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Zu zweit ist man besser alleine. „Graue Decke“, ein Aquarell aus dem Jahr 1998.

© Estate of Bhupen Khakhar

Bhupen Khakhar Retrospektive: Wie es ihm gefällt

Im Westen wurde Bhupen Khakhar lange für seine Kunst belächelt. In seiner Heimat Indien wurde er zum Pionier der Malerei - und zur Befreiungsfigur für Homosexuelle. Die DB-Kunsthalle würdigt ihn nun.

Die Nationalgalerie bereitet gerade ihr Projekt „Museum global“ für 2017 vor, die Kuratoren der Ethnologischen Sammlungen zerbrechen sich den Kopf, wie sie das Humboldt-Forum als Ort der Weltkulturen gestalten können. Da kommt Bhupen Khakhar gerade recht. Der indische Maler ist kein Unbekannter mehr, war er doch 1992 auf der documenta IX mit Anish Kapoor zu sehen, der anschließend international Karriere machte. Um Khakhar aber wurde es wieder still, obwohl ihn sechs Jahre später Rajina Steinrücke in ihrer Berliner Galerie ausstellte.

So gilt es Khakhar neu zu entdecken, selbst in Großbritannien, wo ihn die Tate 1982 erstmals zeigte und seine Bilder kurz nach der Eröffnung des Kraftwerks auf der anderen Themseseite präsentierte. Anlässlich der Eröffnung des Erweiterungsbaus der Tate Modern in diesem Sommer hatte Khakhar erneut einen Auftritt, diesmal als Solist, denn das Londoner Museum versteht sich programmatisch als Türöffner für die Kunst anderer Kontinente. Die erste internationale Retrospektive des Künstlers seit seinem Tod 2003 wurde durch die Deutsche Bank ermöglicht, die als internationales Unternehmen global operiert. Geld und Kunst beschreiten hier gleiche Wege.

Von der Tate in die DB-Kunsthalle

Im Anschluss an London kommt die Ausstellung nun nach Berlin in die DB-Kunsthalle, wo sie – das gab sogar die neue Tate-Direktorin Francis Morris zu – besser aussieht als am Ursprungsort. Chris Dercon, ihr Vorgänger im Amt, auf den die Ausstellung zurückgeht, lächelte bei diesem Kompliment nur fein und schwieg. Schließlich muss er sich als künftiger Intendant der Volksbühne und leibhaftiger Import von der Tate nach Berlin erst bewähren. Mit Khakhar präsentiert sich Dercon noch als Mann der Kunst. In der DB-Kunsthalle gehört ihm allein die Bühne, während er in London einer unter vielen war, auf den man irgendwann in einer der zahlreichen Etagen stieß.

Erst jetzt scheint in den westeuropäischen Ausstellungshäusern die Zeit für diesen Pionier der modernen indischen Malerei reif zu sein, auch wenn ihn die britische Kunstkritik immer noch mit Häme überhäufte, ihm Angestrengtheit, ja Mittelmäßigkeit attestierte und der Tate falsch verstandene political correctness vorwarf. Genau hier könnte künftig die Konfliktlinie in der Rezeption verlaufen: Wie weit sind wir bereit, die Kunst der anderen zu begreifen, unsere Kriterien zu hinterfragen? Wann sind wir in der Lage, anderen Meistererzählungen als nur denen des Westens zuzuhören?

Wahrhaftigkeit als Ziel der Kunst

Bhupen Khakhar eignet sich hervorragend für den Disput zwischen der alten Schule und den Befürwortern einer Erweiterung unseres ästhetischen Kanons. Der Maler war selbst Suchender in seinem Werk. Er bediente sich mal bei indischen Miniaturen, mal bei europäischer Kunstgeschichte, westlicher Frühmoderne und Pop Art. Heute gilt er als Heros der indischen Malerei, der im Laufe des Richtungskampfes zwischen „Internationalismus“ und „Indigenismus“ Anfang der 70er Jahre einen authentischen Stil entwickelte, der sich sowohl von verschiedenen Kunstströmungen als auch vom Alltag der Straße speist. Wahrhaftigkeit – inspiriert von Gandhi – war Khakhars Ziel, mag sie in den Bildern des Autodidakten für europäische Betrachter auch naiv und holprig daherkommen.

„You can’t please all“ lautet der Titel der Ausstellung in der DB-Kunsthalle nach einem Gemälde von 1981, das den Künstler wie so oft selbst im Bild zeigt. Er steht splitternackt auf einem Balkon, der Betrachter schaut über seine Schulter auf das Treiben der Stadt. Dort spielen sich parallel kleine Szenen ab – wie in den Bildern der Sieneser Frührenaissance-Maler, die Khakhar bewunderte. Immer wieder tauchen ein Vater mit Sohn und Esel auf, mal reitet der eine, mal der andere, mal beide, mal keiner. Wie in Äsops Fabel machen es die beiden keinem recht, immer werden sie kritisiert. Khakhar zog seine Schlüsse aus dem Dilemma und stellt sich seiner Kleider entledigt dar, nach dem Motto: „Dann mache ich wenigstens, was mir gefällt.“

Befreiungsfigur für indische Homosexuelle

Khakhar beließ es nicht beim bildlichen Befreiungsschlag. Anfang der 80er Jahre, nach dem Tod seiner Mutter, ging er als erster indischer Künstler offen mit seiner Homosexualität um. In seinen Bildern findet die Liebe zwischen Männern zunehmend Ausdruck – anrührend, unverstellt, hoch romantisch wie bei jenem voreinander stehenden Paar in „Zwei Männer in Banaras“ (1982), deren Körper eine bläuliche Aureole umgibt, als würden sie glühen.

Wieder ist Khakhar einer von beiden, der graue Schopf, das zur Seite gekämmte dichte Haar verrät ihn jedes Mal. Zehn Jahre zuvor hatte er mit seinen Ladenbildern noch verklausuliert die Orte gemalt, an denen sich Männer im öffentlichen Raum unverbindlich treffen, beim Schneider, Barbier oder Optiker. Nun geht er motivisch an Orte der sexuellen Begegnung: Zimmer, Strände, Boote. Stipendienaufenthalte in England und die Bekanntschaft mit David Hockney hatten ihn ermutigt, sich auch in seinem Heimatland zu outen, wo Homosexualität nach kurzzeitiger Liberalisierung wieder unter Strafe steht.

Fülle des Lebens, Glück der Liebe

Khakhar stellt in mehrfacher Hinsicht eine Schlüsselfigur der Befreiung dar. In Bombay, bei seiner Familie, fühlte sich der älteste Sohn einer aufstrebenden kleinbürgerlichen Familie nicht in der Lage zu malen. Damit begann er erst in Vadodara, wo er nach einem Abschluss in Wirtschaftswissenschaften ein Studium der Kunstkritik anhängte. Seiner Malerei widmete er sich erst nach Feierabend, wenn er von seiner Tätigkeit als Buchhalter heimgekehrt war. Gleichwohl wurde sein aus weißen Kuben erbautes Haus bald Treffpunkt einer wachsenden Künstlergemeinde. Hier galt schöpferische Freiheit. Khakhar spielte Laientheater, tanzte, fotografierte, filmte, schuf Keramiken und Ziehharmonika-Bilderbücher, als er zum Reisen zu krank war. Seit seinen ersten Collagen, die Material des Alltags und kultivierte Malerei, High und Low verbanden und ihm den Ruf einbrachten, Indiens erster Pop Artist zu sein, amalgamierte er auch später diverse Ausdrucksformen für seine Kunst.

Der Maler wollte die Fülle des Lebens, das Glück der Liebe ausbreiten. Als er an Prostatakrebs erkrankte, fand auch diese Erfahrung Eingang in sein Schaffen. Mit der gleichen Unvermitteltheit wie zuvor in den Bildern der Lust zeigt er nun das Leiden, die eingeführten Klistiere, die wie reale Schüsse in den Magen empfundenen Schmerzen. Das Postulat der Wahrhaftigkeit erhält eine tragische Wendung. Die hellen, lichten Aquarellfarben verdunkeln sich, nur das Blutrot sticht immer mehr heraus.

Eines seiner letzten Bilder von 2003 mit dem Titel „Idiot“ zeigt eine Figur, die in ihren rechten Schuh uriniert, den Mund reißt sie sich selbst mit beiden Händen zum Lächeln auf, während daneben ein grinsender Mann auf ihn zeigt. Khakhars schwarzer Humor richtet sich nun gegen ihn selbst, im Moment der Schwäche, der Inkontinenz. Trotzdem behält der 69-Jährige seine Würde, lacht er tapfer noch zuletzt und überzieht die Szene mit einer Goldpatinierung. Wissend, dass die Kunst länger bleiben wird.

DB-Kunsthalle, Unter den Linden 13/15, tägl. 10–20 Uhr. Katalog 35 €.

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