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Strahlende Landschaften. Die Spur des Replikantenkinds führt den Blade Runner K (Ryan Gosling) ins verseuchte Las Vegas.

© Sony

Blade Runner 2049: Erinnerung aus zweiter Hand

Mit „Blade Runner 2049“ gelingt Denis Villeneuve nach 35 Jahren eine würdige Fortsetzung des Science-Fiction-Klassikers.

Von Andreas Busche

35 Jahre sind im Science-Fiction-Genre ein überschaubarer Zeitraum. Solche kurzfristigen Zukunftsprognosen begnügen sich meist mit der Extrapolation von Gegenwartsszenarien, denen die Dystopie näher steht als der Optimismus des technologischen Fortschritts. 35 Jahre können aber auch verdammt lang sein, wenn es um die Halbwertzeit von Science-Fiction-Utopien geht. Wohl auch darum genießt Ridley Scotts „Blade Runner“, basierend auf Philip K. Dicks Kurzgeschichte „Träumen Androiden von elektronischen Schafen?“, einen so nachhaltigen Einfluss auf die moderne Science Fiction.

Scotts Entwurf einer nahen Zukunft, in der globale Unternehmen Kontrolle bis hinein in die Privatsphäre ausüben, künstliche Intelligenz – ganz im Sinne von Arthur C. Clarke – auf geradezu magische Weise menschliche Eigenschaften erlernt und kollabierende Megacitys unter giftigen Dunstglocken ächzen, wirkte 1982 noch visionär. Heute könnte man „Blade Runner“ fast prophetisch nennen – obwohl seine Vorstellung des Jahres 2019 auch nach 35 Jahren architektonisch und technisch von der Wirklichkeit noch nicht eingelöst wurde. Ridley Scotts abgegriffene, dauerverregnete und neonbeleuchtete used future war immer auch ein melancholischer Sehnsuchtsort der Science Fiction.

Abendessen mit der Hologramm-Freundin

Es ist also kein geringes Unterfangen, diesen Geist noch einmal einzufangen und ihn, so kurz vor dem Schlüsseljahr, das Scotts Film markiert, erneut in die Zukunft zu überführen. Die lange angekündigte Fortsetzung „Blade Runner 2049“ spielt 30 Jahre nach dem Original. Die Menschheit hat eine globale Umweltkatastrophe und einen technischen Blackout, bei dem der weltweite Datenbestand verloren ging, hinter sich – und auch ihr Replikantenproblem weitgehend gelöst. Die Androiden neuester Bauart sind nicht mehr mit einem künstlichen Bewusstsein ausgestattet, das programmierte Wissen um ihre Vergänglichkeit macht sie zu berechenbareren Sklaven als ihre Vorgänger. Von der aus der Produktion genommenen Nexus-Generation mit unbegrenzter Lebensdauer befinden sich noch ein paar Abtrünnige auf freiem Fuß. Der Replikant K (Ryan Gosling) hat den Job, die letzten flüchtigen Auslaufmodelle aufzuspüren und zu liquidieren.

Ryan Goslings sentimentaler Hundeblick erweist sich gegenüber Harrison Fords stoischem Replikantenjäger in Scotts Original als das konsequenteste Update in „Blade Runner 2049“, der unter seiner fantastisch anmutenden Oberfläche vor stiller Ehrfurcht mitunter zu erzittern scheint. Gosling bleibt als hartgesottener Noir-Held eher eine Behauptung, auch weil ihn die existenziellen Zweifel von Fords Figur Rick Deckard nicht mehr umtreiben: K weiß, dass er kein Mensch ist. Am Ende des Tages kehrt er in eine Schuhkarton-Wohnung zurück, wo ihm seine Hologramm-Freundin (Ana de Armas in ständig wechselnden Outfits, eine perfekte Männerfantasie in Serie) ein virtuelles Abendessen serviert.

Vom Genrefilmer zum Blockbuster-Auteur

Regisseur Denis Villeneuve, der mit „Arrival“ eine erstaunliche Entwicklung vom ambitionierten Genrefilmer zum Blockbuster-Auteur vollzog, ist jedoch eigenwillig genug, um nicht in die Nostalgiefalle eines solchen mit uneinlösbaren Erwartungen aufgeladenen Projekts zu tappen. Mit „Blade Runner 2049“ beweist er einen ausgezeichneten Sinn für das world building, wobei ihm Scotts polyglotter Moloch Los Angeles als Ausgangspunkt für eine Reihe aufregender Setpieces dient.

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Gleich die Eröffnungssequenz führt K im Tiefflug zu einer weiten Agrarlandschaft, deren toter Grund mit gigantischen zirkelförmigen Gewächshäusern bebaut ist. Die Metropole San Diego hält im Jahr 2049 als Mülldeponie für den Großraum Los Angeles her. Und das ehemalige Vergnügungsparadies Las Vegas liegt inmitten eines radioaktiv verseuchten Sperrgebiets. Während Scotts used future noch an die Gegenwart des Jahres 1982 anknüpfte, errichtet Villeneuve seine Fortsetzung auf Scotts Zukunftsvision. Am Ende fällt in „Blade Runner 2049“ sogar Schnee. Das Zusammenspiel von Regisseur, Kameramann (Roger Deakins) und Produktionsdesigner (Dennis Gassner) ist atemberaubend, sie schaffen eine prächtig heruntergekommene Zukunft voll spektakulärer Details.

Fragile Koexistenz von Menschen und Replikanten

Aber ganz kann sich auch Villeneuve dem Rechtfertigungsdruck eines „Blade Runner“-Sequels, das – anders als jüngste Reboots von Klassikern wie „Star Wars“, „Robocop“ oder „Total Recall“ – dezidiert mehr sein will als das bloße Update eines in die Jahre gekommenen Betriebssystems, nicht entziehen. Die Geister des Originals suchen auch K heim, der in der Wüste die sterblichen Überreste einer Replikantin findet, die kurz vor ihrem Tod ein Kind geboren hat. Die Knochen gehören, so viel sei verraten, Rachael (Sean Young), mit der Rick Deckard am Ende von „Blade Runner“ vor den Killern der Tyrell Corporation flieht. Den Konzern übernahm nach dessen Konkurs Niander Wallace (Jared Leto), ein blinder Entrepreneur mit Gottkomplex, dem in seiner Produktpalette noch eine zeugungsfähige Replikantin fehlt. Ks Vorgesetzte (Robin Wright) sorgt sich hingegen darum, dass die Nachricht einer solchen Geburt die ohnehin schon fragile Koexistenz von Menschen und Replikanten gefährden könnte. Beide wollen das künstliche Menschenkind unbedingt finden.

Paradoxerweise entfernt sich „Blade Runner 2049“ immer weiter von den zentralen Themen Philip K. Dicks, je tiefer er sich in der Vorgeschichte verstrickt. Das Vexierspiel um echte und falsche Erinnerungen hält am Ende zwar noch eine wirklich gelungene Pointe parat – in Person einer jungen Erfinderin (Carla Juri) mit einer Immunschwäche, die in einem keimfreien Environment Erinnerungen fabriziert. Aber die Ungewissheit und Paranoia, die Scott so stilsicher aus der Vorlage in seinen Film hinüberrettete (und die später durch den Verzicht auf Harrison Fords berüchtigte Voice-over-Narration im Director’s Cut noch verstärkt wurden), weichen bei Villeneuve einem peniblen Drang zur Vereindeutigung.

Die Spur führt zurück zum Original

Die Spuren, die Villeneuve zurück zum Original legt, verwandeln „Blade Runner 2049“ in einen virtuos verstellten Parcours, der die Mindfuck-Qualitäten von Scotts labyrinthischer Dystopie aber vermissen lässt. So demonstriert Villeneuve – zweifellos auf eindrucksvolle Weise – das prinzipielle Dilemma so vieler Sequels, die sich letztlich nur an der Vergangenheit ausrichten. „Blade Runner 2049“ ist Retro-Science-Fiction par excellance. Ks Suche nach Antworten führt ihn zwangsläufig zurück zu Rick Deckard, der sich seit dreißig Jahren in einem alten Casino versteckt und sich von Elvis-Hologrammen unterhalten lässt.

Villeneuve ist mit seiner aufdringlichen Kampagne, in der er nachdrücklich darum bat, vor dem Filmstart nichts über den Plot zu verraten, um dem Publikum dieselbe unschuldige Kinoerfahrung wie 35 Jahre zuvor bei „Blade Runner“ zu ermöglichen (Scotts Film wollte seinerzeit übrigens niemand sehen), einem ähnlichen Irrtum aufgesessen. Die Rekonstruktion einer Erinnerung, die nie selbst erlebt wurde, bleibt ein Simulacrum. Fast folgerichtig entwickelt „Blade Runner 2049“ genau in den Szenen eine Schwerfälligkeit, in denen er sein Geheimnis zu etablieren versucht. Das ist leider auch der uninteressanteste Aspekt von Villeneuves Film.

Startet Donnerstag in 31 Berliner Kinos

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