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Can am 1. Dezember 1971 in Hamburg. Von links: Irmin Schmidt, Jaki Liebezeit, Michael Karoli, Ulli Gerlach, Holger Szukay und Damo Suzuki.

© Jacques Breuer/AFP

Update

Can-Drummer Jaki Liebezeit gestorben: Sie nannten ihn Maschine

Angefangen hat er als Jazz-Drummer. 1968 gehörte Jaki Liebezeit zu den Gründern von Can. Mit seinem minimalistischen Spiel stieg er zum einflussreichsten deutschen Schlagzeuger auf. Mit 78 Jahren starb er nun in Köln.

Die Platten hießen „Monster Movie“, „Tago Mago“ oder „Soon Over Babaluma“. Auf den Covern waren eine Dose Okraschoten, eine Weltraumlandschaft oder ein gepanzertes Superheldenwesen zu sehen, das den Himmel verdüstert. Den Deutschen war das selbst in der Aufbruchstimmung der Willy-Brandt-Ära suspekt. Zu seltsam, zu versponnen, zu fremd. Okraschoten? Die hätten die Bewohner der Sauerkraut-Republik 1972 wohl nicht gegessen. Wenn das exotische Gemüse überhaupt im Supermarkt zu finden gewesen wäre.

„Krautrock“ wurde diese Musik von britischen Kritikern getauft, und die Rezeptionsgeschichte von Can zerfällt in zwei Teile: in Deutschland weitgehend verkannt, wird die Band im Ausland, vor allem in England, bis heute umso heftiger verehrt. Progrock-Gruppen, die sich an den Improvisationen des Free Jazz schulten, gab es viele, darunter so herausragende wie Amon Düül, Guru Guru und Popol Vuh. Aber eine Musik, die gleichzeitig so verfranst wie präzise war, produzierte bis etwa 1977/78 nur Can. Die erste Veröffentlichung der 1968 unter anderem von den Stockhausen-Schülern Holger Czukay und Irmin Schmidt in Köln gegründeten Formation war der Soundtrack zum Softporno „Kama Sutra – Vollendung der Liebe“.

Das Individuum hinter sich lassen

Can bestand aus fünf markanten musikalischen Individuen, aber es ging um Größeres. Darum, die Individualität hinter sich zu lassen und zum wirklichen Kollektiv zu werden. Am konsequentesten hat Jaki Liebezeit dieses Credo umgesetzt. Während sich Kollegen an immer größeren, immer effektvolleren Drumsets austobten, kauerte der Can-Drummer weiterhin an einem bescheidenen, noch an die Beat-Jahre erinnernden Schlagzeug und hielt den Beat. „Maschine“ haben sie ihn deshalb genannt. Und sein zum Dadaismus neigender Mitstreiter Czukay jubelte: „Jetzt spielen die Maschinen endlich, wie Maschinen wirklich spielen.“ Liebezeit selber sagte: „Musik funktioniert wie Fußball. Du musst zuerst die Regeln beherrschen, dann kannst du experimentieren.“

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Was im Fußball die Spielfeldmarkierungen sind, das ist in der Musik der Rhythmus: Grenzziehung und Spielanleitung. Für die Gesangsornamente von Malcolm Mooney und Damo Suzuki, Holger Czukays sanften Bass, die federnde Gitarre von Michael Karoli und das expressive Keyboard von Irmin Schmidt war Jaki Liebezeit der Antreiber und Wegweiser. Ein lebendes Metronom. Erst wenn alle gemeinsam zu hören sind – so lautet ein weiterer Can-Merksatz –, beginnt die Musik.

Repetition ist Rhythmus

Noch einmal Liebezeit: „Ohne Noten zu spielen, bedeutet, dass du repetitiv spielen musst. Repetition ist Rhythmus. Anderseits gibt es keine wirkliche Repetition, weil du nie dasselbe zwei Mal spielst.“ Mit seinem minimalistischen, prinzipiell endlosen Getrommel nahm Liebezeit ein Element von Funk und Disco vorweg. Einige Can-Titel wie „Mother Sky“ und „I Want More“, in England ein Single-Hit, wurden in Diskotheken gespielt. „Motorik“ nannte man bald sein so präzises wie primitives Spiel, und Liebezeit avancierte zum deutschen Drummer mit der weltweit größten Wirkung. David Bowie, die Sex Pistols und The Fall waren Can-Fans, Schlagzeuger wie Steve Shelley von Sonic Youth und Steve West von Pavement berufen sich auf Liebezeit.

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„Gelernt habe ich zuerst durch Zuhören, dann durch Nachdenken und Proben.“ Der Autodidakt Liebezeit, 1938 in Dresden geboren, kam vom Jazz, hatte in Barcelona den Trompeter Chet Baker begleitet und sich in Köln dem Quintett von Manfred Schoof angeschlossen. Zuletzt war er mit dem DJ und Keyboarder Bernd Friedmann unterwegs. Am Sonntag ist Jaki Liebezeit in Köln an den Folgen einer Lungenentzündung gestorben. Er wurde 78 Jahre alt.

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