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Eine der schwarzweiß Aufnahmen aus dem Bildband "Untouched".

© The Guy Bourdin Estate 2017/Guy Bourdin - Untouched/Steidel Verlag

Bildband zu Guy Bourdin: Schätze eines Revolutionärs

Die Straße als Wurzel der Kreativität: Ein Fotoband dokumentiert die Anfänge des französischen Modefotografen Guy Bourdin.

Bevor die Farbe bei Guy Bourdin einzog, sahen seine Bilder aus wie street photography – als seien sie vom Zufall komponiert und im Vorbeigehen mit der Kamera fixiert. Dabei sind auch die frühen Fotografien aus den fünfziger Jahren meist hochartifizielle Modeaufnahmen. Bloß hat sich das Auge an solche Arrangements – feine Kleider vor pockennarbiger Fassade, in leeren Schwimmbecken oder zerwühlten Betten – längst gewöhnt.

Als Bourdin 1955 seinen ersten Auftrag für die französische „Vogue“ bekam, war jedoch das Studio der verbindliche Ort, an dem man Models inszenierte. Den Mittzwanziger interessierte das nicht. Er ging vor die Tür und noch ein Stück weiter als die Modefotografen F. C. Gundlach und Richard Avedon zur selben Zeit: Bourdin landete in den Schlachthöfen von Les Halles, auf seinen Bildern hängen gehäutete Kaninchen oder Kuhköpfe hinter den ausladenden Hüten perfekt geschminkter Frauen.

Aufstand gegen den Tod. Guy Bourdin mischte Dokumentarisches mit Surrealem.
Aufstand gegen den Tod. Guy Bourdin mischte Dokumentarisches mit Surrealem.

© The Guy Bourdin Estate 2017/Guy Bourdin - Untouched/Steidel Verlag

Es war ein Skandal, es folgten Kündigungen des Magazins – und neue Aufträge für den Fotografen, der eigentlich malen wollte. Die „Vogue“-Redaktion erkannte allerdings schnell, dass hier ein außergewöhnliches Talent am Werk war. Es dauerte dann auch nicht lange, bis Bourdin, der sich während seiner Stationierung als Soldat im Senegal 1948 mit der Kamera beschäftigt hatte, Farben in seine Fotos fließen ließ. Dick, satt und so leuchtend, dass die Oberflächen der Settings wie lackiert wirkten. Die meisten seiner Kollegen sahen in dieser Zeit noch schwarzweiß.

Zwei Frauen am Wegesrand. Guy Bourdin ging für seine Fotografien lieber auf die Straße als ins Studio.
Zwei Frauen am Wegesrand. Guy Bourdin ging für seine Fotografien lieber auf die Straße als ins Studio.

© The Guy Bourdin Estate 2017/Guy Bourdin - Untouched/Steidel Verlag

Bourdin hat von den Künstlern gelernt. Der Surrealist Man Ray war sein Mentor, ein Provokateur wie Hans Bellmer mit Aufnahmen von fragmentierten Schaufensterpuppen ein wichtiger Ideengeber für Modebilder, auf denen man bloß Beine, Brüste oder – wie im Fall der Auftragsarbeiten für den Designer Charles Jourdan – Schuhe sieht.

Dass Bourdin diesen Blick früh für sich entdeckte, dokumentiert der Bildband „Guy Bourdin – Untouched“. Die knapp 200 Aufnahmen setzen sich vor all die Bilder, die man von dem 1991 verstorbenen Revolutionär der Modefotografie hat. Nacktheit wird zum Randthema, im Fokus stehen spielende oder streunende Kinder, Passanten im Regen, das Moiré-Muster eines Stahlgitters und andere Zufallsmomente. Ihre Veröffentlichung verdankt sich einer vergessenen Fotokiste, die lange im Nachlass schlummerte. Zwischen den Pariser Poesien finden sich Bourdins frühe „Vogue“-Experimente: lässig, gewagt und noch in jenen stillen Grautönen, die prägend für das gesamte Buch sind. Bei Bourdin war die Straße nicht Kulisse, sondern Wurzel seiner Kreativität.

Guy Bourdin: Untouched. Steidl, Göttingen 2017. 256 S., 55 €.

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