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Unerschrockene Neugier. Berninis Karikatur von Papst Innozenz XI., entstanden zwischen 1676 und 1680, ist die wohl berühmteste Zeichnung in der Leipziger Bernini-Sammlung.

© MDBK Leipzig

Bernini-Ausstellung in Leipzig: Die Welt als Wunderkammer

Das Leipziger Museum der Bildenden Künste feiert den barocken Künstler Bernini mit einer grandiosen Ausstellung seiner Zeichnungen, mit den Schätzen aus eigenen Beständen und Leihgaben von der Queen.

Er war der Michelangelo seiner Epoche, ein Superstar, um den sich die Mächtigen und Reichen rissen. Gian Lorenzo Bernini arbeitete in sechs schaffens- und ereignisreichen Jahrzehnten für acht Päpste, für gekrönte Häupter wie den französischen Sonnenkönig Ludwig XIV., für Kardinäle und Vertreter des Hochadels. Dank Berninis genialen Erfindungen und seinem Durchsetzungsvermögen gegen Auftraggeber und Konkurrenten gelingt es St. Peter in Rom und dem von Kolonnaden gesäumten Petersplatz als steingewordenes Epizentrum des Katholizismus bis heute, Gläubige wie Ungläubige zu überwältigen. Kein anderer Künstler außer Raffael und Michelangelo hat das Bild vom römischen Papsttum so geprägt wie er.

Auf dem um 1623 entstandenen Selbstbildnis aus der Galleria Borghese, einem der wenigen erhaltenen Gemälde, das den Besucher der großen und unbedingt sehenswerten Bernini-Ausstellung im Leipziger Museum der bildenden Künste begrüßt, wendet sich der Mittzwanziger mit derart erstauntem Blick und beinahe trotzig geöffneten Lippen an den Betrachter, als gelte es, die Wunder der Welt möglichst vollständig aufzunehmen. „Erfinder des barocken Rom“ lautet der Untertitel der Ausstellung, die im Frühjahr nach Rom weiterwandert. Ohne Bernini sähe die europäische Kunstgeschichte des 17. und 18. Jahrhunderts anders aus. Doch Bernini und Leipzig? Der Hohepriester katholisch-barocker Überwältigungsästhetik und die protestantische Handels- und Bürgerstadt – wie geht das zusammen?

Die Erklärung liegt in der Sammlungsgeschichte des Museums. Es besitzt den weltweit umfangreichsten Bestand an Handzeichnungen Berninis. Da sich in dem Konvolut, das 1714 für die Leipziger Ratsbibliothek angekauft wurde, neben fantastischen Blättern von Salvator Rosa auch etliche Zeichnungen von Berninis Schülern und Nachfolgern befinden, schwankt die Zahl der eigenhändigen Blätter je nach den gerade diskutierten Zu- und Abschreibungskriterien. Deutlich über 100 gesicherte Zeichnungen des Meisters dürften sich im Leipziger Bestand auf jeden Fall finden. Etwa 300 gibt es weltweit.

Erworben hat das Konvolut seinerzeit der Ratsbibliothekar Gottfried Christian Götze von einem römischen Kunsthändler und Geistlichen. Prior Francesco Antonio Renzi verkaufte den Leipziger Stadtvätern die ursprünglich in 50 Klebebänden geordneten, über 5000 Zeichnungen nebst einigen Kisten mit Kleinbronzen nicht als hochrangige Kunstsammlung, sondern als „gewisses Cabinet von Curiosis“. Es schloss auch Darstellungen exotischer Tiere und biblischer Gestalten mit ein und sollte die städtische Kunst- und Wunderkammer bereichern. 200 Jahre lang schlummerten Berninis Zeichnungen unerkannt in der Leipziger Stadtbibliothek, ehe sie 1913/14 entdeckt und als Teil der einstigen Sammlung der in Rom lebenden und Bernini fördernden Königin Christina von Schweden identifiziert wurden. Seither ist Leipzig eine erste Adresse für Bernini-Forscher. Die Öffentlichkeit hatte lange wenig davon: Die bislang einzige Ausstellung der Blätter fand 1980 statt.

Das um 1640 entstandene „Porträt eines Mannes mit Schnurrbart" galt lange als Selbstbildnis Berninis
Das um 1640 entstandene „Porträt eines Mannes mit Schnurrbart" galt lange als Selbstbildnis Berninis

© Her Majesty Queen Elizabeth II.

Wie zur Entschädigung haben sich nun hochrangige – und für ihre Zurückhaltung bekannte – Leihgeber wie Queen Elizabeth II. zeitweilig von ihren Schätzen getrennt. Allein was die Kustoden aus Windsor und Rom auf die Reise schickten, lohnt die Fahrt nach Leipzig.

Im Vergleich etwa zwischen den fein ausgearbeiteten Porträtzeichnungen aus der Royal Collection und dem Leipziger Profilbildnis von Papst Clemens X., das schonungslos die Spuren des Alters offenlegt, wird deutlich, was den Leipziger Bestand auszeichnet. Er schmeichelt dem aufs Fragmentarische gerichteten Blick der Moderne. Vermutlich war es erst Prior Renzi, der die Sammlung der 1689 gestorbenen Königin teilte und den aus Sicht der Zeitgenossen weniger attraktiven Teil nach Leipzig gab. Detailliert ausgearbeitete Präsentationszeichnungen sucht man im Leipziger Konvolut vergebens.

Dafür gibt es ganze Serien von Skizzen und Studien, die die Genese zahlreicher römischer Bauten und Ausstattungen anschaulich machen. Sie erlauben den Blick in Berninis Ideenwerkstatt, etwa bei dem von Engeln flankierten Sakramentsaltar oder der Cathedra Petri des Petersdoms mit den vier kolossalen Skulpturen der Kirchenväter. Mit rasant geschwungener Feder oder mit flauschig breiten Kreidestrichen baut Bernini Figuren und Architekturen auf dem Papier. Zeichnend erreicht er eine Lebendigkeit, die adäquat in Holz oder Marmor übertragen zu haben die große Leistung seiner Werkstatt bleibt. Wie differenziert dort das Zusammenspiel lief, lässt sich an den Skizzen und Entwurfszeichnungen für das Hochaltarziborium von St. Peter nachvollziehen. Während Bernini mit prägnantem Strich die Grundidee der statisch gewagten Spiralsäulen-Konstruktion festlegt, prüft sein Mitarbeiter (und späterer Konkurrent) Francesco Borromini die perspektivische Wirkung im Raum und legt Details fest.

Mit dem Tod seines ersten großen Förderers Papst Urban VIII. und dem Abriss der unvollendeten Glockentürme von St. Peter wegen statischer Probleme scheint Berninis Karriere Mitte der 1640er Jahre beendet zu sein. Doch wenig später konnte er für Papst Innozenz X. den Vierströmebrunnen auf der Piazza Navona errichten. Mit Alexander VII. beginnt 1655 Berninis zweite lange Glanzzeit, die ihn zum international gefragten Künstler macht und erst vier Jahre vor seinem Tod mit dem Entschuldungsprogramm von Innozenz XI. endet. Bernini karikiert ihn als mageren freudlosen Greis auf dem Krankenbett – die wohl berühmteste Zeichnung des Leipziger Bestandes.

Trotz seiner Lebensrolle als barocker Großkünstler verlor Bernini nie die respektlose Neugier, die in seinem frühen Selbstbildnis aufscheint. Für das Grabmal Urbans VIII. entwarf er die Figur des Schreibenden Todes, der als Knochenmann auf dem Sarkophag hockt. Wie in einem Comic entwickelt sich seine Idee entlang der drei erhaltenen Leipziger Studienblätter. Pathos und Komik, Leben und Tod – für Gian Lorenzo Bernini waren das zwei Seiten einer Medaille.

Museum der bildenden Künste Leipzig, bis 1. Februar. Katalog 34,50 €, im Buchhandel 65 € (Kerber Art). Infos: www.mdbk.de

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