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Bob Dylan

© dpa

Bob Dylan live in Berlin: Sonaten für den Herbst

Routiniert bis zur Harmlosigkeit: Bob Dylan legt auf seiner endlosen Konzertreise einen Zwischenstopp in Berlin ein und wechselt zwischen zarten Höhen und sarkastischer Härte.

Es gibt gute Gründe, zu Bob Dylan ins Konzert zu gehen. Man hat es immer getan, warum jetzt damit aufhören? Denn er könnte irgendwann einmal ans Ende seiner never ending tour kommen, und man würde vielleicht einen richtig starken Abend verpassen. Er spielt, mit 74 Jahren, auch diese Saison wieder rauf und runter in den USA und Europa, über 80 Auftritte. All dies könnte ebenso dafür sprechen, sich nicht schon wieder auf den Weg zu machen zu dem Orakel mit Hut. Das letzte Mal war Dylan vor zwei Jahren in Berlin, und ganz billig ist die Lotterie ja nicht.

Es ist also wieder Herbst, die Jahresendzeitdepression lugt um die Ecke, man sitzt im Tempodrom und harrt der Dinge – nicht sehr lang. Schlag Acht stehen die fünf Musiker auf der Bühne. Die Band ist zur Arbeit erschienen. Er ist auch schon da, wirkt schmaler, kleiner als je zuvor. „Things Have Changed“, damit schaukeln sie los im nicht ganz ausverkauften Zirkusbau am Anhalter Bahnhof.

Es stimmt, etwas hat sich verändert. Dylan bringt jetzt immer das gleiche Programm, als würde er eine Platte auflegen. Dazu gehört „Autumn Leaves“, der Klassiker von seinem Frank-Sinatra-Cover-Album „Shadows in the Night“, eine Ausschüttung von Melancholie, Gefühlsschmelz und Vergänglichkeitsschmerz, fein gesungen, eine dunstige Tristesse, die sich in den Kleidern festsetzt.

Der Preis der Freiheit

Eine Überraschung, wenn man es nicht schon in den Setlists im Netz gelesen hat: Er spielt ein halbes Dutzend dieser süßlichen Crooner-Nummern, die Stimme sucht die zarten Höhen, die Band begleitet vorsichtig und leise einen alten Mann, der den Rock und Blues hinter sich hat und seine Seele in lahmendem Country-Swing badet. Es ist die Musik – Sinatra! -, die er in seiner Kindheit und Jugend im Radio gehört hat, gegen die er einmal aufgestanden ist, als er zwanzig war und alles wegfegte, was in den USA von sich glaubte, den Ton anzugeben und bedeutend zu sein. Bob Dylan erscheint heute als der Traditionalist schlechthin, in einem Amerika, das sich mit großer Energie selbst verrät, ein um das andere Mal, hält sich der Revolutionär der Sechziger an die Werte, die älter sind als er selbst. Das hat etwas Provokatives, wird aber schnell öde.

Er wechselt vom Mikrofon vorn an der Bühne zum Flügel, deutet Tanzschritte an, gibt sich locker. Die Musiker werden nicht vorgestellt, auch sonst sagt er kein Wort. Er liefert ab, routiniert bis zur Harmlosigkeit. Was gibt es noch abzuarbeiten, zu beweisen? Mit welchem Gott oder Teufel hat er gewettet, dass er das durchzieht bis in alle Ewigkeit? Bei Dylan geht es um das Grundsätzliche. Ist die Frage überhaupt sinnvoll – warum Künstler tun, was sie tun, und nicht etwas anderes? Wer will Dylan Vorschriften machen? Der Markt kann es nicht sein. Er mag wie ein Getriebener wirken, das ist der Preis der Freiheit auf der Konzertreise, die 1988 begann.

Und zwischendurch ist da plötzlich der andere Typ, wie bei Dr. Jekyll und Mr. Hyde. Dylan spielt eine Reihe von Songs vom drei Jahre alten „Tempest“-Album. Dann ist es ein scharfer Auftritt, so klar wie selten artikuliert. „Pay in Blood“ jagt Schauer über den Rücken. Liebe ist kein Cocktail in der Hotel-Bar. Das unheilvoll kreiselnde, bittere „Long and Wasted Years“ geht an die Nieren, die Geschichte eines alten Ehepaars, die seit wer weiß wie lang wie zwei Züge nebeneinander her dampfen, aufs schlechte Ende zu. Er wirft das in die Luft, das Lied, den großen Melodiebogen, die endlose Wiederholung des unausweichlichen Motivs: Ich verletze dich, du verletzt mich, und aufhören werden wir damit nicht mehr in diesem Leben. Sie heben den Song in die Höhe und er trudelt herunter, wie Blätter im kalten Winde, der sich um die Bäume dreht.

Die alten Sachen spielt er nicht mehr

„Love Sick“. Das bellt er als Rausschmeißer. Es ist kurz nach Zehn, die Band zeigt Härte, holt die Messer und Stöcke heraus. Dylans Stimme: metallisch, gehärtet. Ein Marsch in die Gegend, wo es weh tut. Der sarkastische Ton eines gebrochenen Herzens zieht sich ja durch sein gesamtes Songbook, von Anfang an. „I'm sick of love/But I’m in the thick of it“. Mittendrin in der Katastrophe und zugleich Beobachter: Mit dieser Kunst aus der Distanz und Nähe ist er der ganz Große geworden, so groß, dass er sich in einem Konzert nie selbst erreichen kann.

Aber jetzt ist der Abend zu Ende, da er eigentlich erst richtig angefangen hat. Die Berliner Gemäldegalerie präsentiert derzeit eine verstörende Botticelli- Schau. Der Mythos der Renaissance- Schönheit wird entzaubert. Früher hat es Dylan mit seinem Oeuvre auch so gemacht, hat es dekonstruiert, verfremdet, gehäckselt. (Es gibt einen Song aus den Sechzigern, „When I Paint my Masterpiece“, da erzählt er von Italien und einem Rendezvous mit „Botticellis Tochter“.) Die Sisyphus-Anstrengung des Negierens und Neu-Interpretierens scheint jedoch vorüber zu sein, ein für allemal. Bob Dylan wird nicht müde, spleenige Platten aufzunehmen; was kommt als nächstes?
Mit wenigen Ausnahmen („Blowin’ in the Wind“ als Zugabe) spielt er die alten Sachen nicht mehr. Es ist Herbst, fast schon Winter. Das Licht wird kostbarer, die Schatten fallen ohnehin.

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