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Der britische Pop-Star David Bowie.

© Jimmy King/Sony

"Blackstar" von David Bowie: Sein letztes Album

Verloren im Hallraum des Space-Pop: Am Freitag wurde David Bowie 69 und veröffentlichte sein melancholisches Album „Blackstar“.

Am Freitag wurde "Blackstar" von David Bowie vorgestellt. So hat es unser Kritiker gehört - zu diesem Zeitpunkt wusste niemand, wie krank David Bowie war.

Es stellt sich mal wieder die Frage, ob man ihn beim Wort nehmen soll. David Bowie, alter Trickser. Ob es wirklich so dunkel um sein Gemüt bestellt ist, wie es auf seinem neuen, am Freitag erscheinenden Album „Blackstar“ (Sony) den Anschein hat, wenn er in düstere Elektro-Schatten hineinruft, „I am a Blackstar.“ Triumphal hört sich das nicht an. Vielmehr so, als würde Bowies Hülle implodieren.

Wie sich zeigt, ist dieser Ausruf dann gar nicht direkt auf ihn selbst bezogen, sondern transportiert den Gestus des fundamentalistischen Predigers zu Demonstrationszwecken. „Something happened on the day he died“, beschreibt Bowie mit schwerer Stimme den mysteriösen Moment, da der Prophet stirbt und ein Unerschrockener seinen Platz einnimmt, um zum „schwarzen Stern“ zu werden, zu einer Figur der Erleuchtung, die die Welt, wie Bowie es sieht, mit negativer Energie und Schwarzlicht flutet und bloß heilloses Gestammel von sich gibt, das Gut und Böse vertauscht und die Menschen verkehrt herum geboren seien... „I can’t answer why ... Just go with me ... I am takin’ you home ... I am the great I am.“

Es ist natürlich hochgradig verwirrend, wie David Bowie als Meister aller Hüllen die Versprechungen der Religionsführer mit den Mitteln eines Popsongs dekonstruiert. Denn strukturell, das hat er in früheren Identitätsperioden unter anderem mit seinem berüchtigten Auftritt als Diktator in der Victoria Station demonstriert, sind Popstar und Demagoge eng verwandt. Wie soll man also diesmal das eine vom anderen trennen?

Zumal letzte positive Reste von Bowies popkultureller Heiterkeit aufgesaugt werden von einem kruden Stück elektronischem Breakbeat-Jazz. Radiohead mit Tenorsaxofon, so hört sich der unrund stolpernde Rhythmus des Titelsongs an, über den Bowie etwas von einer einsame Kerze nuschelt, die im Zentrum „von allem“ stehe. Der Track ändert Tempo und Struktur, aber er führt nirgendwo hin. Er dreht sich wie eine rätselhafte Spiralenergie um ein leeres Zentrum, als habe die Sprache des Pop keine angemessene Antwort auf die besungenen „Exekutionen“, die im Namen Gottes begangen werden. Noch.

Produziert hat wieder Tony Visconti

Tatsächlich geht es auf „Blackstar“ um das Verschwinden, das Schwinden der Kräfte, womöglich auch um die Ahnung Bowies kurz vor seinem 69. Geburtstag, dass er selbst zu glühen aufhören und in die Schwärze zurücksinken wird. Wieder hat er mit seinem früheren WG-Kumpan und Erfolgsproduzenten Tony Visconti nach einem neuen Sound gesucht, der „bloß nicht Rockmusik“ sein sollte. Herausgekommen ist eine Mischung aus ziemlich ödem Space-Pop, zerschlissenen Cajun-Beats, getragenen Balladen. In einer solchen wendet er seinen Blick wie schon auf dem 2013 veröffentlichten Comeback-Album „The Next Day“ in die eigene Vergangenheit. Damals hing ihm Berlin und seine „Heroes“-Phase nach.

Mit dem Song "Lazarus" setzt Bowie New York ein betörendes Denkmal

Jetzt ist New York dran, seine Wahlheimat bis heute. Man kann ihn auf den Straßen New Yorks zuweilen in Sweatshirt und Jeans sehen, mit Umhängetasche und Schiebermütze, Mister Nobody. Dieser Stadt setzt er mit „Lazarus“ nun ein betörendes Denkmal, das bis in den Klang hinein vom Übergang in die 80er Jahre inspiriert ist, von synthetischen Bläserriffs, minimalistischen Drums. Und apropos Übergang: Der Song macht weiter, wo „Blackstar“ nicht weiter wusste. Bowie erinnert sich seiner als einer zerschundenen Heiligenfigur, jeder habe ihn gekannt, was aber auch bedeutete, dass er nichts mehr zu verlieren gehabt habe, „I was living like a king“. Das ging nicht lange gut.

New York habe ihn befreit, singt er jetzt, und wenn das der einzige wahrhaft leuchtende hit-taugliche Moment unter den sieben Songs von „Blackstar“ ist, dann verrät das viel über Bowies kreative Kraft, die vor allem für emotionale Rückblenden zur Hochform findet.

Der in sich konsistente Breitwand-Pop von „Lazarus“ – Achtung: Saxofon-Solo – zerfällt gleich wieder. Es gibt keinen einzigen Song, der aus dem gängigen Muster von Intro, Strophe, Refrain besteht. Wichtige Zeilen werden öfter wiederholt als unwichtige. Aber es fehlen die Melodien, die einzelne Erkenntnisse in den Körper einschreiben und zu einem Teil seines Gedächtnisses machen würden.

Die finstere Vision einer mörderischen Beziehungskiste lässt Bowie vielmehr in nervösem Drum’n’Bass- und Free-Jazz-Geflatter aufgehen. Gegenüber dem „Rolling Stone“ verklärt seine Partner Tony Visconti diesen Sound als Bowies magischen Input, als etwas so Neues, dass es ein Genre begründen und viele Imitationen nach sich ziehen werde. Doch hat in diesem Fall schon Squarepusher vor zehn Jahren besorgt.

Auf Tour wird der bald 69-jährige wohl nicht mehr gehen

Es geht wohl nicht anders, als dass ein Bowie-Album zu den wildesten Spekulationen veranlasst. Seit der Superstar 2004 nach einem Schwächeanfall und einer schweren Operation von der Bühne verschwand, wird jedes neuerliche künstlerische Lebenszeichen daraufhin abgeklopft, ob es seine mögliche Rückkehr in die Konzertarenen dieser Welt vorbereitet. Visconti meint, Bowie werde nicht wieder live auftreten. Wenn er es gewollte hätte, wäre „The Next Day“ ohnehin der passendere Anlass gewesen.

Denn auf „Blackstar“ wendet sich der Sänger aus großer Entfernung an sein imaginäres Publikum. Die Stimme ist brüchig und alt, Visconti und Bowie haben ihr einen künstlichen Hallraum verpasst, was gut dazu passt, dass er, der da „Girl Loves Me“ singt, Mühe hat, sich an Details und an die Kleinigkeiten zu erinnern, die einer Liebe erst Gewicht verleihen. Stattdessen Bilderfetzen eines ruhelosen Geistes: „Where the fuck did Monday go?“

„Blackstar“ strotzt vor Verneinungsvokabeln

Melancholisch ist David Bowie auch in früheren Schaffensperioden zuweilen gewesen. An Gründen mangelte es ihm, dem Hüllenwechsler jedenfalls nie, Abschied von etwas Liebgewonnenem zu nehmen. „Blackstar“ strotzt vor Verneinungsvokabeln. „It’s nothing to me“, nölt Bowie wieder und wieder. Aber dann heißt es in „Dollar Days“, nachdem traurige Piano-Akkorde von einem jazzigen Erdrutsch mitgerissen werden, „I am dying to ... fool them all again and again.“ Ja, das ist der große Traum vom Trickser, es den Menschen heimzuzahlen, die einen mit ihren Erwartungen tyrannisieren.

Ein Jammer nur, dass man Bowie diese Überlegenheit nicht mehr abnehmen kann und er sie sich selbst wohl auch nicht mehr zutraut. Denn wie anders, denn als Selbstaufgabe, soll man „I Can’t Give Everything Away“ hören, jenes ans Ende seines 28. Studioalbums gesetzte Bedauern darüber, dass das Dasein wenig wert ist, wenn es nicht in der Verausgabung mündet.

E-Gitarren-Soli wie vor vierzig Jahren

Vielleicht macht man solche Alben, wenn man Nachschub an neuen Songs für eine Rockshow nicht mehr benötigt. Alben, auf denen Instrumente durcheinanderwirbeln wie Schneeflocken in einer Wunderkugel. Auf denen es E-Gitarren-Soli wie vor vierzig Jahren gibt. Gleichzeitig bewegt sich Bowie in einem hermetischen Kokon, aus dem ihm auch die Hip-Hop-Beats eines Kendrick Lamar nicht heraushelfen, die er während der Aufnahmesessions gehört hat.

Denn wie lange liegt nochmal Bowie letzte wirklich gut Platte zurück? Für das Rock-Magazin „Rolling Stone“ war es „Heathen“ (2002), aber das war auch eine Rock-Platte. Man muss wohl noch weiter zurückgehen. Bis „Let’s Dance“ (1983) vermutlich, als er, der weiße Disco-Gigolo, mit seiner Musik das letzte Mal einen Mainstream-Trend kaperte. Das ist lange her. Trotzdem hört man nicht auf, David Bowie an früheren Mythen zu messen und auch in der mittelmäßigsten seiner Platten noch den Genius der Veränderung zu sehen. Er ist das ewige Hüllengleichnis. Er lässt einen die Dinge durch sich wahrnehmen.

Ganz sicher trügt ihn dabei nicht sein Gefühl, dass in finsteren Zeiten von Massenmorden und Vertreibungen auch Popmusik keine Antwort weiß. Immerhin tut Bowie mit „Blackstar“ nicht so, als wüsste er eine.

David Bowie ist kurz nachdem er sein Album "Blackstar" fertigstellen konnte verstorben.

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