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Chronist der Pop-Welt: Bob Dylan.

© Reuters/ Ki Price

Bob Dylans neues Album: „Stardust“ in der Stimme

Am Wochenende holt Bob Dylan seinen Literaturnobelpreis ab - und veröffentlicht mit „Triplicate“ ein neues Album voller Überraschungen.

Am 1. und 2. April – das ist kein Scherz – spielt Bob Dylan in Stockholm. Er ist wieder auf Tour. Und da er nun schon einmal in der schwedischen Hauptstadt vorbeischaut, holt er sich bei der Gelegenheit doch noch seinen Nobelpreis für Literatur ab. Diskret, ohne Öffentlichkeit. Der 75-Jährige hatte die Zeremonie im Dezember geschwänzt. Die Nobel-Lecture, eine Bedingung für die Preisübergabe, wird er vermutlich in den nächsten Wochen per Videobotschaft nachreichen. Man weiß bei Dylan nie.

Nachdem der große Dichter mit seinem wenig noblen Verhalten Fans und selbst Apologeten enttäuscht hat, gibt es nun so etwas wie eine Charme-Offensive. Auf bobdylan.com kann man ein sehr langes, sehr intensives Interview mit dem Meister lesen. Er spricht über Muhammad Ali und Frank Sinatra, Kinofilme und seine Jugend in Minnesota, über die großen Linien und Traditionen nordamerikanischer Musik. Wie vor einigen Jahren in seiner Radioshow führt Professor Dylan mit ungeheurem Detailwissen, Demut vor der Vergangenheit und lockerer Schlagfertigkeit über den Kontinent der populären Kultur. Damit sind wir bei „Triplicate“ (Sony Music) angekommen, Bob Dylans neuem Album mit drei CDs, knapp hundert Minuten kurz, das an diesem Freitag erscheint. Schön, wie das alles zusammenpasst.

Sein erstes Dreifach-Album

Vor 50 Jahren hat Bob Dylan „Blonde On Blonde“ herausgebracht, das erste Doppelalbum der Rockgeschichte. Davor war er Folk- und Protestsänger, es folgten Country-Jahre, und den Blues hat er sowieso immer gespielt. Es fiel seltsamerweise nicht so auf, dass Dylan immer schon im musikalischen Archiv der USA unterwegs war. Er ist zum Chronist geworden. Nach zwei Alben mit Sinatra-Covers bringt „Triplicate“ nun 30 mitsingbare Songs aus fernen Zeiten der Depression, den Jahren vor dem Zweiten Weltkrieg. Dylan und seine treuen Musiker, verstärkt von einer bigbandigen Bläsertruppe, tauchen ein in ein versunkenes Universum, das man aus Filmen von Woody Allen kennt.

Cool, swingend, melancholisch verliebt; man möchte sich eine Zigarette anzünden, einen Cocktail kippen und in ein big yellow taxi steigen. Draußen ist „Stormy Weather“: Dylan gewinnt diesem Standard, den so viele Jazz-Berühmtheiten gesungen haben, eine ungemütliche Note ab. Kaum zu glauben, aber er wagt sich auch an „As Time Goes By“, er singt es zart. Überhaupt hält sich die Stimme hier so gut wie lange nicht mehr. „Sentimental Journey“ klingt wie ein Abschiedslied. Aber schon seit den fernen Tagen von „Farewell Angelina“ und „Don’t Think Twice“ war das Weggehen eine Spezialdisziplin Dylans.

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Sein erstes Dreifachalbum steckt voller Überraschungen. Die größte ist, dass er nichts beweisen muss. Der Druck, den man auf so vielen Dylan-Platten über die Jahrzehnte gespürt hat, der ihn unverwechselbar machte, seine Energiequelle war, ist dankbarer Kontemplation gewichen. Dylans Phrasierung sucht nicht mehr den Affekt, die Pointe. Hier lässt er sich durch die weichen Melodien treiben, die Texte („When The World Was Young“, „The Best Is Yet To Come“ ) bekommen eine Heinrich Heine’sche Einfachheit, die ins Herz trifft. Es ist nicht das Schlechteste, sich auf diese Weise mit der Welt zu arrangieren. Es klappt sowieso nur, solange die Musik spielt.

Ein wunderbarer Witz, diese Platte

Der amerikanische Alltag – Fernsehen, Werbung, selbst der Durschnittssound von Individuen – hat einen hohen Lautstärkepegel. In den Rock-Jahren stand Dylan als Avantgardist einer hochaggressiven Kultur im Kreuzfeuer. Er war auch stets auf der Suche nach einem anderen Amerika, wie auf den Räuberballaden der „Basement Tapes“ zu hören. Inzwischen ist vielleicht ein Klassiker wie „These Foolish Things“ das andere. Ein entspannteres Amerika, in dem das Wort Freiheit nicht wie eine Drohung klang.

Da kann er gern mal wie ein mittelmäßiger Tänzer durch einen Song schleppen und schleifen und den hohen Ton verfehlen. Tut nichts. „It’s so funny, I still love you“, singt er mit leisem Lächeln, „it’s the joke of the century.“ Ja, ein Witz ist dieses Album, ein wunderbarer. Zu Hause in Kalifornien schmiedet Dylan Eisenskulpturen. Hier biegt er liebevoll feine Drähte aus Gold und Silber, formt Tränen zu „Stardurst“ und erfüllt sich den alten amerikanischen Traum.

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