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Jan Fabre zeigt in Venedig Objekte aus Knochen und aus Glas.

© Fondazione Berengo

Biennale di Venezia: In der Hitze der Pracht

Vorglühen für die Biennale: Wie sich die zeitgenössische Kunst in Venedig mit traditionellem Glashandwerk verbindet. Ein Murano-Besuch.

Glück und Glas, wie leicht passiert da was. Es hatte zu viele Brände gegeben, und die Stadtverwaltung musste gegen Industriespionage vorgehen. Ende des 13. Jahrhunderts verlegten die Venezianer ihre Glasproduktion von der Hauptinsel auf das nördlich gelegene Murano. Dort waren die Werkstätten mit den glühend heißen Schmelzöfen besser zu kontrollieren. Die Glasmeister mit ihrem kostbaren Handwerk und Wissen durften Murano nicht verlassen, und wenn es doch einer wagte, wurden ihm im schlimmsten Fall die Hände abgehackt.

Glas in filigranen Ausformungen und feinen Farben, kostbare Kelche, wuchernde Leuchter, verspielte Vasen und klassisch elegante Schalen – Murano ist eine sehr alte Weltmarke. Exquisite Handwerkskunst gehört von Beginn an zum Selbstverständnis der Handelsmetropole Venedig. Glas folgt dem Weg der Zivilisation, vom Mittleren Orient über das Römische Reich nach Norden.

Auf Murano entstand eine kleine, abgeschlossene Welt, mit einer Tendenz zu inzestuösem Klima. Die Geheimnisse der Glasproduktion wurden in den Familien weitergereicht. Man kopierte einander, klaute Ideen. Im Grunde ist es bis heute so. Murano ringt mit seiner Tradition, um auf dem hohen Niveau zu überleben, das die Glasmeister über die Jahrhunderte entwickelt haben. Hier finden sich billiger Kitsch, Glastierchen und Clowns, oft made in China, neben spezifischer Qualitätsware. Massenproduktion oder Individualität, Kunst oder Handwerk, Abschottung oder Öffnung, das sind die brennenden Fragen der Glasinsel. Auch sie lebt vom Tourismus, muss den Ansturm auf Venedig überleben.

Die Ausstellung "Glasstress" ist eines der Biennale-Beiboote

Adriano Berengo hat sein Studio auf dem Fondamente Vetrai, zwischen all den Glasboutiquen, Eisdielen, Restaurants, Bars und Galerien. Er trägt eine große bunte Brille, einen langen Schal und bunt bedruckte Hosen. Ein Impresario, Entertainer, Manager. Der 69-Jährige hat die Glaswelt verändert. Am 11. Mai eröffnet er die fünfte Ausgabe von „Glasstress“. Die Ausstellung ist der 57. Biennale di Venezia assoziiert, sie gehört zu den „Eventi Collaterali“, den Beibooten der Riesenschau im Arsenale und in den Länderpavillons der Giardini.

Einer seiner Künstler ist Ai Weiwei. Adriano Berengo und seine Kuratoren Dimitri Ozerkov und Herwig Kempinger haben ihn nach Murano geholt. Das ist die Rezeptur: Große Namen der internationalen Kunstwelt verschmelzen mit dem genius loci. Produktion und Ausstellung liegen dicht beieinander, alles fließt. Plötzlich gibt es ein Problem. Ai Weiwei hat bei Berengo einen gläsernen Arm mit ausgestrecktem Mittelfinger fertigen lassen, ein bekanntes Motiv des Chinesen. Er soll auf einem über zwei Meter großen Plakat beim Palazzo Franchetti die Besucher grüßen. Irgendeine venezianische Behörde will nun den Stinkefinger am Canal Grande verbieten.

Ai Weiwei und der Organisator Adriano Berengo in der Glasbläserei.
Ai Weiwei und der Organisator Adriano Berengo in der Glasbläserei.

© Fondazione Berengo

Damit konnte niemand rechnen. Was gibt es zur Biennale nicht alles zu sehen! Damien Hirst hat für seine megalomanische „Unbelievable“-Schau ein turmhohes schwarzes Monster vor dem Palazzo Grassi aufgepflanzt, und vor nicht allzu langer Zeit war die Rialto-Brücke mit Werbung zugehängt. Ai Weiwei in Venedig als Opfer von Geschmackszensur? Wenn die berüchtigte italienische Bürokratie dabei bleibt, ist das für „Glasstress“ keine schlechte Werbung.

Vor dreißig Jahren hat der in Venedig geborene Berengo den Sprung nach Murano gemacht. Davor arbeitete er als Englischlehrer und als Funker zur See. Sein Vater war Zimmermann beim Arsenale, mit Glas hatte die Familie nie etwas zu tun. Peggy Guggenheim habe ihn auf die Idee gebracht, mit Glaskunst zu experimentieren und eine eigene Stiftung zu gründen: „Die Künstler kommen zu uns und können machen, was sie wollen. Wir haben die besten Glasmeister, um die verrücktesten Sachen zu realisieren“.

Erwin Wurm zeigt wurstförmitg Objekte

Nur wenige Schritte von seinem Büro entfernt wummern die Öfen, Tag und Nacht. Ausschalten und aufheizen, das wäre zu teuer und würde zu lange dauern. Es ist der heiße Atem, das Lodern des ewigen Feuers, seinen Sound nehmen die Einheimischen gar nicht mehr wahr. Eine typische Szenerie: vorn der Laden, hinten die Glasmanufaktur mit ihrem unterirdischen Bollern. Durch eine Klappe im Ofen sieht man die glühende, gelbrote Masse. An einer langen Stange wird ein Glasklumpen herausgezogen, ein dicker Tropfen Hitze. Dann wird hineingeblasen, das Material geformt.

Glas ist in diesem Zustand nicht zerbrechlich, sondern biegsam und schmiegsam, es erlaubt schier alles. Das lieben die Künstler. Für den Düsseldorfer Bildhauer Thomas Schütte haben sie hier mehrfarbige, konische Formstücke produziert, die zu einer Art Leuchtturm zusammengesetzt werden. Der österreichische Künstler Erwin Wurm hat sich für „Glasstress 2017“ wurstförmige Objekte ausgedacht. Vor zwei Jahren ließ er in Murano einen kostbaren venezianischen Wandspiegel fertigen, nach allen Regeln der klassischen Kunst. Typisch Wurm: Das Spiegelglas war so gebogen, dass der Betrachter sich nicht darin erkennen konnte. Der Spiegel spiegelte nicht.

Für viele Künstler ist der Werkstoff Glas eine Entdeckung

Jan Fabre zeigt in Venedig Objekte aus Knochen und aus Glas.
Jan Fabre zeigt in Venedig Objekte aus Knochen und aus Glas.

© Fondazione Berengo

Der brasilianische Künstler Vik Muniz setzt dem Glas ein ironisches Denkmal. Er hat typische Weinkelche blasen lassen, elegant geschwungene Formen mit verzweigten Stilen. Allerdings messen die noblen Trinkgefäße über zwei Meter fünfzig. Und einer dieser Monsterkelche liegt nachher in Scherben am Boden. Karen LaMonte aus den USA zeigt Torsi und Kleider aus Glas, die von einem seltsamen Eigenleben erfüllt sind; wie Schneeleichen oder Wolken sehen sie aus.

In einer alten Muraneser Glasbläserhalle zeigt der Franzose Loris Gréaud seine Version des Stundenglases: Seltsame Blasen schweben unter der Decke, und dann und wann fällt ein Objekt in Scherben. Zu den Stammgästen bei Berengo zählen Monica Bonvicini, Jake & Dinos Chapman, Alicja Kwade. Eine Biennale in der Biennale.

Für viele Künstler bedeutet der Tausende Jahre alte Werkstoff neues Material, eine Entdeckung. Berengo spricht von einer „Glas-Renaissance“. Beim ersten „Glasstress“ 2009 habe es einen Erkenntnisschock auf Murano gegeben, was alles möglich sei mit Glas. Fast alles. Weit mehr als die traditionellen Formen. Die Künstler, mit denen Berengo seine Kampagne begann, hießen Robert Rauschenberg, Man Ray, Tony Cragg. Lino Tagliapietra aus Murano war auch dabei, er arbeitet und verkauft heute vor allem in den USA. Auch der Berliner Bildhauer Raimund Kummer zählte zu den Pionieren. Der Hamburger Bahnhof zeigt derzeit Kummers Installationen „Sublunare Einmischung“; Arbeiten über das Licht, das Sehen, Glas als Skulptur und Idee. Durch Glas schaut man auf das Leben.

Ein morbides Festmahl

Jan Fabre hat in Venedig zur 57. Biennale eine eigene Kollateral-Ausstellung, „Glass and Bone Sculptures“. In der ehemaligen Abtei von San Gregorio, nahe der Kirche Santa Maria della Salute, feiert Fabre eine Totenmesse. Geistergestalten, zusammengenäht aus in dünne Scheiben geschnittenen menschlichen Knochen, grüßen Totenschädel aus tiefblauem Glas, mit Tierskeletten zwischen den Zähnen. Die Glasobjekte für das morbide Festmahl wurden bei Berengo hergestellt. Bei „Glasstress“ ist der Belgier auch wieder vertreten.

Fabre arbeitet seit 40 Jahren mit Glas. Seine erste Arbeit für die Documenta 1992 war eine Knochenhand, die einen gläsernen Griff umfasst. „Glas und Knochen sind elementare Dinge“, sagt Fabre. Er inszeniert sie dramatisch wie seine Tänzer und Schauspieler, setzt lebendige und tote Körper in Beziehung zu mythologischen Quellen, wie in seinem 24-Stunden-Theatermarathon „Mount Olympus“.

Die Glaskunst hat sich in Sprüngen entwickelt

Erstaunlich, wie diese Welt aus Glas den großen internationalen Kunstzirkus reflektiert. Bis 1972 war Glas-Design fester Bestandteil der Biennale von Venedig, verbunden mit Namen wie Venini und Carlo Scarpa. An diese Tradition knüpft Adriano Berengo an. „Die Glaskunst“, sagt er, „hat sich stets in Sprüngen entwickelt, durch äußere Kräfte und Einflüsse und neue Energie.“ Das war im 19. Jahrhundert so, als Murano wieder aus der Versenkung auftauchte. In den zwanziger Jahren gab es in Murano einen kreativen Schub und später noch einmal in der italienischen Designbewegung. Heute sieht sich Berengo als Motor der Erneuerung.

Warum seine Ausstellung im Palazzo Franchetti und in der alten Glasmanufaktur auf Murano, beim Campiello della Pescheria, „Glasstress“ heißt? Er hat dafür eine physikalisch-philosophische und eine persönliche Erklärung. Glas stehe immer unter Spannung, sei nie im Ruhezustand. Und er selbst habe Missgunst und Ablehnung erfahren. Viele Glasmenschen wollten nicht gestört sein, lehnten das Fremde ab, den Angriff auf das Hergebrachte, glaubten ihre kleine Insel verteidigen zu müssen gegen Künstler, die mit Konzepten viel mehr Geld machen als die Glasmeister mit ihrem Handwerk.

„Das war mein persönlicher Stress“, sagt Berengo. Schnappt sich das Handy und einen Stapel Papiere und springt aufs Boot. Sein Fahrer steuert langsam durch den Hauptkanal von Murano, vorüber an den alten Gebäuden mit den großen Glas-Namen, Barovier & Toso, Seguso, Salviati, hinaus zum Lunch in die Lagune.

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