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Tsanko Petrov (Stefan Denolyubov, rechts) wird vom Minister für seine Ehrlichkeit ausgezeichnet.

© Mouna Verleih

Bulgarische Satire "Glory" im Kino: Suche nach der verlorenen Zeit

„Glory“ begleitet einen unwahrscheinlichen Helden auf der Suche nach seiner Uhr - und nimmt dabei das postkommunistische Bulgarien aufs Korn.

Von Andreas Busche

Um Ehre geht es in Kristina Grozevas und Petar Valchanovs „Glory“ nicht, bloß um eine Uhr, und nicht mal eine besonders wertvolle. Die Uhrenmarke Slava, übersetzt „Ehre“, galt im ehemaligen Ostblock als Statussymbol der einfachen Leute – ein Relikt der Vergangenheit und von daher aufgeladen mit historischer Bedeutung. Als die Mitarbeiterin des bulgarischen Verkehrsministeriums dem Gleisarbeiter Tsanko Petrov (Stefan Denolyubov) seine alte Slava abnimmt, zeichnet sich auf dessen Handgelenk ein blässlicher Schatten ab, Gebrauchsspuren eines Lebens voller Entbehrungen. Die Uhr, die ihm stattdessen ausgehändigt wird, sieht modern aus und hat ein digitales Display. Und gibt schon am nächsten Morgen den Geist auf.

Das allein wäre eine billige, fast revanchistische Pointe. Nicht alles war schlecht im Kommunismus, wenigstens haben die Uhren damals noch funktioniert. Die eigentliche Zumutung besteht für Tsanko aber darin, dass die abgegriffene Slava, die nach dem Tausch im anonymen Verwaltungsapparat einer politischen Behörde verschwindet, seinem verstorbenen Vater gehörte. Sie besitzt keinen materiellen und schon gar keinen ideologischen Wert, nur einen sentimentalen. Er will sie zurück. Seine Suche nach dem Familienerbstück gleicht einer Odyssee durch eine postkommunistische Bürokratie, deren unmenschliche Eigenschaft nun die Züge des frei drehenden Kapitalismus tragen.

Tsanko Petrov ist ein eigentlich unwahrscheinlicher Held. Bei Gleisarbeiten hat der zauselige Hinterwäldler einen Haufen Geld auf den Schienen gefunden. Aber statt die verstreuten Scheine einzustecken und so sein karges Gehalt aufzubessern, meldet er den Fund ordnungsgemäß bei seinen Vorgesetzten – zum Amüsement der Kollegen, die während der Arbeit heimlich Diesel aus den Triebwagen abzapfen. Dem bulgarischen Verkehrsminister kommt die Geschichte aber gerade recht. Einen ehrlichen Mitarbeiter kann seine korrupte Behörde, die gerade wegen dunkler Geschäfte Schlagzeilen macht, gut gebrauchen.

Der "Idiot" pocht auf sein Recht

PR-Managerin Julia Staykova (Margita Gosheva) wird auf den armen Tropf angesetzt, noch vor Ort soll er ein Fernsehinterview geben, damit das Ministerium wieder „das Narrativ kontrolliert“, wie es in der Sprache der Spin-Doktoren heißt. Parallel muss Julia aber noch eine andere Geschichte spinnen: Zusammen mit ihrem gutmütigen Ehemann Valeri (Kitodar Todorov) will die 40-Jährige eine künstliche Befruchtung vornehmen. Den Auftrag ihres Chefs nimmt sie telefonisch entgegen, im Stuhl ihres Gynäkologen.

Das Szenario klingt auf plumpe Weise anzüglich. Man kann sich leicht ausmalen, was eine deutsche Komödie aus dieser Prämisse – die Uhren-Symbolik (biologische vs. Erbstück), der drohende Kalauer über die Intimsphäre einer Öffentlichkeitsarbeiterin – machen würde. Grozeva und Petar Valchanov vermeiden aber alle naheliegenden Witze. Auch dass Tsanko stottert – Ursache für allerhand Missverständnisse –, steht nicht im Mittelpunkt ihrer Situationskomik. Die Einzigen, die lachen, sind Julias Mitarbeiter. Die professionelle Kommunikatorin und der schon äußerlich aus der Zeit gefallene Bahnarbeiter, aufgrund seiner Disposition unfähig zur Kommunikation, sind nur eine weitere Nuance in „Glory“.

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Tsanko ist Julias Albtraum. Aber nicht wegen seiner Stotteranfälle (obwohl: auch das), sondern weil sein Wertesystem mit dem der urbanen Powerfrau, stets auf ihr Erscheinungsbild bedacht (um ihren Achselschweiß zu trocknen, klemmt sie sich in Meetings Papiertaschentücher unter die Arme) unvereinbar ist. Der kauzige Einsiedler lässt sich nicht mit einer neuen Uhr abspeisen und ein Termin im Ministerium muss warten, weil seine Hasen Futter brauchen. Mit der stoischen Beharrlichkeit von Dostojewskis „Idiot“ pocht er auf sein Recht, während die Akteure um ihn herum am vermeintlich großen Rad der Geschichte drehen. Diese Inkongruenz der Wahrnehmung macht den subtilen Witz von „Glory“ aus.

Ähnlichkeiten zum rumänischen Kino

Die Darstellung Julias schrammt in einigen Szenen haarscharf an der Karikatur vorbei. Ständig muss Valeri seiner Frau, deren Prioritäten eindeutig beim Job liegen, die Spritze für die künstliche Befruchtung hinterher tragen. In einer Szene setzt er ihr die Injektion im Ministerium. Da steht sie dann mit runtergelassen Rock im sprichwörtlichen Hinterzimmer und bedeckt ihre Scham notdürftig – mit der Flagge der EU.

Aber Grozeva und Valchanov legen es nicht auf die Diffamierung eines bestimmten Typus an. Julia und ihr Arbeitgeber kommen genauso schlecht weg wie der Enthüllungsreporter, der die Korruption aufdeckt und sich dabei den ahnungslosen Tsanko als Bauernopfer aussucht. In seinem ungerührten Tonfall weist „Glory“ Ähnlichkeiten zum rumänischen Kino auf, der trockene Humor erinnert an die Filme Corneliu Porumboius („Polizei, Adjektiv“). Man wünscht sich mehr Filme aus Bulgarien, das auf Festivals immer häufiger von sich reden macht. 2016 gewann „Godless“ von Ralitza Petrova in Locarno den Goldenen Leoparden. Es ist Zeit für eine bulgarische Welle.

In den Kinos Krokodil und Zukunft (beide OmU)

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