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Wahrzeichen bei Tag und Nacht: Das Rad vor der Volksbühne.

© Doris Spiekermann-Klaas

Berliner Theaterstreit: Will Castorf das Volksbühnen-Rad entführen?

Der Streit um das Rad an der Volksbühne geht weiter. Wem gehört das Wahrzeichen eigentlich im juristischen Sinne?

Allzu ruhig hat er sich in den letzten Monaten verhalten. Dabei war klar, dass Frank Castorf seinen Intendantenposten an der Volksbühne nach 25 Jahren nicht geräuschlos räumen würde für Chris Dercon. Die Castorfianer halten ihn für eine Fehlbesetzung. Wie man aus dem Theater hört, will Castorf das Räuberrad vom Rosa-Luxemburg-Platz entfernen lassen und auf die letzte Reise schicken. Es soll nach Frankreich rollen und dort öffentlich zu Grabe getragen werden, um die Ära Castorf mit Aplomb zu beenden. Im Juli zeigt Frank Castorf, der scheidende Intendant der Volksbühne, auf dem Festival von Avignon seine Inszenierung „Die Kabale der Scheinheiligen“.

Gegen einen möglichen Abbau und Transport ins Ausland wehren sich Lenore Blievernicht und ihr Sohn Leonard Neumann. Lenore Blievernicht ist die Witwe des 2015 verstorbenen Volksbühnen-Bildners Bert Neumann. Er hatte das Rad 1994 entworfen, damals wurde es vor dem Theater aufgestellt und entwickelte sich zum beliebten Wahrzeichen. Lenore Blievernicht und ihr Sohn haben sich anwaltlichen Beistand genommen. Sie gelten als Erbengemeinschaft nach Bert Neumann, der alleiniger Urheber der Rad-Skulptur war, und damit als alleinige Inhaber der Urheberrechte an der Rad-Skulptur.

Die Kanzlei Bauschke Braeuer begründet das Neumann’sche Urheberrecht so: „Die für das Werk konstitutive innere Verbindung mit dem Ort seiner Ausstellung liegt nicht zuletzt dadurch auf der Hand, dass Bert Neumann das Räuberrad zugleich zum Logo des Theaters Volksbühne gewidmet hat. Die Skulptur ist so installiert, dass sie bei frontalem Blick auf den Eingang der Volksbühne von der Rosa-Luxemburg-Straße aus zentral in der Sichtachse liegt. Ein Auseinanderreißen dieser symbolträchtigen räumlichen Verbindung von Skulptur und Spielstätte würde das Kunstwerk seiner spezifischen Aussagekraft berauben und es in seinem Wesen umgestalten und entstellen.“

Kurz: Das Rad soll an seinem Platz bleiben. Das will nicht nur Bert Neumanns Familie, das will auch eine Mehrheit der an der Volksbühne Beschäftigten. Viele bleiben am Haus. Auch der designierte Intendant Chris Dercon will das Rad erhalten. Es soll an die alles in allem grandiosen Volksbühnenjahre mit Castorf erinnern. Und an Bert Neumann.

Das Rad ist eine Art Einheitsdenkmal geworden

Das eiserne Rad ist zu einer Art Einheitsdenkmal geworden. Es gehört zum Stadtraum, zum Bezirk Mitte und nimmt eine exponierte Stellung ein. Es gehört nicht Frank Castorf, der offenbar ein Fanal will, und auch nicht der Volksbühne. Kultursenator (und Dr. jur.) Klaus Lederer hat gesagt, die Volksbühne sei Eigentümerin des konkreten „Blechgegenstands“ und könne darüber verfügen – er irrt. Das Rad ist öffentliches Eigentum und gehört dem Land Berlin.

Der rechtliche Hintergrund sieht so aus: Die Volksbühne ist keine selbstständige Einrichtung, sie kann deshalb kein Eigentum besitzen und über keinen Zuschauersitz, keine Beleuchtung verfügen. Eigentümer des Gebäudes, des Inventars und auch des Rades ist das Land Berlin. Der Ankauf erfolgte Mitte der neunziger Jahre für einen Preis von circa 22 000 DM. Es bestehen schon aus diesen Gründen erhebliche Zweifel, ob selbst mit Zustimmung des Kultursenators die Skulptur verschickt und möglicherweise rituell vernichtet werden darf.

Der Kampf um die Erinnerungshoheit der Volksbühne hat eine neue Stufe erreicht. Jetzt streiten sie im innersten Bereich, Bert Neumann war vielleicht Frank Castorfs wichtigster Vertrauter. Er prägte die Ästhetik des Hauses. Das Radlogo ziert Spielplan, Website, T-Shirts, die Volksbühnen-Streichholzschachteln. Die Volksbühne wird nicht nur als epochales Theater, sondern auch als Ort wechselhafter Loyalitäten, tiefer persönlicher Verletzungen und einander heftig berührender Biografien in die Geschichte eingehen. Wie es nicht anders sein kann, wenn so viele exzellente Künstler so lange zusammenwirken, sich immer wieder abstoßen und anziehen. Nun soll das Räuberrad unter die Räder kommen. Eine Probegrabung gab es bereits.

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