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Neumanns Bühnenbild für "Der Meister und Margarita", inszeniert 2002 von Frank Castorf.

© Claudia Esch-Kenkel/dpa

Zum Tod von Bert Neumann: Der Spielraum-Baumeister

Er prägte die Ästhetik der Ära Frank Castorf an der Berliner Volksbühne: der Künstler und Bühnenbildner Bert Neumann ist mit nur 54 Jahren gestorben. Ein Nachruf.

In der Baukunst spricht man von signature architects, wenn es um Häuser geht, deren Schöpfer man auf den ersten Blick beim Namen nennen kann. Auch Bert Neumann hatte so einen wiedererkennbaren Personalstil. Als Frank Castorfs engster szenischer Mitarbeiter prägte er von 1992 an die Ästhetik der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz mit seinen begehbaren Installationen. Als Bühnenbildner verstand er sich dabei nie, sondern immer als bildender Künstler. Skulptural war seine Arbeitsweise: statt Guckkästen auszustatten, baute er Spielräume. Und fand in Castorf einen Regisseur, der sich seinen Ideen nur zu gerne auslieferte.

„Es war nie so, dass er einen Entwurf von mir verwarf oder völlig umarbeiten ließ. Das Tolle an ihm ist, dass er eine Setzung akzeptiert – an der arbeitet er sich sozusagen ab“, erzählte Neumann 2010 in einem Interview mit der „Zeit“. „Ich kenne viele Regisseure, die sagen: Was, du hast da keine Tür hingebaut. Die brauch ich aber! Castorf dagegen entwickelt eine Fantasie, die das anders löst.“

So entstand auch das für die Volksbühne prägende Prinzip der Videoprojektionen. Eine Kamera verfolgt die Darsteller bei ihren Wegen durch die mehrstöckigen Wohncontainer und verschachtelten Stadtlandschaften, die Neumann auf die Bühne baute, ihre Gesichter oder Körper bleiben in Nahaufnahme auf einer Leinwand fürs Publikum zu sehen.

"Zufall ist für meine Arbeit ganz wichtig."

„Jede Probe ist eine Begegnung von Positionen“, definierte Neumann seine Idee vom Theatermachen. „Verschiedene Künstler arbeiten zusammen, ohne dass es ein Konzept gibt, dem alle folgen müssen. Konzept bedeutet Gehorsam und erzeugt Eindimensionalität. Und Zufall, den ich für meine Arbeit ganz wichtig finde, wäre ausgeschlossen.“

Die Lust am permanenten Ausnahmezustand, der am Rosa-Luxemburg-Platz herrschte, erklärte sich Neumann auch mit seiner und Castorfs DDR-Sozialisation. „Hindernisse musste man produktiv machen, und Verbote musste man umgehen. Es blieb nur die Unterwanderung.“

Geboren am 9. November 1960 in Magdeburg, wuchs Bert Neumann in Ost-Berlin auf. Nach dem Abitur ging er 1979 zunächst als Bühnentechniker an die Volksbühne, wechselte dann ins Fotoarchiv der Abteilung Darstellende Kunst der Akademie der Künste. 1985 konnte er an der Kunsthochschule Berlin-Weißensee das Diplom für Bühnen- und Kostümbild erwerben. Seinen Lebensunterhalt verdiente er zu der Zeit durch den Verkauf von selbstgemachten T-Shirts, die er zusammen mit seiner Frau Lenore Blievernicht entwarf. 1990 gründete das Paar dann das Grafikbüro „LSD“ (Last Second Design), in dem später das Image der Volksbühne in leicht fassliche Bilder übersetzt wurde, auf Plakaten und Flyern, vor allem aber durch ein Logo, jenes legendäre Rad auf Beinen, das als markanter Markenbotschafter auf dem Rasen- dreieck vor dem Theater steht.

Mit Peter Konwitschny, Leander Haußmann, Johan Simons und Thomas Langhoff hat Bert Neumann gearbeitet, seine Heimat aber war stets die Volksbühne. 1988 brachte er hier seine erste Inszenierung mit Castorf heraus, als der Regisseur 1992 Intendant am Rosa-Luxemburg- Platz wurde, machte er Neumann zum Chef-Bühnenbildner. Es entstanden die legendären Bauten für Castorfs Dostojewski-Trilogie, Neumann holte Jonathan Meese an Haus, stattete ab 1996 Produktionen für Christoph Schlingensief aus und gab seit 2000 immer wieder denen von René Pollesch einen optischen Rahmen. Den Prater, die Zweitspielstätte an der Kastanienallee, baute Neumann 1999 für das Shakespeare-Projekt der Rosenkriege zum „New Globe“ um.

Unter der Vergänglichkeit seiner Arbeiten hat Neumann nie gelitten: „Die Räume, die ich baue, haben eine bestimmte Lebensdauer und werden danach recycelt oder entsorgt. Das hat etwas Befreiendes. Wenn ich mir ein Museum als Endlager von Kunst anschaue, bin ich froh, dass ich dort nicht landen werde.“ Seiner privilegierten Stellung als selbstbestimmter Arbeiter im finanziell abgesicherten Kunstfreiraum war er sich dabei stets bewusst – und verstand sie als Aufforderung, besonders radikal zu sein: „Solange ein Land wie Deutschland sich den Luxus des subventionierten Theaters leistet, sollte man dort auch Kunst machen, die den Rahmen sprengt.“

"Das ist unser Laden, den haben wir gemacht."

Auf die für Herbst 2017 vorgesehene Ablösung „seines“ Intendanten durch Chris Dercon reagierte Bert Neumann im April im Tagesspiegel mit schärfsten Worten. Offenbar wolle die Politik mit der Berufung des Museumsmanns die Volksbühne an die gentrifizierte Umgebung anpassen. Dem Ensemble bleibe da nur das Exil: „Das ist unser Laden, den haben wir gemacht. Keiner von den Künstlern, die das Haus prägen, wird unter irgendeinem Kurator arbeiten.“

In der kommenden Saison wollte der Architekt der starken Marke Volksbühne noch einmal eine temporäre Signature- Szenerie schaffen, „Sachen ausprobieren, die woanders nicht gehen“. Mit einer „Intervention in den Raum“ sollte die Trennung zwischen Zuschauerraum und Bühne aufgehoben werden. Dieser letzte Streich aber blieb dem Gesamtkunstwerker verwehrt. Mit nur 54 Jahren ist Bert Neumann jetzt am Donnerstag in seinem Ferienhaus in Mecklenburg gestorben.

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