahr mit „The Square“ in den Wettbewerb zu schaffen. Ein Auge sollte man aber auf Léonor Serraille haben, die ihr Spielfilmdebüt „Jeune femme“ in der Reihe „Un Certain Regard“ zeigte. Ihr Film ist eine furiose One-Woman-Show der großartigen Laetitia Dosch, die den Film buchstäblich von der ersten Szene an, in der sie wie irre in die Kamera schreit, beherrscht. Paula befindet sich in einem schwierigen Lebensabschnitt. Ihr Freund hat sie gerade vor die Tür gesetzt, die Mutter hat den Kontakt abgebrochen, ihre beste Freundin ist von der Unzuverlässigkeit Paulas bedient und pleite ist sie auch. Ein Doppeljob als Kindermädchen und Verkäuferin für Damenunterwäsche verschafft ihr für einen Moment emotionale Stabilität, doch der nächste Rückschlag bahnt sich bereits an.

Laetitia Dosch gibt in Léonor Serrailles Spielfilmdebüt „Jeune femme“ eine furiose One-Woman-Show.
Laetitia Dosch gibt in Léonor Serrailles Spielfilmdebüt „Jeune femme“ eine furiose One-Woman-Show.

© Filmfestival Cannes

Serrailles Sympathie für ihre Figur sorgt für wahre Anteilnahme an diesem wandelnden Katastrophenherd. Paula verfügt trotz ihres hohen Nervfaktors über eine untrügliche soziale Intelligenz, die ihr dabei hilft, kurzzeitige Allianzen zu schmieden. Dosch manövriert ihre Figur mit entwaffnendem Witz durch einen regelrechten Sturm von Gefühlsschwankungen. Im amerikanischen Kino gibt es für solche Figuren Kristen Wiig oder Amy Schumer: schwer verhaltensauffällige Persönlichkeiten im ständigen Hadern mit den gesellschaftlichen Zumutungen. Dass es dabei um viel mehr als nur die Frage nach dem richtigen Typen geht, macht Paula zu einer Art Role Model, für die es auch im europäischen Kino noch zu wenig Filme gibt. „Jeune femme“ ist ein Glücksfall für die französische Komödie. Wenn man es nicht besser wüsste, würde man Serraille gerne zurufen: In drei Jahren dann im Wettbewerb.

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